Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Urteil29.09.2010
LAG Schleswig-Holstein: Keine fristlose Kündigung wegen Verzehrs von übrig gebliebenen PatientenessenVorherige Abmahnung erforderlich
Verzehrt ein in einem Krankenhaus langjährig beschäftigter und bislang unbescholtener Arbeitnehmer ein Stück einer Patientenpizza sowie einen nicht verbrauchten Rest einer Patientenportion Gulasch, rechtfertigt dies in aller Regel nicht dessen fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung. Dies hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein entschieden und deshalb nicht mehr aufgeklärt, ob die Vorwürfe zutreffen.
Der 56-jährige Kläger ist in der von der Beklagten betriebenen psychiatrischen Fachklinik seit 1991 als Krankenpflegehelfer beschäftigt. Der Kläger genießt tariflichen Kündigungsschutz. Die Beklagte bezichtigte den Kläger, eine Ecke Pizza abgerissen und gegessen sowie einen Rest Gulasch verzehrt zu haben, welches beides den Patienten zugestanden hätte. Er habe zulasten der Patienten Vermögensdelikte begangen und deren besondere Schutzbedürftigkeit ausgenutzt. Der Kläger bestritt die Vorwürfe.
Arbeitgeber kündigte fristlos - ohne vorherige Abmahnung
Ohne vorherige Abmahnung kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis nach Anhörung des Betriebsrats fristlos. Der daraufhin vom Kläger erhobenen Kündigungsschutzklage gab das Arbeitsgericht Lübeck statt. Die Berufung der Beklagten vor dem Landesarbeitsgericht blieb ohne Erfolg.
LAG: Auf die strafrechtliche Würdigung des Fehlverhaltens kommt es nicht an
Zur Begründung führte das Landesarbeitsgericht aus, dass es für die Prüfung eines wichtigen Grundes für eine außerordentliche Kündigung nicht auf die strafrechtliche Würdigung des Fehlverhaltens ankomme. Zweck der fristlosen Kündigung dürfe nicht die Sanktion einer Vertragsverletzung sein, vielmehr diene sie der Vermeidung des Risikos weiterer arbeitsvertraglicher Verstöße.
LAG: Geringfügiges Eigentumsdelikt
Bei den Vorwürfen des unerlaubten Verzehrs von Essensresten handele es sich allenfalls um ein geringfügiges Eigentumsdelikt. Bei einem steuerbaren Verhalten diene eine vorherige Abmahnung der Objektivierung einer negativen Zukunftsprognose. Sie sei nur dann entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung trotz Abmahnung nicht zu erwarten sei oder es sich um eine schwere Pflichtverletzung handele, aufgrund derer die Hinnahme durch den Arbeitgeber erkennbar ausgeschlossen sei.
Sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses ist unverhältnismäßig
Vorliegend stelle jedoch die sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses eine unverhältnismäßige Reaktion auf die behaupteten Pflichtverletzungen dar. Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände, des langjährigen ungestörten Verlaufs des Arbeitsverhältnisses und des äußerst geringen Wertes der Speisen, die verzehrt worden sein sollen, habe jedenfalls auf eine Abmahnung nicht verzichtet werden können.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 16.11.2010
Quelle: ra-online, Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein