18.10.2024
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Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil23.02.2012

Sozialamt muss Kosten für systemische Bewegungs­therapie eines behinderten Kindes tragenEinglie­de­rungshilfe stellt erforderliche Maßnahme zur Verbesserung schulischer Fähigkeiten und sozialer Eingliederung dar

Das Sozialamt muss die Kosten für die systematische Bewegungs­therapie eines behinderten Kindes tragen, wenn diese Einglie­de­rungshilfe zur Verbesserung schulischer Fähigkeiten und sozialer Eingliederung erforderlich ist. Dies geht aus einer Entscheidung des Landes­so­zi­al­ge­richts Baden-Württemberg hervor.

Im zugrunde liegenden Fall leidet das schwer­be­hinderte Kind seit seiner Geburt an einer unheilbaren Stoff­wech­se­l­er­krankung, die mit hochgradiger beidseitiger Sehbehinderung, geistiger Behinderung, einem hirnorganischen Anfallsleiden und anderen körperlichen Beein­träch­ti­gungen verbunden ist. Ab dem Zeitpunkt seiner Einschulung in der Freien Waldorfschule im Rahmen eines integrativen Schul­ent­wick­lungs­projekts hat der Sozia­l­hil­fe­träger die Auffassung vertreten, dass der Förderbedarf des klagenden Kindes bereits durch die integrative Schulform abgedeckt und weitere Förderung nicht ohne Berück­sich­tigung der Einkommens- und Vermö­gens­ver­hältnisse der Eltern des Kindes zu gewähren sei.

Kind gehört aufgrund seiner Behinderungen zum grundsätzlich förde­rungs­fähigen Personenkreis

Das Landes­so­zi­al­gericht Baden-Württemberg hat diese Rechts­auf­fassung nicht geteilt und das bereits zu Gunsten des Klägers ergangene Urteil des Sozialgerichts Freiburg bestätigt. Der Kläger gehöre aufgrund seiner Behinderungen zum grundsätzlich förde­rungs­fähigen Personenkreis. Die systemische Therapie verfolge das Ziel, mit den Schülern diejenigen Themen, die in der Schule überwiegend visuell angeboten würden, in Bewegung und Handlung aufzuarbeiten und der Stabilisierung der Persönlichkeit zur Vermeidung von Verhal­tens­auf­fäl­lig­keiten.

Erforderliche Maßnahmen ermöglichen und erleichtern behindertem Kind Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht

Einglie­de­rungshilfe sei zur Verbesserung schulischer Fähigkeiten und sozialen Eingliederung des Klägers erforderlich. Zu den Maßnahmen der Eingliederungshilfe zählten auch heilpäd­ago­gische und sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, soweit die Maßnahmen erforderlich und geeignet seien, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern. Dies sei nach den fachkundigen Auskünften und Stellungnahmen über den Kläger der Fall. Dieser habe neben der von der Schule geleisteten Integra­ti­o­nshilfe weiteren Förderbedarf, der in der sozialen Integration in die Schulklasse und der Steigerung der Aufnah­me­fä­higkeit schulischer Lerninhalte bestehe. Der stark sehbehinderte Kläger habe zu wenig motorische Sicherheit und benutze seine Hände zu wenig zum Tasten.

Finanzielle Leistungs­fä­higkeit der Eltern bei Hilfe zur angemessenen Schulbildung nicht entscheidend

Durch die steigenden schulischen Anforderungen bestehe die Gefahr der Überforderung, die sich u.a. auch in zunehmenden epileptischen Anfällen zeige. Der Schwerpunkt der Förderung liege im schulischen Bereich, wenn auch die dabei erworbenen Fähigkeiten quasi als Nebeneffekt die Kompetenzen des Klägers auch im außer­schu­lischen Bereich erhöht würden. Der Nachrang der Sozialhilfe stehe der Förderung des Klägers nicht entgegen. Zwar sei die pädagogische Förderung der Schüler in erster Linie Aufgabe der Schule. Damit seien jedoch ergänzende Leistungen der Einglie­de­rungshilfe nur insoweit ausgeschlossen, als sie zum Kernbereich der pädagogischen Arbeit gehörten, was hier aber nicht der Fall sei. Auf die finanzielle Leistungs­fä­higkeit der Eltern komme es bei der Hilfe zur angemessenen Schulbildung nicht an.

Sozial­ge­setzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022)

Erläuterungen

§ 53 Leistungs­be­rechtigte und Aufgabe

(1) Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, erhalten Leistungen der Einglie­de­rungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Einglie­de­rungshilfe erfüllt werden kann. Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung können Leistungen der Einglie­de­rungshilfe erhalten.

[...]

(3) Besondere Aufgabe der Einglie­de­rungshilfe ist es, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen.

[...]

§ 54 Leistungen der Einglie­de­rungshilfe

(1) Leistungen der Einglie­de­rungshilfe sind neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 des Neunten Buches insbesondere

1. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt,

[...]

Quelle: Landessozialgericht Baden-Württemberg/ra-online

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