21.11.2024
21.11.2024  
Sie sehen einen Gerichtshammer, der auf verschiedenen Geldscheinen liegt.

Dokument-Nr. 31398

Drucken
ergänzende Informationen

Landgericht Leipzig Urteil08.07.2021

LG Leipzig: Individuelle Vereinbarung über Strafzinsen für neue Girokonten zulässigLandgericht Leipzig zur Zulässigkeit von Verwahrentgelt für Guthaben auf Girokonten durch individuellen Vertrag

Das Landgericht Leipzig hat der Sparkasse Vogtland in einem von der Verbrau­cher­zentrale Sachsen gegen sie geführten Verfahren Recht gegeben und entschieden, dass die Sparkasse in neuen Giroverträgen mit Verbrauchern Negativzinsen für Guthaben über einem Freibetrag von 5.000,01 Euro vereinbaren darf. Sofern ein solches Verwahrentgelt individuell mit dem Kunden vereinbart werde, handele es sich dabei um eine kontrollfreie wirksame Preis­haupt­abrede.

Die Sparkasse hatte für neue Privat­gi­ro­konten sowie für Konto­mo­dell­wechsel vertraglich vorgesehen, dass auf Guthaben ab 5.001,01 Euro ein Verwahrentgelt (Strafzinsen) von ,7 Prozent Jahreszinsen zu zahlen sei. Gegen dieses Klausel wandte sich die Verbrau­cher­zentrale Sachsen und erhob Klage mit dem Antrag, der Bank die Verwendung dieser Klausel zu untersagen. Das Landgericht gab jedoch der Sparkasse Recht, da es sich bei der entsprechenden Verwah­rent­gelt­klausel in den von der Bank verwendeten Giroverträgen um eine kontrollfreie wirksame Preis­haupt­abrede handele, die ausschließlich über eine individuelle Vereinbarung - und nicht über den Preisaushang oder die Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen der Bank in die abgeschlossene Verträge einbezogen werden. Das Verwahrentgelt wird ausschließlich für neue Girokonten vereinbart und nicht bei Altverträgen erhoben.

Darin, dass es sich bei der Verwah­rent­gelt­klausel um individuelle Vereinbarungen zwischen der Bank und den Kunden handelt, unterscheidet sich der vom Landgericht Leipzig entschiedene Fall von anderslautenden Urteilen anderer Gerichte (Landgericht Düsseldorf, Urteil vom 22.12.2021, Az. 12 O 34/21 und Landgericht Berlin, Urteil vom 28.10.2021, Az. 16 O 43/21).

Verwahrung des Guthabens als eigenständige Hauptleistung der Bank

Neben den Zahlungs­diens­te­leis­tungen als Haupt­leis­tungs­pflicht der Bank ergibt sich aus dem Girovertrag eine Verwahrfunktion des Girokontos. Die den Sichteinlagen zugrunde liegenden Vertrags­be­zie­hungen, so das Landgericht Leipzig, sind aufgrund des jederzeitigen Rückfor­de­rungs­rechts der Kunden als unregelmäßige Verwahrung gemäß § 700 BGB zu qualifizieren und stellen ein im Verhältnis zum Girovertrag eigenständiges Vertrags­ver­hältnis dar. Deshalb seien die mit der Sparkasse für die Verwahrung vereinbarten Strafzinsen nicht schon Teil der mit dem Girovertrag bereits geschuldeten Leistungen.

Eigenständiger Verwah­rungs­vertrag neben Girovertrag

Vielmehr sei die Verwah­rungs­leistung der Bank eine eigenständige Hauptleistung eines neben dem Girovertrag bestehenden atypischen Verwah­rungs­ver­trages. Die mit Unterzeichnung der entsprechenden Vertragsklausel sei die dafür vereinbarte Gegenleistung, die der Kunde als Vergütung für die Verwah­rungs­leistung der Bank zu zahlen habe. Die Vergütung für die Verwahrung stelle deshalb eine Preis­haupt­abrede dar und unterliege nicht der Inhalts­kon­trolle gemäß § 307 BGB für Allgemeine Geschäfts­be­din­gungen.

Darlehensrecht erlaubt atypische Regelungen durch individuelle Vereinbarung

Aufgrund des dispositiven Charakters der gesetzlichen Vorschriften zur unregelmäßigen Verwahrung gemäß § 700 BGB sei es der Sparkasse und ihren Kunden unbenommen, eine vom gesetzlichen Leitbild des Darlehensrechts abweichende Vertrags­ge­staltung zu vereinbaren und eine gesonderte Verwahrgebühr zu erheben. Denn bei Geldern auf einem Girokonto müsse es sich nicht zwingend um Einlagen zur ausschließ­lichen Abwicklung der mit dem Girovertrag einhergehenden Zahlungs­dienst­leis­tungen der Bank handeln. Es könne sich auch um finanzielle Mittel handeln, die auf dem Konto aufbewahrt werden sollen, um bei Bedarf abgehoben zu werden.

Zu berücksichtigen sei auch, dass den Banken aufgrund der Leitzinspolitik der Europäischen Zentralbank bei Guthaben auf Girokonten Kosten entstehen, die das Bedürfnis nach geänderten Vertrags­ge­stal­tungen für Bankguthaben hervorgerufen haben.

Sofern es Bankkunden bei ihrem Girokon­to­guthaben vorrangig um eine sichere Verwahrung ihres Geldes geht und die jederzeitige Zugriffs­mög­lichkeit zwecks Abwicklung des unbaren Zahlungs­verkehrs im Vordergrund des Vertrags­ver­hält­nisses mit der Bank steht, ist der Abschluss eines entsprechend angepassten Vertrags­ver­hält­nisses, d.h. eines Kapita­l­ver­wah­rungs­ver­trages sui generis zwischen Bank und Kunde, deshalb rechtlich zulässig und möglich.

