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Landgericht Itzehoe Urteil19.11.2009
Kein Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld nach Festnahme bei SEK-EinsatzErhebliche Anscheinsgefahr rechtfertigt Eingreifen der Polizei
Erweckt eine Sachlage den Anschein einer polizeilichen Gefahr, darf die Polizei eingreifen und zwar bis über das tatsächliche Vorliegen einer Gefahr Klarheit besteht. Sofern sich im Nachhinein herausstellt, dass keine Gefahr von der verdächtigen Person ausgeht, ist ein SEK-Einsatz bei erheblicher Anscheinsgefahr dennoch gerechtfertigt. Ein Schadensersatz oder Schmerzensgeld steht der beim SEK-Einsatz festgenommenen Person hierbei nicht zu. Dies entschied das Landgericht Itzehoe.
Im zugrunde liegenden Fall alarmierte die getrennt lebende Ehefrau des Klägers am 17. Oktober 2007 telefonisch die Polizei und erklärte, der Kläger sei vor ihrem Haus mit einer Schusswaffe aufgetaucht. Den daraufhin erschienenen Polizeibeamten berichtete sie ebenso wie ihre anwesenden Brüder: Am 17. Oktober 2007 gegen 20.30 Uhr habe einer ihrer Brüder einen Anruf einer männlichen Person erhalten, die seine Familie bedroht habe, während er im Hintergrund die Stimme des Klägers erkannt habe. Daraufhin habe er den Kläger angerufen und dieser habe ihn bedroht. Deshalb hätten sich die Ehefrau des Klägers und ihre Brüder bei ihm getroffen. Dort hätten sie gegen 22.30 Uhr einen Knall gehört und festgestellt, dass die Seitenscheibe des Pkw eingeschlagen worden sei. Anschließend habe er einen weiteren Droh-Anruf des Klägers erhalten. Schließlich sei der Kläger gegen 22.50 Uhr auf den Hof gefahren, habe auf dem Auto eine Langwaffe in Anschlag gebracht, auf die Küche gezielt und gerufen: „Kommt raus. Die drei Kugeln habe ich auch noch übrig.“ Auf die Ankündigung, die Polizei zu alarmieren, hätte sich der Kläger zurückgezogen. Die Ehefrau gab weiter an, es könne sein, dass sich weitere Personen im Hause des Klägers befänden.
SEK und Polizei beschließen Festnahme
Die Beamten stellten fest, dass die Scheibe am Pkw des Bruders tatsächlich zerstört war, und entschlossen sich nach Rücksprache mit dem Leiter der Polizeidienststelle zur Überwachung des – im Obergeschoss beleuchteten - Wohnhauses des Klägers und zur Einschaltung des SEK. Das SEK und die Beamten entschlossen sich nach einer taktischen Besprechung zur Festnahme des Klägers in seiner Wohnung. Am 18. Oktober 2007 gegen 2 Uhr erschien der nur mit einer Unterhose bekleidete Kläger am Schlafzimmerfenster. Das SEK richtete einen Scheinwerfer auf ihn und forderte ihn auf, am Fenster stehen zu bleiben. Im selben Moment brachen weitere Beamte die Wohnungstür des Klägers auf – wodurch die Glasscheibe beschädigt wurde - und nahmen den Kläger fest. Darüber hinaus stellten sie sämtliche Waffen, welche der Kläger legal besaß, sicher und verbrachten den Kläger auf die Polizeistation, wo er nach einer Untersuchung durch den Amtsarzt um 9.30 Uhr entlassen wurde.
Kläger verlangt Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen angeblich rechtswidrigem SEK-Einsatz
Der im März 2008 vom Kläger herangezogene Therapeut diagnostizierte eine posttraumatische Belastungsstörung. Daraufhin begehrte der Kläger außergerichtlich von dem beklagten Land ein Schmerzensgeld von 10.000,00 €. Die Ehefrau und deren Brüder sind zum Ersatz des Schadens aufgrund von Mittellosigkeit nicht in der Lage. Der Kläger behauptet, er habe seine Ehefrau nicht bedroht. Durch den Einsatz seien weitere Schäden an Laminatfußboden, Teppich, Gardinen und Tapeten entstanden. Insgesamt begehrt er neben dem Schmerzensgeld knapp 6.200,00 € Schadensersatz. Er meint, der SEK-Einsatz sei rechtswidrig gewesen, weil die Beamten weitere Anhaltspunkte hätten ermitteln müssen. Außerdem sei der Richtervorbehalt missachtet worden.
Beamte haben richtige Entscheidung getroffen
Der Beklagte meint, es käme allein darauf an, dass aus der damaligen Sicht von einer Bedrohungssituation ausgegangen werden musste und die Beamten daher die richtige Entscheidung getroffen hätten.
In der Urteilsbegründung führt das Gericht aus, dass die Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruchs nicht gegeben seien, weil die Zwangsmaßnahmen gegen den Kläger nicht rechtswidrig waren.
Eingreifen der Polizei gerechtfertigt
Hierfür kommt es nämlich nicht darauf an, ob von dem Kläger tatsächlich eine Gefahr ausging. Die Polizei darf auch dann, wenn eine Sachlage bei verständigem Ermessen den Anschein einer polizeilichen Gefahr erweckt, eingreifen und zwar bis über das tatsächliche Vorliegen einer Gefahr Klarheit besteht.
Erhebliche Anscheinsgefahr lag zweifelsfrei vor
In der konkreten Situation lag eine solche erhebliche Anscheinsgefahr vor. Die Ehefrau des Klägers und ihre Brüder wirkten verängstigt und beschrieben die Todesdrohungen glaubhaft im Wortlaut; die Pkw Scheibe war tatsächlich zerstört, so dass keine Zweifel an der Wahrheit ihrer Angaben bestanden. Da sich die Intensität der Bedrohungssituation innerhalb eines Zeitraums von 2 Stunden kontinuierlich gesteigert hatte, war nicht davon auszugehen, dass sie mit dem Inanschlagbringen eines Gewehres die letzte Stufe der Eskalation erreicht hatte. Daher lag es auch für einen objektiven Beobachter im Bereich des Möglichen, dass der Kläger versuchen würde, seine Todesdrohungen zeitnah zu verwirklichen.
Gelegenheit zum freiwilligen Verlassen des Hauses musste nicht gegeben werden
Das Gericht ist weiter der Auffassung, dass die Verhältnismäßigkeit der Mittel bei dem SEK-Einsatz gewahrt war. Mildere, gleich wirksame Mittel waren – aus damaliger Sicht – nicht ersichtlich, zumal nicht auszuschließen war, dass sich weitere Personen im Haus befanden. Insbesondere hätte die Polizei dem unbewaffnet am Fenster erscheinenden Kläger nicht Gelegenheit geben müssen, sich freiwillig aus dem Haus heraus zu begeben, denn dann hätte die Gefahr bestanden, dass dieser von den in seinem Besitz befindlichen Waffen Gebrauch macht.
Richterliche Anordnung nicht erforderlich
Einer richterlichen Anordnung bedurfte es nicht, weil eine solche zur Nachtzeit im Bezirk des Amtsgerichts Meldorf nicht zu erlangen ist. Aufgrund der Rechtmäßigkeit des Handelns der Polizeibeamten war die Klage abzuweisen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 08.12.2009
Quelle: ra-online, LG Itzehoe
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