14.12.2024
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Dokument-Nr. 33140

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Urteil25.05.2023Landessozialgericht Baden-WürttembergL 6 VM 3577/21
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Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil25.05.2023

Verbitterungs­störung ist kein Immunisierungs­schadenDas soziale Entschä­di­gungsrecht beinhaltet keine Anspruchs­grundlage für die Entschädigung von jeglichen Folgen exekutiven Unrechts

Eine Verbitterung über behördliches Verhalten im Zusammenhang mit der Anerkennung von gesund­heit­lichen Folgen einer Immunisierungs­maßnahme ist, selbst wenn sie als „Verbitterungs­störung“ Krankheitswert erreicht, nicht der Immunisierung zuzurechnen. Dies hat das Landes­so­zi­al­gericht Baden-Württemberg entschieden.

Wenn staatliche Maßnahmen gesundheitliche Schäden nach sich ziehen, beschäftigt dies unter anderem auch die Sozialgerichte. Zu diesen Versor­gungs­ansprüchen zählen die Fälle mehrerer tausend Frauen, die in den Jahren 1978 und 1979 in der DDR im Rahmen der sog. Anti-D-Immunprophylaxe durch verunreinigtes Immunglobulin eine Hepati­tis­in­fektion erlitten. Die Kompensation der durch den sog. Anti-D-Skandal eingetretenen Schäden erfolgt durch das Anti-D-Hilfegesetz (AntiDHG), das unter anderem eine monatliche Rente vorsieht. Die Höhe der Rente bemisst sich dabei nach dem sog. Grad der Schädi­gungs­folgen (GdS).

Höheren GdS wegen Verbit­te­rungs­störung geltend gemacht

Einen derartigen Fall hatte das LSG Baden-Württemberg zu entscheiden. Die Klägerin erhielt nach dem AntiDHG eine Rente nach einem GdS von 40 wegen einer Hepatitis-C-Infektion mit geringer Aktivität sowie einer Vitiligo und einer Alopezie (Weißfle­cken­krankheit und Haarausfall) als weiteren Schädi­gungs­folgen. Die Klägerin machte nunmehr geltend, dass ihr GdS zwischen­zeitlich mit 60 zu bemessen sei, da nach einer neuen antiviralen Therapie – welche zu einer kompletten Remission der Hepatitis-C-Infektion geführt hatte – Geruchs­ha­l­lu­zi­na­tionen hinzugekommen seien und sich ihre Beschwerden verschlimmert sowie psychische Beein­träch­ti­gungen verursacht hätten. Eine behandelnde Ärztin, die in erster Instanz auch als sachverständige Zeugin befragt wurde, bescheinigte der Klägerin, dass es bei dieser aufgrund von Entzündungen der Haut zu einem verstärkten Juckreiz und einem Gefühl des Unwohlseins gekommen sei, was zu einem sozialen Rückzug, Lustlosigkeit und Selbstabwertung führe. Hieraus habe sich nun zusätzlich, bedingt durch die fehlende Anerkennung durch den Beklagten, eine Verbitterungsstörung entwickelt.

Verbit­te­rungs­störung nicht der Impfung zuzurechnen

Die Klägerin blieb mit ihrem Begehren vor dem Landes­so­zi­al­gericht erfolglos. Insbesondere aufgrund der Verbesserung der Hepatitis-C-Infektion kam nach den medizinischen Ermittlungen ein höherer GdS nicht in Betracht. Soweit psychische Beein­träch­ti­gungen der Klägerin zumindest teilweise auf die Hepatitis-C-Infektion und deren Folgen zurückgeführt werden konnten, führten diese im Ergebnis nicht zu einer Erhöhung des GdS. Für die bei der Klägerin diagnostizierte Verbit­te­rungs­störung als Sonderform der Verbit­te­rungs­re­aktion aufgrund der – nach Ansicht der Klägerin – unberechtigten Verweigerung der Anerkennung ihrer Schädi­gungs­folgen durch den Beklagten fehlte es schon an einer reellen Grundlage.

Verbit­te­rungs­störung nicht ursächlich auf die vom AntiDHG erfasste Schädigung zurückzuführen

Jedenfalls war die Verbit­te­rungs­störung aber nicht rechtlich ursächlich auf die vom AntiDHG erfasste Schädigung zurückzuführen. Sie resultiert nicht unmittelbar aus der Hepatitis-C-Infektion und ist auch nicht mittelbar durch diese verursacht worden. Vielmehr beruht sie auf der eigen­ver­ant­wort­lichen, den Zurech­nungs­zu­sam­menhang unterbrechenden Entscheidung des Beklagten, die sich zudem zur Überzeugung des zuständigen Senats, wie auch des in erster Instanz entscheidenden Sozialgerichts Freiburg, als rechtmäßig erwiesen hat. Das Nicht­durch­dringen selbst mit einem berechtigten Begehren gegenüber einem Sozia­l­leis­tungs­träger ist ein allgemeines Lebensrisiko und nicht vom Schutzzweck des sozialen Entschä­di­gungs­rechts, damit auch nicht vom AntiDHG, umfasst. Das soziale Entschä­di­gungsrecht beinhaltet keine Anspruchs­grundlage für die Entschädigung von jeglichen Folgen exekutiven Unrechts.

Quelle: Landessozialgericht Baden-Württemberg, ra-online (pm/ab)

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