21.11.2024
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Staatsanwaltschaft Mainz Beschluss04.10.2016

Ermitt­lungs­ver­fahren gegen Jan Böhmermann wegen Beleidigung eingestelltErnstlicher Angriff auf personalen und sozialen Geltungs­an­spruch des türkischen Staats­prä­si­denten nicht zu belegen

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen waren strafbare Handlungen des Jan Böhmermann nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachzuweisen. Die Ermittlungen haben auch keine hinreichenden Anhaltspunkte für strafbare Handlungen anderer an der Entstehung oder Ausstrahlung des Beitrages beteiligte Personen ergeben. Daher hat die Staats­an­walt­schaft Mainz das Ermitt­lungs­ver­fahren gegen den Moderator Jan Böhmermann wegen des Vorwurfs der Beleidigung des türkischen Staats­prä­si­denten gemäß § 170 Abs. 2 der Straf­pro­zess­ordnung eingestellt.

Im hier zu entscheidenden Fall war Gegenstand des Ermitt­lungs­ver­fahrens ein am 31. März 2016 auf dem Kanal "ZDFneo" des Zweiten Deutschen Fernsehens ausgestrahlter Beitrag in der Sendung "Neo Magazin Royale". In diesem befasste sich der Beschuldigte unter anderem mit der Reaktion des türkischen Staats­prä­si­denten auf einen in dem Magazin "extra3" des Norddeutschen Rundfunks am 17. März 2016 ausgestrahlten Beitrag, wobei er auch ein so genanntes "Schmähgedicht" vorgetragen hat.

Strafantrag wegen Beleidigung

Der Staatspräsident der Republik Türkei hat wegen dieses Sachverhalts am 8. April 2016 Strafantrag wegen Beleidigung nach § 185 des Straf­ge­setz­buches gestellt. Ferner hat die Bundesregierung am 13. April 2016 die Ermächtigung zur Strafverfolgung wegen des Vorwurfs der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten nach § 103 des Straf­ge­setz­buches erteilt; mit Verbalnote der Botschaft der Republik Türkei vom 7. April 2016 hatte die türkischen Regierung das entsprechende Strafverlangen erklärt.

Stellungnahme zum Tatvorwurf von Sendeanstalt und Böhmermann

Das Zweite Deutsche Fernsehen als betroffene Sendeanstalt hat am 14. April 2016 eine Stellungnahme zur Sach- und Rechtslage abgegeben und der Beschuldigte hat mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 1. September 2016 zu dem Tatvorwurf Stellung genommen.

Wesentliche Entschei­dungs­gründe

Die Einstellung des Verfahrens beruht im Wesentlichen auf folgenden Erwägungen:

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen wird sich der Tatnachweis eines Belei­di­gungs­de­liktes nach §§ 103, 185 Strafgesetzbuch - insbesondere hinsichtlich der inneren Tatseite, also des erforderlichen Vorsatzes - nicht mit dem für eine straf­ge­richtliche Verurteilung erforderlichen Maß an Gewissheit führen lassen.

Erfüllung des Tatbestands des Belei­di­gungs­de­liktes fraglich

Es ist bereits fraglich, ob der objektive Tatbestand eines Belei­di­gungs­de­liktes nach §§ 103, 185 Strafgesetzbuch in rechtswidriger Weise erfüllt ist. Dies erfordert die Äußerung eines herab­wür­di­genden persönlichen Werturteils über einen Dritten oder eine entsprechende Tatsa­chen­be­hauptung. Insoweit müsste es um ein eigenes Unwerturteil oder ein solches handeln, das sich der Äußernde zu Eigen macht; gleiches würde für Tatsa­chen­be­haup­tungen gelten.

Beitrag nur als Beispiel für Meinungs­frei­heits­über­schreitung gedacht

Dagegen könnte bereits sprechen, dass der Beitrag vom 31. März 2016 als Beispiel für eine Überschreitung der Meinungsfreiheit dienen sollte und daher weder ausdrücklich eine Ansicht des Beschuldigten im Hinblick auf persönliche Eigenschaften des türkischen Staats­prä­si­denten wiedergeben noch - wenn auch überzogene satirische - Zuweisungen enthalten sollte. Zudem fehlt es bei Karikatur oder Satire am Merkmal der Beleidigung, wenn die Überzeichnung menschlicher Schwächen eine ernsthafte Herabwürdigung der Person nicht enthält.