Kein Bedürfnis für rechtliche Kontrolle des Verwahrentgelts bei individueller Klausel­ver­ein­barung

An dieser Einschätzung ändere auch die Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs nichts, derzufolge bereits eine Abweichung vom gesetzlichen Leitbild des Darlehensrechts, wie es vorliegend der Fall sei, zur Inhalts­kon­trolle der entsprechenden Klausel gemäß § 307 BGB führe.

Zwar sei die formularmäßige Einführung von Strafzinsen über Allgemeine Geschäfts­be­din­gungen möglicherweise problematisch, da das Darlehensrecht vorsehe, dass die Verwah­rungs­funktion eines Bankkontos bereits durch die Nutzungs­mög­lichkeit des Kapitals durch die Bank abgegolten sei.

Jedoch sei in den vorliegenden Verträgen der Sparkasse die entsprechende Verwah­rent­gelt­klausel individuell in die Verträge einbezogen worden. Die Kunden würden die Klausel somit als Gegenleistung für die Verwahrung ihres Guthabens wahrnehmen und einen Verwah­rungs­vertrag abschließen. Aus diesem Grund bestehe kein Bedürfnis für eine rechtliche Kontrolle der Entgeltklausel.

Gesetzgeber hat bei Regelung der Zahlungsdienste negative Leitzinsen der EZB nicht bedacht

Auch könne nicht ausgeblendet werden, dass die gesetzliche Konzeption des Girovertrags die Möglichkeit eines negativen Zinsniveaus, wie es derzeit herrsche, gar nicht vorsehe. Dies führe dazu, dass die vom Gesetzgeber als Kompensation für die Verwahrung des Guthabens zugrunde gelegte Kapita­l­nut­zungs­mög­lichkeit der Bank bei negativen Zinsen gar nicht mehr bestehe und stattdessen bei Zahlung von Einlagezinsen an die Europäische Zentralbank zu einer finanziellen Belastung für die Bank werde.

Auch Sparkassen müssen sich trotz Gemein­wohlo­ri­en­tierung dem Markt anpassen

Auch dass es sich bei der Bank um eine Sparkasse handele, die als solche gemäß § 2 Absatz 1 Satz 4 ÖRKredInstG einer gemein­wohlo­ri­en­tierten Aufgabe verpflichtet sei, führe zu keiner anderen Beurteilung. Denn auch Sparkassen stehen mit andern Banken im Wettbewerb und müssen sich den jeweiligen Maktge­ge­ben­heiten und Markt­zin­s­ent­wick­lungen anpassen, um die Versorgung mit geld- und kredit­wirt­schaft­lichen Leistungen sicherzustellen. Eine einseitige Gemein­wohlo­ri­en­tierung wäre kein tragfähiges Geschäftsmodell.

Verwahrentgelt im konkreten Fall keine überraschende Allgemeine Geschäfts­be­dingung

Bei der Verwahrklausel handelt es sich, so das Landgericht, im konkreten Fall auch nicht um eine überraschende Klausel. Die Kunden wurden durch Beratungs­ge­spräche und die zur Unterzeichnung vorgelegte Klausel, mit der jeweils eine individuelle Vereinbarung zur Einbeziehung und Geltung der Verwah­rent­gelt­klausel getroffen wurde, hinreichend aufgeklärt.

Die Problematik der Negativzinsen sei auch dem durch­schnittlich informierten Verbraucher nicht mehr fremd. Dem Vertrag lasse sich eindeutig entnehmen, dass zusätzlich zu den Konto­füh­rungs­ge­bühren ein Verwahrentgelt erhoben wird. Die entsprechende Vertragsanlage mit der Verwah­rent­gelt­klausel war zudem mit "Verwahrentgelt zu Girokonto" überschrieben und musste individuell bei Vertrags­neu­ab­schluss unterzeichnet werden. Damit war der Charakter des gesonderten Entgelts für die Verwahrleistung für den durch­schnitt­lichen Kunden unschwer zu erfassen.

Das Gericht führt weiter aus, dass mit dem medial geprägten Bewusstsein der Bankkunden für die Thematik eines gesonderten Verwahrentgelts oder eines so bezeichneten "Negativzinses" davon ausgegangen werden dürfe, dass eine Überraschungs- oder Überrum­pe­lungs­si­tuation bei zusätzlicher Erläuterung durch einen Berater und einer eigens zu unter­schrei­benden Anlage mit den entsprechenden Informationen zum Verwahrentgelt nicht vorlag.

Keine unzulässige doppelte Bepreisung: Gutha­ben­ver­wahrung als eigenständige Hauptleistung der Bank

Auch den Vorwurf einer doppelten Bepreisung für die gleiche Leistung, mit dem in anderen Fällen die Unwirksamkeit ähnlicher Verwah­rent­gelt­klauseln begründet worden war (siehe Landgericht Düsseldorf, Urteil vom 22.12.2021, Az. 12 O 34/21), wies das Landgericht Leipzig in vorliegendem Fall zurück. Die Verwah­rent­gelt­klausel sei nur in neu abzuschlie­ßenden Verträgen vereinbart worden und gelte nicht für Altverträge.

Es handele sich somit nicht um ein zusätzliches, sondern um ein erstmaliges Verlangen eines Entgelts für die nunmehr gesondert zu vergütende Verwahrleistung. Eine unzulässige doppelte Bepreisung einer einheitlichen Leistung, wie es bei den streitigen Giroverträgen anderer Bankinstitute in der Vergangenheit der Fall gewesen sein mag, ist daher nicht gegeben.

Quelle: Landgericht Leipzig, ra-online (vt/we)

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil31398

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI