21.11.2024
21.11.2024  
Sie sehen eine Reihe mit gelben Aktenordnern, die mit Barcodes markiert sind.

Dokument-Nr. 29313

Drucken
Entscheidung15.10.2020Oberverwaltungsgericht Niedersachsen13 MN 371/20
Eine weitere Entscheidung zu diesem Thema:
ergänzende Informationen

Oberverwaltungsgericht Niedersachsen Entscheidung15.10.2020

Beher­ber­gungs­verbot in Niedersachsen vorläufig außer Vollzug gesetztVerbot zu unbestimmt und unangemessen

Das Nieder­säch­sischen Ober­verwaltungs­gerichts hat mit Beschluss vom 15. Oktober 2020 in einem Normen­kon­trolleil­verfahren die § 1 Abs. 1 Satz 1 und § 1 Abs. 2 Satz 1 der Nieder­säch­sischen Verordnung über Beherbergungs­verbote zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Nieder­säch­sische Corona-Beherbergungs-Verordnung) vom 9. Oktober 2020 vorläufig außer Vollzug gesetzt (13 MN 371/20).

Der Antragsteller betreibt in Niedersachsen einen Ferienpark. Dort vermietet er auch Ferienhäuser. Mit einem Normen­kon­trol­leil­antrag vom 13. Oktober 2020 beantragte er die vorläufige Außer­voll­zug­setzung des in § 1 Abs. 1 Satz 1 und § 1 Abs. 2 Satz 1 der Nieder­säch­sischen Corona-Beherbergungs-Verordnung angeordneten grundsätzlichen Verbots, in Hotels, Pensionen, Jugendherbergen und ähnlichen Beher­ber­gungs­be­trieben sowie Ferienwohnungen, Ferienhäusern und Campingplätzen Personen aus einem vom Nieder­säch­sischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung festgelegten und veröf­fent­lichten Risikogebiet zu touristischen Zwecken zu beherbergen (sog. Beher­ber­gungs­verbot). Er macht geltend, die Verbots­re­ge­lungen seien zu unbestimmt und das Verbot als solches sei zur Verhinderung weiterer Corona-Infektionen nicht geeignet, nicht notwendig und auch nicht angemessen.

OVG: Angeordnete Beher­ber­gungs­verbot bei summarischer Prüfung rechtswidrig

Dieser Antrag hatte Erfolg. Das OVG stellte deutlich heraus, dass auch angesichts der derzeit stark steigenden Infizier­ten­zahlen in vielen Teilen des Bundesgebiets und Niedersachsens die gesetzlichen Voraussetzungen für ein staatliches Handeln durch infek­ti­o­ns­schützende Maßnahmen erfüllt seien. Das in der Nieder­säch­sischen Corona-Beherbergungs-Verordnung konkret angeordnete Beherbergungsverbot erweise sich bei summarischer Prüfung aber als rechtswidrig. Das Verbot sei schon nicht hinreichend bestimmt. Es erfasse Personen "aus" Risikogebieten, ohne festzulegen, ob diese Personen dort einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben müssten oder ein kurzzeitiger Aufenthalt genüge.

Eignung der Maßnahme zweifelhaft

Das Verbot stelle sich auch nicht als notwendige infek­ti­o­ns­schutz­rechtliche Schutzmaßnahme dar. Angesichts des engen Anwen­dungs­be­reichs (Übernachtungen zu touristischen Zwecken in Beher­ber­gungs­be­trieben, nicht aber bloße Einreisen und Aufenthalte ohne Übernachtungen zu jedweden Zwecken, unter anderem Fahrten von Berufspendlern und Heimreisen nieder­säch­sischer Bürgerinnen und Bürger aus Urlauben in innerdeutschen Risikogebieten) und zahlreicher Ausnahmen (unter anderem negativer Corona-Test, "triftiger Reisegrund" und Einzel­fa­l­laus­nahmen des Gesundheitsamts) erfasse das Verbot von vorneherein nur einen sehr begrenzten Ausschnitt des Reisegeschehens und könne auch nur insoweit überhaupt eine Wirkung auf das Infek­ti­o­ns­ge­schehen entfalten. Es sei zweifelhaft, ob ein derart begrenztes Verbot geeignet und erforderlich sei.

