18.10.2024
18.10.2024  
Sie sehen, wie während einer Hochzeit die Ringe angesteckt werden.

Dokument-Nr. 32499

Drucken
ergänzende Informationen

Oberlandesgericht Braunschweig Beschluss22.12.2022

Vorbeugende Fremd­un­ter­bringung eines schwer behinderten Kindes nicht gerechtfertigtZukünftige Überforderung der Eltern stellt gegenwärtig keine Kindes­wohl­gefährdung dar

Die Erwartung einer künftigen Überforderung der Eltern rechtfertigt noch keinen Eingriff in das elterliche Sorgerecht. Denn dies ist noch „keine gegenwärtige Kindes­wohl­gefährdung“, stellte das Oberlan­des­gericht (OLG) Braunschweig klar.

Ist das geistige, seelische oder körperliche Wohl von Kindern durch das Verhalten der sorge­be­rech­tigten Eltern gefährdet, obliegt es dem Staat, die Kinder zu schützen. § 1666 BGB, die zentrale Vorschrift des zivil­recht­lichen Kinderschutzes, ermöglicht es den Famili­en­ge­richten in solchen Fällen in das Sorgerecht der Eltern einzugreifen. Das Sorgerecht stellt grundsätzlich ein subjektives Recht der Eltern dar, das sie im Interesse ihres Kindes auszuüben haben. Es betrifft sämtliche Lebensbereiche des Kindes und beinhaltet insbesondere auch die Entscheidung über seinen Aufenthalt, seine Schulwahl oder auch gesundheitliche Belange. Besteht in diesen Bereichen eine Gefährdung für das Kind, und sind die Eltern nicht bereit, dieser entge­gen­zu­wirken, kann das Gericht ihnen Teile der Sorge oder auch das gesamte Sorgerecht entziehen. Dabei unterliegt das Gericht dem Verhält­nis­mä­ßig­keits­grundsatz, d.h. es darf nur erforderliche Maßnahmen ergreifen und hat stets zu prüfen, dass diese auch die mildesten Eingriffe in das elterliche Sorgerecht darstellen. Eingriffe nach § 1666 BGB in das Elternrecht kommen danach immer nur dann in Betracht, wenn von einer konkreten Gefahr für das Kind auszugehen ist. Das Gericht hat dabei auf Grundlage der Ermittlungen zu entscheiden, ob eine gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr vorliegt, dass sich bei der weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt.

Familiengericht entzieht der Mutter Teile der elterlichen Sorge

Das erstin­sta­nzliche Familiengericht hatte der allein­sor­ge­be­rech­tigten Mutter nach umfangreichen Ermittlungen Teile der elterlichen Sorge entzogen, um eine Unterbringung ihres Kindes zu erreichen. Das Kind leidet unter frühkindlichem Autismus und hat einen sehr hohen Betreuungs- und Förderbedarf. Die Mutter werde langfristig nicht in der Lage sein, die Betreuung und Versorgung ohne Gefahr für das Wohl des Kindes sicherzustellen, so das Familiengericht. Zwar habe der eingesetzte Sachverständige der Mutter die Betreuung zunächst zugetraut, jedoch sei damit zu rechnen, dass die Mutter mit forts­chrei­tendem Alter ausfalle bzw. nicht mehr in der Lage sei, auf ihr Kind einzuwirken. Sie werde von den Beteiligten auch als sehr liebevolle Mutter wahrgenommen, fördere ihr Kind aber nicht ausreichend. Langfristig lasse sich daher eine Unterbringung nicht vermeiden.

Keine vorbeugende Fremd­un­ter­bringung ohne konkreten Anlass

Diese Entscheidung hat das Oberlan­des­gericht Braunschweig aufgehoben, mit der Folge, dass die elterliche Sorge bei der Mutter verbleibt. Die Möglichkeit, dass ein allein betreuender Elternteil eines schwer behinderten Kindes zukünftig ausfalle, stelle keine gegenwärtige Kindeswohlgefährdung dar. Die vorbeugende Fremdunterbringung zum Zwecke einer für das Kind vorteilhaften frühzeitigen Eingewöhnung in einer Einrichtung ohne konkreten Anlass rechtfertige nicht den Entzug des Aufent­halts­be­stim­mungs­rechts und der Gesundheitsfürsorge. Auch der Vorwurf, dass das Kind nicht die bestmögliche Förderung erhalte, begründe keine Gefährdung des Kindeswohls. Sowohl die Mutter als auch die umfassende Betreuung des Kindes in der Schule stellten sicher, dass die unverzichtbaren Bedürfnisse des Kindes gewährleistet würden. Eingriffe in das Sorgerecht, um eine optimale Förderung zu erzwingen, sind hingegen vom Kinder­schutzrecht – auch nach Auffassung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts – nicht von dem Wächteramt erfasst. Der Senat hat ferner berücksichtigt, dass die Unterbringung des Kindes zum jetzigen Zeitpunkt seine Gesamtsituation nicht verbessern würde, da die psychische Belastung durch die Trennung von der Mutter und seinem bekannten Umfeld schwerer wiege.14-jährigen

Quelle: Oberlandesgericht Braunschweig, ra-online (pm/ab)

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss32499

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI