Im zugrunde liegenden Fall mieteten Mieter 1998 eine Wohnung im 2. Obergeschoss eines Mietshauses. Das angrenzende Grundstück war in einem verwahrlosten Zustand. Die dort vorhandene Bebauung war abrissreif. Tatsächlich wurden die Gebäude auf dem Nachbargrundstück später auch - in den Jahren 2003 und 2004 - abgerissen.
2008 begannen auf dem Grundstück dann Bauarbeiten zur Errichtung eines großen Wohn- und Geschäftswerbekomplexes. Die Mieter fühlten sich hierdurch gestört und minderten die Miete wegen der baubedingten Lärm- und Schmutzbelastung.
Das Landgericht Gießen entschied, dass die Mieter die Miete nicht hätten mindern dürfen. Die Lärm- und Staubbelastung durch die Bautätigkeit auf dem Nachbargrundstück stelle keinen Mangel der Mietsache dar.
Unter einem Mangel im Sinne von § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB sei die für den Mieter nachteilige Abweichung des tatsächlichen Zustandes der Mietsache von dem vertraglich geschuldeten zu verstehen. Eine solche Abweichung habe hier während der Bautätigkeit auf dem Nachbargrundstück nicht vorgelegen. Vielmehr habe auch zu dieser Zeit die Mietsache der vertraglich bestimmten Sollbeschaffenheit entsprochen.
Weil die Parteien keine ausdrückliche Regelung zum "Soll-Zustand" getroffen hätten, müsse hier anhand von Auslegungsregeln geprüft werden, was der Vermieter schulde. Dabei sei auch die Verkehrsanschauung als Auslegungshilfe heranzuziehen (BGH, Urteil v. 07.06.2006, Az. XII ZR 34/04). Dabei sei regelmäßig davon auszugehen, dass die Mietvertragsparteien das mit der Bebauung eines Nachbargrundstücks einhergehende Risiko des Auftretens von baubedingten Gebrauchsbeeinträchtigungen des Mietobjekts bei Vertragsschluss stillschweigend vorausgesetzt haben, wenn für beide Parten aufgrund des Zustands des Nachbargrundstücks erkennbar war, dass es auf diesem Grundstück in Zukunft zu Bautätigkeiten kommen werde. In einem solchen Fall schulde der Vermieter dem Mieter nur die um das Risiko derartiger baulicher Maßnahmen verminderte Gebrauchsgewährung. In einem solchen Fall schulde der Vermieter dem Mieter nur die um das Risiko derartiger baulicher Maßnahmen verminderte Gebrauchsgewährung.
Eine Mietminderung komme hier im Übrigen auch nicht deshalb in Betracht, weil die Mieter mit dem konkreten Ausmaß der Bautätigkeit und der daraus resultierenden Gebrauchsbeeinträchtigung ihrer Wohnung nicht hätten rechnen müssen. Die Mieter konnten eine Bebauung im ortsüblichen Umfang erwarten. Da auch die angrenzenden Grundstücke mit mehrgeschossigen Gebäuden bebaut seien, sei vorherzusehen gewesen, dass das zu errichtende Gebäude ebenfalls aus mehreren Geschossen bestehen würde. Angesicht der exponierten Lage des Grundstücks und des dadurch bedingten Quadratmeterpreises sei auch zu erwarten gewesen, dass der Bauherr das Grundstück für die Errichtung des neuen Gebäudes maximal ausnutzen würde.
Es sei insoweit auch damit zu rechnen gewesen, dass das Gebäude eine Tiefgarage erhalten würde. Wegen des in der Nähe befindlichen Flusses sei auch die Möglichkeit nahe liegend gewesen, dass bei der Errichtung der Tiefgarage eindringendes Wasser permanent abgepumpt werden müsse. Nach der Lebenserfahrung sei bei derartigen Bauprojekten mit der Erforderlichkeit einer Wasserhaltung zu rechnen. Von einer entsprechenden Geräuschbelästigung wegen der Pumpen war daher auch zu rechnen, so dass auch der Lärm durch den Pumpbetrieb keine Mietminderung rechtfertige (vgl. auch DAWR-Mietminderungstabelle - Kategorie „Baulärm“).
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 08.12.2011
Quelle: ra-online, Landgericht Gießen (vt/pt)