21.11.2024
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Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil17.07.2018

Stationäre Rehabilitation auch bei Demen­zer­krankten möglichKosten für Reha-Maßnahme in Alzheimer-Therapiezentrum in Begleitung des Ehepartners sind von Krankenkasse zu erstatten

Das Landes­so­zi­al­gericht Baden-Württemberg hat entschieden, dass auch bei fortge­schrittener Demenz das Bestehen von Rehabilitations­fähigkeit und einer positiven Prognose für eine stationäre Rehabilitations­maßnahme nicht ausgeschlossen ist. Abzustellen ist auf die konkret-individuellen Rehabilitations­ziele (hier: Verlangsamung des Krankheits­progresses, körperliche und geistige Aktivierung). Das Landes­sozial­gericht verurteilte damit eine Krankenkasse dazu, einer 78-jährigen, an Alzheimer erkrankten Versicherten, die Kosten in Höhe von rund 5.600 Euro für eine vierwöchige Reha-Maßnahme in einem Alzheimer-Therapiezentrum in Begleitung des Ehemannes zu erstatten.

Die Versicherte des zugrunde liegenden Verfahrens leidet seit 2013 an Alzheimer. Ihre behandelnden Fachärzte für Neurologie befürworteten und beantragten 2016 eine stationäre Reha-Maßnahme in einem speziell auf Alzheimer-Patienten ausgerichteten Therapiezentrum. Die Ärzte führten aus, dass derzeit eine leichte bis mittelschwere Demenz vom Alzheimer-Typ vorliege. Mit der stationären Behandlung könne der Krank­heits­verlauf voraussichtlich günstig beeinflusst werden. Als Rehabi­li­ta­ti­o­nsziele wurden körperliche und geistige Aktivierung sowie Hilfe zur teilweisen Selbsthilfe genannt. Die Rehabi­li­ta­ti­o­ns­fä­higkeit wurde in allen Punkten bejaht (ausreichende physische und psychische Belastbarkeit; erforderliche Mobilität, ausreichende Motivation, Motivierbarkeit). Der von der Krankenkasse eingeschaltete Medizinische Dienst der Kranken­ver­si­cherung Baden-Württemberg (MDK) notierte jedoch lediglich stichwortartig, es bestehe keine Reha-Fähigkeit und keine positive Reha-Prognose, ohne auf das Krankheitsbild der Versicherten und die von den Ärzten genannten Ziele einzugehen.

Versicherte verlangt Kosten für selbst­or­ga­ni­sierte Reha-Maßnahme von Krankenkasse erstattet

Die Krankenkasse lehnte die Gewährung der Reha-Maßnahme ab. Widerspruch und Klage blieben vor dem Sozialgericht Mannheim erfolglos. Die Versicherte beschaffte sich darauf die Reha-Maßnahme selbst und führte in Begleitung ihres Ehemannes einen vierwöchigen Aufenthalt im Alzheimer-Therapiezentrum durch. Abzüglich des Selbstbehalts entstanden dabei Kosten in Höhe von rund 5.600 Euro, die die Versicherte nunmehr im Berufungs­ver­fahren vor dem Landes­so­zi­al­gericht von der Krankenkasse erstattet verlangte. Sie vertrat die Auffassung, dass die Ablehnung spekulativ und nicht ausreichend begründet gewesen sei.

Individuelle Verhältnisse, Art und Schwere der Erkrankung nicht ausreichend geprüft

Die Berufung der Klägerin war in allen Punkten erfolgreich. Das Landes­so­zi­al­gericht Baden-Württemberg verurteilte die Krankenkasse zur Übernahme der Kosten. Die Ableh­nungs­ent­scheidung der Krankenkasse sei rechtswidrig gewesen, weil sie die individuellen Verhältnisse, Art und Schwere der Erkrankung und die für die Versicherte möglichen und wichtigen Behand­lungsziele nicht ausreichend geprüft und gewürdigt habe, sondern sich nur auf die unzureichende, spekulativ anmutende, ablehnende Stellungnahme des MDK gestützt habe.

Voraussetzungen für Anspruch auf Rehabilitation erfüllt

Der Anspruch auf Rehabilitation setze Behand­lungs­be­dürf­tigkeit, Rehabi­li­ta­ti­o­ns­fä­higkeit und eine positive Rehabi­li­ta­ti­o­ns­prognose voraus. Alle drei Voraussetzungen hätten laut Gericht vorgelegen. Dies ergebe sich nicht nur aus den Stellungnahmen der behandelnden Ärzte, sondern auch aus dem Entlas­sungs­bericht der Reha-Einrichtung. Die Versicherte habe sich an allen Thera­pie­an­geboten beteiligen können. Zudem sei sie im Kontakt mit anderen Familien kommunikativer und vertrauter geworden. Bereits nach kurzer Zeit sei sie erfolgreich in das Thera­pie­programm integriert worden. Sie habe in den Bereichen Motorik und Ausdauer Fortschritte gemacht und konnte zuletzt wieder über 3.000 Meter mit Rollator gehen. Die nonverbalen Thera­pie­ein­heiten (Bewegungs­therapie, z.B. Ballspiele, Bewegung nach Musik), musiko­ri­en­tierte Gruppen (z.B. Singen) sowie alltags­ori­en­tierte Therapie (tiergestützte Therapie, Spiele) hätten einen antriebs- und stimmungs­stei­gernden Effekt erzielt. Sogar die kommunikativen Fähigkeiten seien gestärkt worden, was vor allem im Rahmen der Erinne­rungs­therapie deutlich geworden sei. Wegen der umfangreichen Behandlungen sei eine stationäre Behandlung erforderlich gewesen, ambulante Maßnahmen hätten nicht ausgereicht. Auch die Begleitung des Ehemannes sei notwendig gewesen. Die Krankenkasse müsse der Versicherten daher - abzüglich des Selbstbehalts - die Restkosten in Höhe von rund 5.600 Euro erstatten.

Sozial­ge­setzbuch (SGB) Fünftes Buch

Gesetzliche Kranken­ver­si­cherung

§ 11 Absatz 2 Satz 1 SGB V

Versicherte haben auch Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie auf unter­halts­si­chernde und andere ergänzende Leistungen, die notwendig sind, um eine Behinderung oder Pflege­be­dürf­tigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern.

Quelle: Landessozialgericht Baden-Württemberg/ra-online

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