Strafbare Wirkung des Belei­di­gungs­de­liktes zu prüfen

Im Rahmen der Prüfung, ob ein Belei­di­gungs­delikt objektiv in strafbarer Weise verwirklicht ist, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts zu prüfen, ob und inwieweit die Grundrechte aus Artikel 5 Abs. 1 und 3 Grundgesetz, also Meinungs- und Kunstfreiheit eine die Strafbarkeit begrenzende Wirkung entfalten.

Unter den Schutz der Meinungs­freiheit nach Artikel 5 Abs. 1 des Grundgesetzes fallen nach ständiger Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts Werturteile und Tatsa­chen­be­haup­tungen, wenn und soweit sie zur Bildung von Meinungen beitragen.

Abwägung zwischen Schwere der Persön­lich­keits­be­ein­träch­tigung durch Äußerung und Einbuße der Meinungs­freiheit durch Verbot

Das Grundrecht auf Meinungs­freiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährt, es findet seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen, zu denen auch §§ 103, 185 Strafgesetzbuch gehören. Bei der Auslegung und Anwendung dieser Straf­vor­schriften muss indes das eingeschränkte Grundrecht wiederum inter­pre­ta­ti­o­ns­leitend berücksichtigt werden, damit dessen wertsetzender Gehalt auch bei der Rechtsanwendung gewahrt bleibt. Dies verlangt grundsätzlich eine Abwägung zwischen der Schwere der Persön­lich­keits­be­ein­träch­tigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungs­freiheit durch ihr Verbot andererseits. Dabei ist zu beachten, dass Artikel 5 Abs. 1 Grundgesetz nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen schützt, sondern gerade Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen darf. Insoweit liegt die Grenze zulässiger Meinung­s­äu­ße­rungen nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist. Dies gilt insbesondere in allen Angelegenheiten von öffentlichem Interesse und im politischen Meinungskampf.

Bei Formal­be­lei­di­gungen oder Schmähungen keine Abwägung notwendig

Einen Sonderfall bilden hingegen herabsetzende Äußerungen, die sich als Formal­be­lei­digung oder Schmähung darstellen. Dann ist ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der Meinungs­freiheit und dem Persön­lich­keitsrecht notwendig, weil die Meinungs­freiheit regelmäßig hinter den Ehrschutz zurücktreten wird. Diese die Meinungs­freiheit beschneidende Folge gebietet es indes von verfas­sungswegen hinsichtlich des Vorliegens von Formal­be­lei­di­gungen und Schmähkritik strenge Maßstäbe anzulegen. Auch überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Eine Äußerung nimmt diesen Charakter erst dann an, wenn nicht mehr die Ausein­an­der­setzung in der Sache, sondern - jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik - die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie liegt bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vor und ist eher auf die Privatfehde beschränkt. Die Annahme einer Schmähung hat wegen des mit ihr typischerweise verbundenen Unterbleibens einer Abwägung zur Meinungs­freiheit gerade in Bezug auf Äußerungen, die als Beleidigung und damit als strafwürdig beurteilt werden, ein eng zu handhabender Sonderfall zu bleiben.

Eigenschaft als Kunstwerk

Überdies dürfte der Schutzbereich der Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz eröffnet sein. Als das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts die "freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden", anzusehen. Ob die Darbietung auch Äußerungen enthält, die bei isolierter Betrachtung Meinung­s­äu­ße­rungen darstellen, ist hierbei nicht maßgeblich. Dass mit einem Kunstwerk eine bestimmte Meinung zum Ausdruck gebracht wird, nimmt ihm nicht die Eigenschaft als Kunstwerk.

Zweifel an Straf­tat­be­stands­ver­wirk­lichung nach Einbeziehung von verfas­sungs­recht­lichen Prinzipien

Der in Rede stehende Beitrag dürfte als satirische Darbietung diesen Anforderungen genügen. Dabei ist es der Kunstgattung der Satire und Karikatur wesenseigen, mit Übertreibungen, Verzerrungen und Verfremdungen zu arbeiten; daher erfordert ihre rechtliche Beurteilung die Entkleidung des in "Wort und Bild gewählten satirischen Gewandes", um ihren eigentlichen Inhalt zu ermitteln. Dieser Aussagekern und seine Einkleidung sind sodann gesondert daraufhin zu überprüfen, ob sie eine Kundgabe der Missachtung gegenüber der karikierten Person enthalten. Dabei muss beachtet werden, dass die Maßstäbe für die Beurteilung der Einkleidung anders und im Regelfall weniger streng sind, als die für die Bewertung des Aussagekerns; denn ihr ist die Verfremdung wesenseigen. Entste­hungs­ge­schichte, aktuelle zeitge­schichtliche Einbindung und die konkrete über das bloße Vortragen des so genannten "Schmähgedichts" hinausgehende Gestaltung des Beitrages ziehen in Anwendung dieser verfas­sungs­recht­lichen Prinzipien die Verwirklichung des objektiven Straf­tat­be­standes in Zweifel.

