21.11.2024
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Landgericht Bonn Urteil24.11.2009

16-jährige Schülerin wegen Planung eines Amoklaufs zu 5 Jahren Jugendstrafe verurteilt

Eine 16-jährige Schülerin, die in ihrer Schule einen Amoklauf durchführen wollte, ist wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körper­ver­letzung und Verstoßes gegen das Waffengesetz vom Landgericht Bonn zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren verurteilt worden.

Nach den Feststellungen des Landgerichts Bonn war die Schülerin am Morgen des 11. Mai diesen Jahres in dem von ihr bis zu diesem Zeitpunkt besuchten Gymnasium in Sankt Augustin erschienen, um dort an diesem Morgen einen Amoklauf durchzuführen. Sie wollte einen Lehrer mit einem Kurzschwert niederstechen, ihm die Schlüssel entwenden, um dann die Klassenzimmer durch selbst gebaute Molotow­cocktails in Brand zu setzen und die Türen von außen zu verschließen. In der Schule suchte sie zunächst eine Toilette auf, um sich zu maskieren. Dort wurde sie von einer 17- jährigen Mitschülerin überrascht.

Kurz vor der geplanten Tat in der Schule aufgeflogen

Die Angeklagte sah sich durch das Erscheinen ihrer Mitschülerin entdeckt. Um die Ausführung ihres Tatplanes zu sichern, griff sie die Mitschülerin in Tötungsabsicht mit dem Schwert an. Die 17-Jährige wehrte den Stich mit den Händen ab, wurde dabei jedoch erheblich verletzt. Insbesondere durchtrennte die Angeklagte mit dem Schwert Muskeln und Sehnen an beiden Händen der 17- jährigen; der Daumen einer Hand wurde fast vollständig abgetrennt. Ein Lehrer hörte in einem nahe gelegenen Klassenzimmer Schreie und eilte in Richtung Schultoilette. Durch das Glas einer Brandschutztür nahm er die beiden Mädchen vor der Toilettentür wahr. Er deutete die Situation als Amoklauf und lief in das Schul­se­kre­tariat. Die Angeklagte dagegen sah aufgrund des von ihr nicht erwarteten Widerstandes der Mitschülerin ihren Tötungsplan gescheitert. Die 17-jährige nutzte die Situation und flüchtete ebenfalls in Richtung Sekretariat, wo aufgrund des Erscheinens des Lehrers Amokalarm ausgelöst wurde. Infolge des Alarms begaben sich die Schüler in ihre Klassen und verriegelten die Klassentüren von innen.

Missglückter Selbst­mord­versuch nach gescheitertem Amoklauf

Die Angeklagte sah aufgrund des ausgerufenen Amokalarms ihren Plan endgültig gescheitert. Nach einem missglückten Selbst­mord­versuch flüchtete sie vom Schulgelände. Mit der Straßenbahn fuhr sie zunächst ziellos umher. Um 23.10 Uhr stellte sie sich am Hauptbahnhof in Köln schließlich der Bundespolizei. Seit dem Folgetag befindet sie sich in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses. Ausweislich der weiteren Feststellungen der Kammer waren Probleme im häuslichen und schulischen Umfeld das Motiv der Angeklagten. Sie fühlte sich einsam und missverstanden. Sie fasste schließlich den Plan, einen Amoklauf durchzuführen. Sie tauschte sich bei Internetchats mit Chatpartnern über Amokläufe aus, bestellte sich im Internet ein japanisches Kurzschwert, entwendete ihrem Vater dessen Gaspistole und baute aus mit Benzin gefüllten Flaschen elf sogenannte Molotow­cocktails, um dann am 11. Mai ihren Plan in die Tat umzusetzen.

Richter: Schülerin ist in straf­recht­licher Verant­wort­lichkeit erheblich eingeschränkt

Einen Ausschluss der straf­recht­lichen Verant­wort­lichkeit der Angeklagten im Tatzeitpunkt vermochte die Kammer nicht festzustellen. Sie unterstellte jedoch zu Gunsten der Schülerin eine erhebliche Einschränkung der straf­recht­lichen Verant­wort­lichkeit und berücksichtigte dies im Rahmen der Strafzumessung strafmildernd. In Übereinstimmung mit den Ausführungen beider gerichtlich bestellter Sachver­ständiger stellte die Kammer eine gestörte Entwicklung der Persönlichkeit der Angeklagten fest. Die Störung habe viele Facetten und sei nicht eindeutig einer Kategorie zuzuordnen. Es seien depressive, aber auch narzisstische, dissoziale und emotional instabile Persön­lich­keitss­trukturen festzustellen, die angesichts des jugendlichen Alters der Angeklagten jedoch noch nicht manifestiert seien.

Schuldfähigkeit zum Tatzeitpunkt möglicherweise erheblich eingeschränkt

Es sei daher nicht auszuschließen, dass die Schuldfähigkeit der Angeklagten im Tatzeitpunkt erheblich eingeschränkt gewesen sei. Allerdings sei umgekehrt eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit in Form einer Einschränkung der Steue­rungs­fä­higkeit insbesondere vor dem Hintergrund einer langfristigen Tatplanung auch nicht sicher feststellbar. Die Voraussetzungen für eine Unterbringung der Angeklagten in einer psychiatrischen Klinik seien daher nicht erfüllt.

Straf­be­freiender Rücktritt war nicht mehr möglich

Den Ausführungen der Verteidigung im Plädoyer zu einem möglichen straf­be­freienden Rücktritt der Angeklagten vom Versuch des Mordes vermochte die Kammer nicht zu folgen. Die Angeklagte habe im Rahmen ihrer geständigen Einlassung selbst angegeben, sie sei davon ausgegangen, dass ihr die Tötung der Mitschülerin aufgrund deren Widerstandes nicht mehr möglich gewesen sei. Der Mordversuch sei daher aus Sicht der Angeklagten bereits fehlgeschlagen und ein Rücktritt daher nicht mehr möglich gewesen. Nach Ansicht der Kammer handelt sich bei den von der Angeklagten gebauten Molotow­cocktails jedoch nicht um Sprengstoff im Sinne der einschlägigen gesetzlichen Vorschrift. Diese seien nämlich nicht geeignet gewesen, eine Explosion herbeizuführen.

Umfassendes Geständnis wirkt strafmildernd

Im Rahmen der Strafzumessung wertete die Kammer zugunsten der Angeklagten insbesondere deren umfassendes Geständnis. Auch habe die Schülerin sich verpflichtet, im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs eine Schadens­wie­der­gut­machung an die als Nebenklägerin auftretende verletzte 17-jährige Mitschülerin zu zahlen. Zu Lasten der Angeklagten wertete die Kammer dagegen besonders die auf die Tötung einer Vielzahl von Menschen ausgerichtete Tatplanung. Auch leide die verletzte Schülerin heute noch unter den Folgen der Tat. So fehle ihr weiterhin Gefühl in beiden Händen.

Haupt­ver­handlung war nicht öffentlich

Wegen des jugendlichen Alters der Angeklagten war die Haupt­ver­handlung nicht öffentlich. An insgesamt acht Haupt­ver­hand­lungstagen hatte die Kammer 26 Zeugen gehört. Zwei Sachverständige erstatteten Gutachten zur Frage der straf­recht­lichen Verant­wort­lichkeit der Angeklagten. Die Schülerin hatte bereits am ersten Verhandlungstag ein umfassendes Geständnis abgelegt.

Quelle: ra-online, Landgericht Bonn

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