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Dokument-Nr. 23807

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Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Beschluss09.01.2017

Leistungs­kür­zungen wegen angenommenen Pflegebetrugs unwirksamSozialämter dürfen auf angebliche Kick-Back-Zahlungen nicht mit Rückabwicklung von Sozial­hilfe­leistungen reagieren

Das Landes­so­zi­al­gericht Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass Sozialämter die Sozia­l­leis­tungen von Pflege­be­dürftigen nicht ohne weiteres rückwirkend um die Geldbeträge kürzen dürfen, die diese von Pflegediensten als Belohnung für ihr Mitwirken beim Abrech­nungs­betrug erhalten haben.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Seit einigen Jahren laufen in Deutschland umfangreiche strafrechtliche Ermittlungen gegen betrügerische Pflegedienste. Deren Geschäftsmodell besteht darin, zu Lasten der Sozia­l­leis­tungs­träger Pflege­leis­tungen abzurechnen, die tatsächlich gar nicht erbracht wurden. Als Komplizen der Pflegedienste wirken neben Ärzten vor allem auch Patienten mit, indem sie den Erhalt gar nicht erbrachter Pflege­leis­tungen quittieren und so deren Abrechnung ermöglichen. Zur Belohnung erhalten sie monatlich einen Anteil am Betrugserlös, der im Milieu als "Kick-Back-Zahlung" bezeichnet wird.

Sozialhilfe in zahlreichen Fällen wegen Kick-Back-Zahlungen gekürzt

Zahlreiche der Pflege­be­dürftigen erhielten nicht nur Sozia­l­leis­tungen für die Pflege, sondern auch Sozialhilfe für den täglichen Lebensunterhalt. Sozialhilfe wird aber grundsätzlich nur bei Bedürftigkeit gewährt, also wenn kein ausreichendes Einkommen oder Vermögen vorhanden ist. Waren Pflege­be­dürftige in den Kassenbüchern des Pflegedienstes genannt, wurde die Bewilligung der Sozialhilfe in vielen Fällen aufgehoben. Zur Begründung wurde angegeben, dass die sogenannten Kick-Back-Zahlungen Einkommen (§ 82 SGB XII) sind und den Anspruch auf Sozialhilfe verringern. Außerdem wurden Erstat­tungs­for­de­rungen gegen die pflege­be­dürftigen Sozia­l­hil­fe­emp­fänger festgesetzt, oft im fünfstelligen Bereich.

Klagen gegen Leistungs­kürzung in erster Instanz überwiegend erfolglos

Die hiergegen seitens der betroffenen Sozia­l­leis­tungs­emp­fänger angestrengten sozial­ge­richt­lichen Eilverfahren hatten in erster Instanz überwiegend keinen Erfolg. Mehrere Kammern des Sozialgerichts hielten den Erhalt von Kick-Back-Zahlungen für erwiesen und sahen in diesen Zahlungen ein Einkommen, das die Hilfe­be­dürf­tigkeit der Sozia­l­leis­tungs­emp­fänger reduzierte.

Beschwerden der Leistungs­emp­fänger vor dem Landes­so­zi­al­gericht überwiegend erfolgreich

Die von den Sozia­l­leis­tungs­emp­fängern gegen diese Beschlüsse gerichteten Beschwerden hatten bei dem Landes­so­zi­al­gericht durchweg Erfolg. Bei dem Landes­so­zi­al­gericht sind zwei Senate mit der Sparte der Sozialhilfe befasst. Beide Senate entschieden übereinstimmend, dass die Sozialämter die "sofortige Vollziehung" ihrer Bescheide nicht anordnen durften. Unterschiede gab es nur in der Begründung:

Einkünfte aus strafbaren Handlungen können nicht zum Bestreiten des Lebens­un­terhalts eingesetzt werden

Der 23. Senat hat offen gelassen, ob der Erhalt von Kick-Back-Zahlungen erwiesen sei und entschieden (z.B. Beschluss vom 9. Januar 2017, L 23 SO 327/16 B ER, rechtskräftig), dass Kick-Back-Zahlungen als Gewinne aus begangenen Straftaten kein "Einkommen" im Sinne des Sozia­l­hil­fe­rechts darstellten. Ein solcher Zufluss an Geld stamme aus einem gemein­schaftlich begangenen Betrug und sei von vornherein mit einer Rückzah­lungs­pflicht belastet. Eine Behörde könne nicht verlangen, Einkünfte aus strafbaren Handlungen zum Bestreiten des Lebens­un­terhalts einzusetzen, um so den Anspruch auf staatliche Sozia­l­leis­tungen zu mindern.

Erhalt von Kick-Back-Zahlungen nicht hinreichend belegt

Der 15. Senat hat die Rechtsfrage, ob Kick-Back-Zahlungen Einkommen im Rechtssinne seien, ausdrücklich offen gelassen (Beschluss vom 21. Dezember 2016, L 15 SO 301/16 B ER, rechtskräftig). Allerdings sei der Erhalt von Kick-Back-Zahlungen nicht hinreichend belegt, denn hierfür spreche einzig ein Eintrag in einem Kassenbuch des Pflegedienstes. Umgekehrt sei z.B. nicht erwiesen, dass die Antragstellerin Pflege­leis­tungen in einem geringeren als mit der Pflegekasse abgerechneten Umfange erhalten habe.

Abschließende Entscheidungen erst im Haupt­sa­che­ver­fahren klärbar

Damit ist der Versuch der Sozialämter zunächst gescheitert, auf den angenommenen Pflegebetrug sofort mit der Rückabwicklung von Sozia­l­hil­fe­leis­tungen zu reagieren. Weil es sich bei der dargestellten Rechtsprechung um Entscheidungen im Eilrechtsschutz handelt, ist eine abschließende Klärung der aufgeworfenen Rechtsfragen erst in den Haupt­sa­che­ver­fahren zu erwarten. Beleuchtet ist damit nur ein Aspekt des mutmaßlichen "Pflegebetrugs". Anhängig sind bei der Berliner Staats­an­walt­schaft strafrechtliche Ermitt­lungs­ver­fahren gegen die Verant­wort­lichen des Pflege­un­ter­nehmens sowie etwaige Empfänger von Kick-Back-Zahlungen. Abzuwarten wird auch sein, ob die Pflegekassen gezahlte Vergütungen für nicht erbrachte Pflege­leis­tungen mit Erfolg werden zurückfordern können.

Quelle: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg/ra-online

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