18.10.2024
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Sozialgericht Berlin Beschluss26.10.2016

Sozialamt darf bei Pflegebetrug Leistungen von Pflege­be­dürftigen kürzenVorgehen dient Schutz des Sozial­versicherungs­systems und der Gesamtheit der Steuerzahler

Das Sozialgericht Berlin hat entschieden, dass das Sozialamt die Sozialhilfe einer Pflege­be­dürftigen rückwirkend um Geldbeträge kürzen darf, die diese von einem kriminellen Pflegedienst als Belohnung für ihr Mitwirken beim Abrech­nungs­betrug erhalten hat. Die daraus folgenden Rückforderungen darf das Sozialamt durch Anrechnung auf die laufende Grundsicherung sofort durchsetzen.

Seit einigen Jahren laufen in Deutschland umfangreiche strafrechtliche Ermittlungen gegen betrügerische Pflegedienste. Deren Geschäftsmodell besteht darin, zu Lasten der Sozia­l­leis­tungs­träger Pflege­leis­tungen abzurechnen, die tatsächlich gar nicht erbracht wurden. Als Komplizen der Pflegedienste wirken neben Ärzten vor allem auch Patienten mit, indem sie den Erhalt gar nicht erbrachter Pflege­leis­tungen quittieren und so deren Abrechnung ermöglichen. Zur Belohnung erhalten sie monatlich einen Anteil am Betrugserlös, der im Milieu als "Kick-Back-Zahlung" bezeichnet wird.

300 Patienten in Abrech­nungs­betrug verwickelt

Im Fokus der Staats­an­walt­schaft Berlin stand zuletzt der Pflegedienst "Mit Herz und Seele" aus Berlin. Sichergestellte Kassenbücher und Dienstpläne begründen den Verdacht, dass hier rund 300 Patienten in den Abrech­nungs­betrug verwickelt waren.

Sozialamt kürzt laufende Grundsicherung der Leistungs­emp­fängerin wegen Mitwirkung am Abrech­nungs­betrug

Die 1949 geborene Antragstellerin des zugrunde liegenden Verfahrens bezieht vom Antragsgegner, dem Sozialamt Steglitz-Zehlendorf, seit Jahren Grundsicherung im Alter. Zugleich war sie Patientin des Pflegedienstes "Mit Herz und Seele GmbH". Mit Bescheid vom 11. August 2016 nahm der Antragsgegner sämtliche Bescheide zurück, mit denen der Antragstellerin Sozia­l­leis­tungen für den Zeitraum November 2014 bis Februar 2015 bewilligt worden waren. Die Antragstellerin habe in diesem Zeitraum für ihre Mitwirkung am Abrech­nungs­betrug des Pflegedienstes ein Einkommen aus sogenannten "Kick-Back-Zahlungen" zwischen 245 und 336 Euro monatlich erzielt. Dadurch sei ihre Hilfe­be­dürf­tigkeit entsprechend verringert worden. 1.125 Euro zu viel gezahlte Sozialhilfe seien zurückzuzahlen. Zur Begleichung der Erstat­tungs­for­derung würden die laufende Grundsicherung ab sofort um monatlich 73 Euro gekürzt.

Leistungs­be­zieherin verneint Erhalt von "Kick-Back-Zahlungen"

Die Antragstellerin hat hiergegen beim Antragsgegner Widerspruch eingelegt. Zusätzlich hat sie beim Sozialgericht Berlin ein Eilverfahren anhängig gemacht mit dem Ziel, die sofortige Vollziehung der Rückforderung zu stoppen. Sie bestreitet, überhaupt "Kick-Back-Zahlungen" erhalten zu haben und trägt vor, an der Redlichkeit des Pflegedienstes nie gezweifelt zu haben. Sie selbst habe über erhaltene Pflege­dienst­leis­tungen kein Buch geführt. Soweit Unterschriften erforderlich geworden seien, habe sie diese im vollen Vertrauen in den Pflegedienst geleistet.

Anrechnung von "Kick-Back-Zahlungen" als Einkommen nicht zu beanstanden

Das Sozialgericht Berlin wies den Antrag ab. Nach summarischer Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes sei der Bescheid des Antragsgegners offensichtlich rechtmäßig. Die Anrechnung der "Kick-Back-Zahlungen" als Einkommen und die darauf gestützte Rückforderung von Sozia­l­leis­tungen seien nicht zu beanstanden. Laut den von der Staats­an­walt­schaft beschlagnahmten Kassenbüchern habe die Antragstellerin über die Jahre von dem Pflegedienst insgesamt sogar Zahlungen in Höhe von 12.064 Euro erhalten. An der Richtigkeit der Kassenbücher habe das Gericht keine Zweifel. Offensichtlich habe der Pflegedienst derartige Unterlagen führen müssen, um angesichts von rund 300 am Betrugssystem beteiligten Patienten den Überblick über seine "Wirtschaft­lichkeit" zu behalten. Die Kassenbücher würden durch die ebenfalls beschlagnahmten Dienstpläne bestätigt.

Unzuver­läs­sigkeit des Pflegedienstes bereits bekannt

Die Einwände der Antragstellerin seien in keiner Weise nachvollziehbar. Die Antragstellerin habe nämlich Nachweise über tägliche Pflege unterschrieben, obwohl sie laut Abschluss­bericht des Landes­kri­mi­nalamtes überhaupt nicht gepflegt worden sei. Die Unzuver­läs­sigkeit des Pflegedienstes sei dem Gericht im übrigen aufgrund einer Vielzahl weiterer Verfahren bereits bekannt.

Verhalten beteiligter Leistungs­emp­fänger muss zur Vermeidung von Wieder­ho­lungs­fällen unmittelbare Konsequenzen haben

Es bestehe auch ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Rückforderung. Angesichts des Alters der Antragstellerin und der Dauer eines Haupt­sa­che­ver­fahrens würde ein weiteres Abwarten die Vollstreckung des geltend gemachten Ersatzanspruchs ernsthaft gefährden. Aufgrund des Ausmaßes des Leistungs­betrugs mit einem Schaden in Höhe von mehreren Millionen Euro sei auch aus genera­l­prä­ventiven Gründen eine sofortige Reaktion des Sozia­l­hil­fe­trägers erforderlich. Das Verhalten der beteiligten Leistungsempfänger müsse zur Vermeidung von Wieder­ho­lungs­fällen unmittelbare Konsequenzen haben. Das Vorgehen diene dem Schutze des Sozia­l­ver­si­che­rungs­systems und der Gesamtheit der Steuerzahler.

Quelle: Sozialgericht Berlin/ra-online

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