Vorsätzlich beleidigendes Handeln nicht nachweisbar

Letztlich kann dies jedoch offen bleiben, da dem Beschuldigten jedenfalls ein vorsätzlich beleidigendes Handeln nicht nachzuweisen ist. Der Vorsatz muss das Bewusstsein umfassen, dass eine Äußerung nach ihrem objektiven Sinn eine Missachtung einer Person darstellt. Dass es einem Täter um Kritik an tatsächlichen oder auch nur angeblichen Missständen geht, schließt - bedingten - Vorsatz nicht aus. Andererseits genügt nicht, dass ein Täter weiß oder damit rechnet, dass der Adressat oder Dritte eine Äußerung als ehrverletzend empfindet. Ein Täter muss vielmehr den (objektiv) beleidigenden Charakter der Äußerung als solchen wollen oder in Kauf nehmen.

Einlassung des Beschuldigten

Der Beschuldigte hat sich dahingehend eingelassen, es sei ihm an einer derart übertriebenen und von der konkreten Person abgelösten Darstellung gelegen gewesen, dass die fehlende Ernstlichkeit und das Fehlen eines ernst gemeinten Bezuges zur persönlichen Ehre der Person jedem Hörer unmittelbar erkennbar sein sollten und sofort klar werde, dass es sich um einen Witz oder Unsinn handele.

Überstei­ge­rungen und Überspitzungen in Äußerungen für verständige Dritte erkennbar

Diese Einlassung wird durch die objektiv feststellbaren Umstände, nämlich den Inhalt des Stückes, seine Entstehung und die Art der Darbietung gestützt. Maßgebend insoweit ist, wie ein verständiger Dritter unter Beachtung der Begleitumstände und des Gesamt­zu­sam­menhangs die Äußerungen versteht. Insoweit ist bereits zu berücksichtigen, dass der Beitrag Bestandteil einer bekanntermaßen satirischen Fernsehsendung war und ein durch­schnittlich informiertes verständiges Publikum mithin davon ausgehen dürfte, dass dort getätigte Äußerungen vielfach mit Überstei­ge­rungen und Überspitzungen einhergehen und ihnen die Ernstlichkeit häufig fehlt. Von einem solchen Empfän­ger­ho­rizont dürfte auch der Beschuldigte ausgegangen sein; zumal er den Charakter der Sendung im Rahmen des Beitrages durch die wiederholte Bezeichnung des Formats als "Quatsch-Sendung" hervorhob.

Keine ernst gemeinte Herabwürdigung erkennbar

Bereits dies lässt eine ernst gemeinte Herabwürdigung als nicht naheliegend erscheinen. Ferner findet sich in dem Text des so genannten "Schmähgedichts" selbst eine geradezu absurde Anhäufung vollkommen übertriebener, abwegig anmutender Zuschreibungen negativ bewerteter Eigenschaften und Verhal­tens­weisen, denen jeder Bezug zu tatsächlichen Gegebenheiten - offensichtlich beabsichtigt - fehlt. Mit Blick auf die somit bewusst vorgenommenen, in der Tat "unsinnig" und absurd wirkenden Übertreibungen wird mangels entge­gen­ste­hender Erkennt­nis­quellen nicht zu belegen sein, dass der Beschuldigte einen ernstlichen Angriff auf den personalen oder sozialen Achtungs- und Geltungs­an­spruch des türkischen Staats­prä­si­denten billigend in Kauf nahm.

Vor diesem Hintergrund scheiden auch strafbare Handlungen sonstiger an der Schaffung und Sendung des Beitrages beteiligter Personen aus. Das Ermittlungsverfahren war daher gemäß § 170 Abs. 2 Straf­pro­zess­ordnung einzustellen.

Quelle: Staatsanwaltschaft Mainz/ ra-online

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