18.10.2024
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Landesarbeitsgericht Hamm Urteil18.03.2009

LAG: Vergütung in Höhe von 5,20 € im Einzelhandel ist sittenwidrigEine Unterschreitung des Tarifniveaus um 2/3 ist sittenwidrig - Urteil gegen Textil­dis­counter Kik

Wenn ein Einzel­han­dels­un­ter­nehmen seinen Angestellten einen Lohn zahlt, der um mehr als 2/3 unter dem Tarifniveau liegt, ist dies sittenwidrig. Dies hat das Landes­a­r­beits­gericht Hamm entschieden. Geklagt hatten zwei Verkäuferinnen, die beim Textil­dis­counter Kik beschäftigt sind.

In den Verfahren haben die Klägerinnen das beklagte Einzel­han­dels­un­ter­nehmen auf eine höhere Vergütung ab 2004 in Anspruch genommen, weil sie die Auffassung vertraten, die vertragliche Vereinbarung eines Stundenlohns von 5,20 € sei sittenwidrig.

Sachverhalt

Beide Klägerinnen stehen seit Ende 2001 bei der Beklagten in einem Arbeits­ver­hältnis als "geringfügig Beschäftigte/Packerin". Im ursprünglichen Arbeitsvertrag wurde ein Stundenlohn in Höhe von 10,00 DM vereinbart. Seit 2004 zahlte die Beklagte 5,20 € pro Stunde. Die Klägerinnen sind der Auffassung, dass der von der Beklagten gezahlte Lohn sittenwidrig ist, und dass ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliege. Tatsächlich würden sie nicht als Packerinnen eingesetzt, sondern nähmen überwiegend Tätigkeiten einer klassischen Verkäuferin wahr. Der - mangels Tarifbindung der Beklagten - nicht anwendbare Gehalt­s­ta­rif­vertrag für den Einzelhandel in NRW sehe für Verkäuferinnen der Gehaltsgruppe I. 6. Berufsjahr ab 2004 einen Stundenlohn in Höhe von 11,93 € brutto und zuletzt ab 01.09.2006 12,30 € brutto vor. Hiervon stünden ihnen für die Jahre 2004 - 2007 pro Stunde ? der Tarifvergütung zu, da die Differenz zwischen Tariflohn und dem tatsächlich gezahltem Lohn wegen der Überschreitung von mehr als ein Drittel sittenwidrig sei.

Die Beklagte hält den Klägerinnen entgegen, sie seien als Packerinnen beschäftigt, und nicht als Verkäuferinnen. Im Übrigen entspreche die gezahlte Vergütung dem allgemeinen Lohnniveau im Wirtschafts­gebiet.

Arbeitsgericht Dortmund gab den Klägerinnen Recht

Mit Urteilen vom 14.05.2008 und 15.07.2008 hat das Arbeitsgericht Dortmund den Klagen insoweit stattgegeben und die arbeits­ver­tragliche Entgelt­ver­ein­barung wegen Sitten­wid­rigkeit für unwirksam gehalten. Beide Kammern haben ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung gesehen, selbst wenn man unterstellt, dass die Klägerinnen als Packerinnen beschäftigt gewesen seien.

LAG: Vergütung in Höhe von 5,20 € ist sittenwidrig

Ebenso wie das Arbeitsgericht hat auch das Landes­a­r­beits­gericht angenommen, dass die von der Beklagten gezahlte Vergütung in Höhe von 5,20 € sittenwidrig ist, weil nach den Gesamtumständen ein auffälliges Missverhältnis zwischen Lohnhöhe und Arbeitsleistung vorliegt. Für den Vergleich hat die Kammer auf die branchen­üb­lichen Tariflöhne abgestellt, weil im Jahr vor Vertragsschluss die Allge­mein­ver­bind­lichkeit der Tarifverträge des Einzelhandels in Nordrhein-Westfalen ausgelaufen war und diese im Wege der Nachwirkung auf die Arbeits­ver­hältnisse in der Branche eingewirkt haben. Deswegen ist davon auszugehen, dass im nordrhein-westfälischen Einzelhandel die Tariflöhne auch bei Vertrags­ab­schluss im November 2001 üblich waren.

Eine Unterschreitung des Tarifniveaus um 2/3 ist sittenwidrig

Ausgehend davon war nach dem Gehalt­s­ta­rif­vertrag ab Januar 2004 eine Vergütung in Höhe von 1.946,00 € brutto maßgeblich. Da die Parteien eine Pauscha­l­ver­gütung vereinbart haben, in der das Weihnachtsgeld und das Urlaubsgeld und - insoweit rechtswidrig - auch das Urlaubsentgelt und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall enthalten waren, lag die Vergütung der Klägerinnen bei ca. 640,00 € monatlich. Eine Unterschreitung des Tarifniveaus um 2/3 hat die Berufungskammer als sittenwidrig angesehen. Selbst wenn man den Lohnta­rif­vertrag zu Grunde legte, weil die Klägerinnen entgegen ihrer Annahme als Packerinnen und nicht als Verkäuferinnen beschäftigt waren, läge die Vergütung noch ca. 60 % unter dem Tariflohn.

Die Forderung der Klägerinnen ist auch nicht nach den einschlägigen Vorschriften des Mantel­ta­rif­ver­trages für den Einzelhandel verfallen, da die Kammer die tatbe­stand­lichen Voraussetzungen des Lohnwuchers angenommen hat.

Quelle: ra-online (pt)

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