21.11.2024
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Dokument-Nr. 9462

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Landgericht München I Beschluss08.04.2010

LG München legt EuGH Frage zu möglichem Verstoß des Bundes bei Übernahme der Hypo Real Estate vorGesetzliche Verkürzung der Einbe­ru­fungsfrist verstößt möglicherweise gegen europäisches Recht

Das Landgericht München I hat dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die Frage vorgelegt, ob der Bund bei der Übernahme der Hypo Real Estate (HRE) gegen das Europarecht verstoßen hat.

Mehrere HRE-Aktionäre hatten den Beschluss der Hauptversammlung der HRE vom 2. Juni 2009 angefochten, mit dem das Grundkapital der HRE um bis zu 5,6 Mrd. € erhöht werden sollte, wobei die Aktionäre vom Bezug der im Zuge dessen neu ausgegebenen Aktien ausgeschlossen wurden. Die neuen Aktien durfte nur der Bund erwerben.

Hintergrund

Der HRE drohte in den Jahren 2008 und 2009 mehrfach der finanzielle Kollaps. Daran änderte sich auch nichts, als der Bund und einige Privatbanken die Liquidität der HRE zwischen­zeitlich mehrmals durch Finanzhilfen in Milliardenhöhe gesichert hatten. Deshalb beschloss der Bund schließlich, die HRE zu übernehmen. Durch das Angebot, den HRE-Aktionären die Aktien für je 1,39 € abzukaufen, konnte allerdings lediglich eine Aktien­be­tei­ligung von ca. 47 % erworben werden. Zum Erwerb der gesamten Bank musste allerdings eine Aktien­be­tei­ligung von mindestens 90 % erworben werden, um dann auch noch die restlichen Aktionäre hinausdrängen zu können (so genanntes Squeeze out). Die Wirksamkeit des Squeeze-Out-Beschlusses, der später gefasst wurde, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

Kläger sehen sich durch Verkürzung der Einbe­ru­fungsfrist in Mitwirkungs- und Teilnahmerechte als Aktionäre verletzt

Einige Aktionäre griffen den Beschluss über die Kapitalerhöhung mit Anfech­tungs­klagen an. Sie sehen sich durch die Kapitalerhöhung enteignet. Sie greifen den Haupt­ver­samm­lungs­be­schluss aber auch deshalb an, weil der Bund im Jahr 2009 mit dem so genannten Finanz­ma­rkt­sta­bi­li­sie­rungs­be­schleu­ni­gungs­gesetz die gesetzliche Frist zur Einberufung einer Haupt­ver­sammlung von mindestens 30 Tagen auf mindestens einen Tag verkürzt hatte, damit im Notfall - wie etwa bei der HRE - schnell gehandelt werden konnte. Die HRE machte bei der Einberufung der Haupt­ver­sammlung von dieser Möglichkeit der Verkürzung Gebrauch. Durch diese Verkürzung der Einbe­ru­fungsfrist sehen die Kläger ihre Mitwirkungs- und Teilnahmerechte als Aktionäre verletzt.

EuGH-Vorlage zur Zulässigkeit von verkürzten Einbe­ru­fungs­fristen für eine Haupt­ver­sammlung

Das Landgericht München I verneint mit ihrem ausführlich begründeten Beschluss zwar, dass es im Zusammenhang mit dem angegriffenen Haupt­ver­samm­lungs­be­schluss - etwa durch den Ausschluss des Bezugsrechts - zur Verletzung von Grundrechten gekommen ist; es liegt danach weder eine Enteignung noch eine unver­hält­nis­mäßige Beschränkung des Eigen­tums­grund­rechts der Aktionäre vor. Das Finanz­ma­rkt­sta­bi­li­sie­rungs­be­schleu­ni­gungs­gesetz ist auch kein nach dem Grundgesetz unzulässiges Einzel­fa­ll­gesetz. Das Gericht hält es aber für möglich, dass durch die gesetzliche Verkürzung der Einbe­ru­fungsfrist, die in diesem Fall genutzt wurde, gegen europäisches Recht verstoßen wurde. Nach einer EU-Richtlinie betreffend die Ausübung von Aktio­närs­rechten (2007/36/EG) muss die Einbe­ru­fungsfrist für eine Haupt­ver­sammlung nämlich mindestens 21 Tage betragen, damit sich die Aktionäre ausreichend vorbereiten können. Diese Richtlinie war bis zum 3. August 2009 umzusetzen. Die mit dem Finanz­ma­rkt­sta­bi­li­sie­rungs­be­schleu­ni­gungs­gesetz auf einen Tag verkürzte Frist trat am 2. August 2009 außer Kraft. Da der EuGH bereits mehrfach entschieden hat, dass die Mitgliedstaaten unter bestimmten Umständen Richtlinien auch schon vor Ablauf der Umsetzungsfrist zu beachten haben, hat das Landgericht dem EuGH nun die Frage vorgelegt, ob dies auch in diesem Fall gilt. Die Vorlage europa­recht­licher Vorfragen an den EuGH ist für letzt­in­sta­nzlich entscheidende Gerichte zwingend, für erstinstanzlich entscheidende Gerichte - wie hier das Landgericht - ist sie fakultativ.

Quelle: ra-online, LG München I

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