21.11.2024
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Landgericht Hamburg Urteil10.02.2017

Teile des "Schmähgedichts" von Jan Böhmermann bleiben weiterhin verbotenLG Hamburg gibt Klage Erdogans auf Untersagung des gesamten Gedichts nur teilweise statt

Das Landgericht Hamburg hat seine vorangegangene Entscheidung des einstweiligen Verfügungs­verfahrens bestätigt und entschieden, dass einzelne Passagen des "Schmägedichts" von Jan Böhmermann über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan weiterhin verboten bleiben.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Beklagte, der Fernseh­mo­derator Jan Böhmermann, hat in seiner Sendung "Neo Magazin Royale" ein als "Schmähkritik" bezeichnetes Gedicht verlesen, in dem er sich mit dem Kläger, dem Präsidenten der türkischen Republik, befasst. Auslöser des Gedichtes war die Einbestellung des deutschen Botschafters aufgrund eines im ZDF ausgestrahlten Beitrages, der ebenfalls den Kläger zum Gegenstand hat. Die Verlesung des Gedichtes unterbrach der Beklagte mehrfach durch Gespräche mit seinem sogenannten Sidekick Kabelka. Das Gedicht wurde durch Untertitel in die türkische Sprache übersetzt.

Türkischer Präsident fühlt sich in seinem Persön­lich­keitsrecht verletzt

Der Kläger ist der Ansicht, dass er schwer in seinem allgemeinen Persön­lich­keitsrecht verletzt worden sei. Das Gedicht sei schlicht rassistisch. Mit einem Großteil der Beschimpfungen würden Türken seit Jahrzehnten beleidigt. Durch die Erklärung des Beklagten in der Sendung "Das kann bestraft werden" würden übelste Beschimpfungen nicht zu einer zulässigen Satire. Auch der Rechtsbruch zur Illustration sei ein Rechtsbruch.

Böhmermann verweist auf Meinungs- und Kunstfreiheit

Der Beklagte hat geltend gemacht, dass er sich auf die Meinungs- und Kunstfreiheit berufen könne. Das Gedicht sei im Gesamtkontext zu beurteilen. Es trage zur öffentlichen Meinungsbildung über die Grenzen von Satire bei. Es sei zudem der Umgang des Klägers mit seinen Kritikern zu berücksichtigen; der Kläger habe die Unterdrückung kritischer Stimmen auf die Spitze getrieben.

Fernsehbeitrag ist als Satire anzusehen

Das Landgericht Hamburg gab der Klage teilweise statt und untersagte dieselben Passagen wie im vorangegangenen einstweiligen Verfü­gungs­ver­fahren – der Kläger wollte das Gedicht insgesamt untersagen lassen. Das Gericht verwies darauf, dass für den Beklagten die Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG streitet und dass der Fernsehbeitrag Satire ist. Ob der Beklagte sich außerdem auf die – anders als die Meinungs­freiheit – vorbehaltlos gewährte Kunstfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 GG berufen kann, hat das Gericht offen gelassen, da dies zu keiner anderen Entscheidung geführt hätte. Zugunsten des Beklagten hat das Gericht bei der vorzunehmenden Abwägung angenommen, dass jener sich auf die Kunstfreiheit berufen kann. Dennoch falle die Abwägung hinsichtlich der untersagten Passagen zu seinen Lasten aus. Zu Gunsten des Klägers hat das Gericht hinsichtlich der nicht untersagten Passagen angenommen, dass die Kunstfreiheit nicht für den Beklagten streitet. Dennoch falle insoweit die Abwägung zu Lasten des Klägers aus.

Auch Kunstfreiheit ist nicht schrankenlos

Die Kunstfreiheit – so das Gericht – sei nach dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht zwar vorbehaltlos, aber nicht schrankenlos. Wenn sie mit anderen Werten wie dem verfas­sungs­rechtlich geschützten allgemeinen Persön­lich­keitsrecht kollidiere, auf das sich auch der Kläger als Ausländer berufen könne, so bedürfe es einer Abwägung. Hierbei sei zu beachten, dass Satire einen großen Freiraum beanspruchen dürfe. Auch eine durch die Kunstfreiheit geschützte Satire könne jedoch das allgemeine Persön­lich­keitsrecht des Betroffenen so in seinem Kernbereich berühren, dass sie zu untersagen sei.

Staatsoberhaupt muss sich auch besonders heftige Kritik gefallen lassen

Bei der vorzunehmenden Abwägung hat das Gericht den Gesamtkontext berücksichtigt, in den das Gedicht eingebettet ist, d.h. u.a. den Diskurs des Beklagten mit seinem Sidekick über die Meinungs­freiheit, den Hintergrund mit dem Porträt des Klägers und der türkischen Flagge sowie die Vorgeschichte mit der Einbestellung des deutschen Botschafters. Bei der Abwägung spielte auch der Umgang des Klägers mit Kritikern eine zentrale Rolle. Das Gericht betont weiterhin, dass gerade der Kläger als Staatsoberhaupt sich auch besonders heftige Kritik gefallen lassen müsse, da die Meinungs­freiheit aus dem besonderen Bedürfnis der Machtkritik erwachsen sei.