Nicht nur Sachverhalte mit erhöhter Infek­ti­o­ns­gefahr erfasst

Das Beher­ber­gungs­verbot beziehe sich auch auf Sachverhalte, die jedenfalls nicht offensichtlich mit einer erhöhten Infek­ti­o­ns­gefahr verbunden seien. Dies gelte für die Beherbergung als solche, aber auch für die eigentlichen Reisen. Der Antragsgegner habe auch auf Nachfrage des Senats keine nachvoll­ziehbaren tatsächlichen Erkenntnisse dazu präsentieren können, welche Zahl von infizierten Personen in den letzten Wochen im Bundesgebiet und in Niedersachsen auf Reisen innerhalb des Bundesgebiets zurückzuführen seien.

Verbot zu generalisierend und nur eingeschränkt anwendbar

Aber auch die in der Verordnung vorgenommene schlichte Anknüpfung an Infizier­ten­zahlen in einem Gebiet sei nicht ausreichend, um für alle Personen in einem solchen Gebiet eine einheitliche Gefahrenlage anzunehmen und diesen gegenüber unterschiedslos genera­li­sierende infek­ti­o­ns­schutz­rechtliche Maßnahmen zu treffen. Der Verord­nungsgeber müsse vielmehr vorhandene oder zumutbar zu ermittelnde tatsächliche Erkenntnisse zum Infek­ti­o­ns­ge­schehen in dem betroffenen Gebiet, etwa bei zu lokalisierenden und klar eingrenzbaren Infek­ti­o­ns­vor­kommen, in einer differenzierten Betrachtung berücksichtigen.

Verbot gegenüber Personen aus einem Risikogebiet kaum vollziehbar

Gegenüber Personen aus einem Risikogebiet, das außerhalb Niedersachsens liege, könne das Verbot auch tatsächlich kaum vollzogen werden. Für diesen Personenkreis gelte das Verbot nach § 1 Abs. 3 der Verordnung nur dann, wenn spätestens im Zeitpunkt ihrer Einreise nach Niedersachsen das Gebiet, aus dem sie einreisen, vom Nieder­säch­sischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung als Risikogebiet veröffentlicht worden sei. Der danach maßgebliche Zeitpunkt der Einreise nach Niedersachsen werde aber weder dokumentiert noch sei er vom Betreiber eines Beher­ber­gungs­be­triebs nachzuprüfen.

Berufs­aus­übungs­freiheit der Betreiber verletzt

Unter Berück­sich­tigung dieser Zweifel an der Eignung und Erfor­der­lichkeit des Verbots greife dieses jedenfalls unangemessen in die grundrechtlich geschützte Berufs­aus­übungs­freiheit der Betreiber von Beher­ber­gungs­be­trieben ein. Das Verbot bewirke eine gravierende organi­sa­to­rische Belastung und könne zu erheblichen finanziellen Einbußen führen. Die Verbots­wir­kungen würden durch die Ausnahmen nicht deutlich gemildert. Insbesondere die Möglichkeit, eine Ausnahme von dem Verbot durch einen negativen Corona-Test zu erlangen, dürfte angesichts nur begrenzter theoretischer und bereits heute tatsächlich weitgehend ausgenutzter Testkapazitäten praktisch kaum zum Tragen kommen und auch der erstrebten Priorisierung von Testungen nach der Infek­ti­o­ns­wahr­schein­lichkeit widersprechen. Die vorläufige Außer­voll­zug­setzung ist allge­mein­ver­bindlich, d.h. die außer Vollzug gesetzten Regelungen sind von den darin genannten Beher­ber­gungs­be­trieben mit sofortiger Wirkung nicht mehr zu beachten.

Quelle: Oberverwaltungsgericht Lüneburg, ra-online (pm/aw)

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Entscheidung29313

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI