Dokument-Nr. 16907
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- Hundehalterin haftet bei einem durch den Hund verursachten Sturz einer Kundin auf SchmerzensgeldLandgericht Coburg, Urteil21.11.2012, 13 O 341/12
- Kein Unfallversicherungsschutz bei Bissverletzungen nach Angriff durch Hund des NachbarnLandessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil31.08.2012, L 8 U 4142/10
- Sturz über schlafenden Hund begründet TierhalterhaftungOberlandesgericht Hamm, Urteil15.02.2013, 19 U 96/12
Landgericht Nürnberg-Fürth Urteil22.09.1992
Hunde-Zweikampf: Hundehalter des angreifenden Hundes haftet auch ohne VerschuldenKein Mitverschulden des anderen Tierhalters, der Hunde auseinanderbringt und dabei gebissen wird
Für Schäden, die sein Tier anrichtet, haftet der Tierhalter in der Regel sogar ohne Verschulden. So zum Beispiel dann, wenn sein Hund unvermittelt mit einem kleinen Artgenossen zu raufen anfängt und ihn verletzt.
Geht bei einem solchen Kampf der Besitzer des angegriffenen Hundes dazwischen, um ihn aus seiner bedrohlichen Lage zu befreien, und wird er bei dem Rettungsversuch gebissen, so kann er vom Halter des Angreifer-Hundes zusätzlich Schmerzensgeld verlangen.
Ob sich der Verletzte ein Mitverschulden entgegenhalten lassen muß, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, daß man kämpfende Hunde keinesfalls mit der ungeschützten Hand trennen darf, gibt es jedenfalls nicht, stellte des Landgericht Nürnberg-Fürth fest. Es verurteilte deshalb den Eigentümer des aggressiven Hundes zum vollen Schadensersatz und wies den Einwand, der Verletzte habe sich den Biß durch sein unbedachtes Eingreifen selber zuzuschreiben, als unbegründet zurück.
Dem vorzuliegenden Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Vorfall ereignete sich Anfang der 90er Jahre. Beteiligt waren auf der einen Seite der zehn Monate alte Rauhhaar-Teckel des Klägers, auf der anderen der sieben Jahre alte Riesenschnauzer-Rüde des Beklagten. Vier Tage vor Weihnachten ging der Kläger mit seinem ordnungsgemäß angeleinten Teckel spazieren. Sein Weg führte ihn am Auto des Beklagten vorbei.
Nach dem Beschnuppern folgte das Geraufe
Der Beklagte war mit seiner Familie erst kurz zuvor angekommen. Auch der Riesenschnauzer war soeben erst aus dem Fahrzeug gesprungen und deshalb noch nicht angeleint. Zunächst stand er noch ruhig neben der Tochter des Klägers, die auf den Hund aufpassen sollte. Als aber der Riesenschnauzer seinen viel kleineren Artgenossen herannahen sah, lief er auf ihn zu. Zuerst beschnupperten sich beide Tiere, kurz darauf - nach Meinung des Beklagten, weil der Teckel keine "Unterwerfungsgeste" machte - begannen sie zu raufen. Vergeblich versuchte die Tochter, den körperlich weit überlegenen Riesenschnauzer zurückzurufen. Schließlich sah der Kläger keinen anderen Ausweg mehr, als dazwischenzugehen und die erregten Tiere zu trennen.
Teckel verstarb wenige Stunden später
Für seinen Teckel kam jedoch die Hilfe zu spät. Trotz tierärztlicher Behandlung starb er wenige Stunden später. Auch der Kläger selbst trug Verletzungen davon; denn beim Versuch, den eigenen Hund loszureißen, wurde er von einem der beiden Hunde in die linke Hand gebissen.
Haftpflichtversicherung wirft Beklagten erhebliches Mitverschulden vor
Die Haftpflichtversicherung des Beklagten erklärte sich bereit, dem Kläger 300 DM Schadensersatz sowie 400 DM Schmerzensgeld zu zahlen. Seine darüber hinausgehenden Forderungen lehnte sie ab, u.a. mit der Begründung, der Verletzte müsse sich ein erhebliches Mitverschulden vorwerfen lassen. Schließlich sei es allgemein bekannt daß man bei einer Rauferei unter Hunden nicht mit den bloßen Händen dazwischengehen soll.
Kläger hat Anspruch auf Schadensersatz
Das Landgericht Nürnberg-Fürth gab jedoch der Klage zum größten Teil statt. Es sprach dem Kläger 1.844 DM Schadensersatz zu (darunter 500 DM für die Anschaffung eines 9 Wochen alten Hundes, 500 DM Aufzuchtkosten sowie 120 DM Impfkosten). Zusätzlich bewilligte es ihm für die Bißverletzungen an der Hand 800 DM Schmerzensgeld.
Tierhalter haftet für das Verhalten seines Tieres
Für all diese Schadensfolgen muß der Beklagte bzw. die hinter ihm stehende Haftpflichtversicherung schon deshalb aufkommen, weil er als Hundehalter für sein Tier verantwortlich ist. Ob er die Verletzungsfolgen verschuldete, insbesondere ob er die Reaktion seines Hundes voraussehen und beherrschen konnte, ist unerheblich. Denn gerade deshalb, weil das tierische Verhalten vielfach unberechenbar und nicht steuerbar ist, hat der Gesetzgeber die Tierhalter-Haftung als "Gefährdungshaftung" ausgestattet (§ 833 BGB). Das bedeutet, daß ein Tierhalter für das Verhalten seines Tieres selbst dann haftet, wenn ihm persönlich weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit anzulasten ist.
Kläger befand sich im Verteidigungsnotstand
Die vom Beklagten beantragte Kürzung des Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruchs wegen Mitverschuldens lehnte das Gericht ausdrücklich ab. Der Kläger, so heißt es in den Entscheidungsgründen, befand sich im Verteidigungsnotstand. Infolgedessen hätte er den angreifenden Riesenschnauzer sogar gezielt verletzen dürfen, etwa durch Schläge oder Fußtritte, wenn dies zur Abwehr erforderlich gewesen wäre. Statt dessen entschied er sich für ein schonenderes Mittel und versuchte, seinen Hund mit der Hand wegzuziehen. Dies ist unter den gegebenen Umständen nicht zu beanstanden, meinten die Richter.
Anders wäre möglicherweise zu entscheiden gewesen, wenn etwa sein eigener Hund der Angreifer gewesen wäre oder wenn der Kläger von vornherein mit gefährlichen Verletzungen hätte rechnen müssen, z.B. bei einem Kampf zwischen zwei Bullterriern. So liege der Fall aber hier nicht.
Tiergefahr des nicht angeleinten und körperlich überlegenen Hundes überwiegt
Wäge man die von beiden Hunden ausgehende Tiergefahr gegeneinander ab, überwiege die des nicht angeleinten, körperlich überlegenen und noch dazu angreifenden Riesenschnauzers so eindeutig, daß es nicht gerechtfertigt wäre, den Kläger auch nur mit einem Teil seines Schadens zu belasten.
Erläuterungen
Hinweise zur Rechtslage:§ 833 Haftung des Tierhalters
Wird durch ein Tier ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist derjenige, welcher das Tier hält, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.
Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Schaden durch ein Haustier verursacht wird, das dem Berufe, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalte des Tierhalters zu dienen bestimmt ist, und entweder der Tierhalter bei der Beaufsichtigung des Tieres die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet oder der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 10.10.2013
Quelle: ra-online (pm)
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