Erdogan muss untersagten Passagen nicht mehr hinnehmen

Unter Berück­sich­tigung des vom Bundes­ver­fas­sungs­gericht aufgestellten Maßstabes müsse der Kläger die untersagten Passagen nicht mehr hinnehmen. Zwar erkenne der Zuschauer, dass beispielsweise die in das Absurde gewendeten Beschreibungen des Sexuallebens des Klägers keinen realen Bezug hätten, aber Beleidigungen oder Beschimpfungen müsse der Betroffene nicht bereits deswegen hinnehmen, weil sie ersichtlich nicht ernst gemeint seien. Im Vordergrund stehe nicht nur die sexuelle Komponente, der Kläger werde als sexbesessene Person dargestellt, sondern es würden zudem als inakzeptabel geltende sexuelle Verhal­tens­weisen auf den Kläger bezogen, wie "Kinderpornos schauen". Der Kläger werde auf eine Stufe mit den beiden im Gedicht genannten öster­rei­chischen Sexual­straf­tätern gestellt. Es würden darüber hinaus nicht nur gegenüber Türken bestehende Vorurteile aufgegriffen, sondern der Kläger werde noch unterhalb eines Schweins bzw. "Schweinefurzes" stehend beschrieben. Es sei allgemein bekannt, dass für einen Moslem die Verbindung zu einem Schwein besonders verletzend sei. Es werde auch davon ausgegangen, dass der Beklagte gewusst habe, dass seine Antwort "Dies mache doch keiner" auf den Einwurf seines Sidekicks, das Gedicht werde doch nicht im Internet verbreitet werden, gerade nicht zutreffe. Das in Rede stehende Setting sei daher mit einer ansonsten üblichen juristischen Diskussion über die Grenzen der Meinungs- und Kunstfreiheit nicht vergleichbar.

Fehlendes Vorliegen einer Schmähkritik bedeutet nicht gleichzeitige Zulässigkeit der Äußerungen

Das Gericht führt in seinem Urteil aus, dass die Entscheidungen im straf­recht­lichen Verfahren nicht gegen die Untersagung sprächen, da die Staats­an­walt­schaft und General­staats­an­walt­schaft die Frage der Zulässigkeit der Darbietung gerade offen gelassen und eine Einstellung damit begründet hätten, dass kein Vorsatz anzunehmen sei. Die Frage eines Vorsatzes sei für den geltend gemachten Unter­las­sungs­an­spruch jedoch ohne Bedeutung. Die jüngste Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richtes, die zum Gegenstand hatte, ob ein Verteidiger eine Staatsanwältin gegenüber einem Journalisten u.a. als "durchgeknallt" bezeichnen dürfe, führe nicht zu einem anderem Ergebnis, da das Gericht, wie bereits im Beschluss zum einstweiligen Verfü­gungs­ver­fahren ausgeführt, eine Ausein­an­der­setzung in der Sache und damit keine Schmähkritik festgestellt habe. In dem fraglichen Beschluss mache das Bundes­ver­fas­sungs­gericht außerdem deutlich, dass allein die Tatsache, dass keine Schmähkritik vorliege, nicht die Zulässigkeit der Äußerung bedeute.

Die nicht untersagten Passagen erreichen nach Ansicht des Gerichtes nicht die notwendige Schwere, um sie zu untersagen. Zu Lasten des Klägers wirke sich hierbei insbesondere seine Politik in Hinblick auf Kritiker und seine Stellung als Politiker aus.

Untersagung nur einzelner Aussagen führt nicht zu unver­hält­nis­mäßigem Eingriff in künstlerische Gesamt­kon­zeption

Nach der höchst­rich­ter­lichen Rechtsprechung bestehe nur ein Anspruch auf Untersagung, soweit eine Rechts­ver­letzung vorliege und nicht darüber hinaus. Die Klage, die auch rechtmäßige Passagen zum Gegenstand habe, werde daher zum Teil abgewiesen. Die Rechtsprechung habe lediglich in Ausnahmefällen nicht nur die einzelnen rechtswidrigen Passagen untersagt, sondern das gesamte Werk, wenn durch eine Untersagung nur der rechtswidrigen Aussagen in die künstlerische Gesamt­kon­zeption unver­hält­nismäßig eingegriffen worden wäre. Letzteres sei hier nicht der Fall. Das Gedicht bleibe auch ohne die untersagten Passagen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die konkrete Einbettung fortbestehe, verständlich und eine kritische Ausein­an­der­setzung mit dem Kläger. Wenn eine Aufteilung nicht für möglich erachtet werden würde, hätte dies zudem nicht zur Folge, dass der Unter­las­sungs­an­spruch trotz der festgestellten Rechts­wid­rigkeit insgesamt abzuweisen wäre, sondern es wäre ihm insgesamt stattzugeben.

Quelle: Landgericht Hamburg/ra-online

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