18.10.2024
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Sie sehen ein Justizia-Figur und im Hintergrund einen Mann am Telefon.

Dokument-Nr. 34444

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Urteil01.10.2024Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg2 Sa 14/24
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Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Urteil01.10.2024

Klage einer Arbeitnehmerin auf höheres Arbeitsentgelt wegen Ungleich­be­handlung erfolgreichArbeitnehmerin hat nur Anspruch auf höheres Arbeitsentgelt in Höhe der Differenz der Mediane der männlichen und weiblichen Vergleichs­gruppe

Das Landes­arbeits­gericht Baden-Württemberg hat der Angestellten eines im Großraum Stuttgart ansässigen Unternehmens die von ihr unter Berufung auf das Entgelt­transparenz­gesetz (EntgTranspG) sowie den Gleich­behandlungs­grundsatz eingeklagte höhere Vergütung für die Jahre 2018 bis 2022 teilweise zugesprochen.

Im hier vorliegenden Fall lag das individuelle Entgelt der Klägerin sowohl unterhalb des Medianentgelts der weiblichen Vergleichs­gruppe als auch unterhalb des Medianentgelts der männlichen Vergleichs­gruppe der dritten Führungsebene. Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage primär die Differenz ihrer individuellen Vergütung zum Entgelt eines von ihr namentlich benannten männlichen Vergleichs­kollegen bzw. des weltweit bestbezahlten Kollegen der dritten Führungsebene, hilfsweise die Differenz ihrer individuellen Vergütung zum Medianentgelt der männlichen Vergleichs­gruppe. Insgesamt klagte sie auf rund 420.000 EUR brutto für fünf Jahre und berief sich auf das Entgelt­trans­pa­renz­gesetz (EntgTranspG) sowie den Gleich­be­hand­lungs­grundsatz.

Verbotene Ungleich­be­handlung beim Entgelt

Nach § 3 Abs. 1 EntgTranspG ist bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Hinblick auf sämtliche Entgelt­be­standteile und Entgelt­be­din­gungen verboten. Zudem ist dieses Verbot in § 7 EntgTranspG niedergelegt, wonach für gleiche oder für gleichwertige Arbeit nicht wegen des Geschlechts der oder des Beschäftigten ein geringeres Entgelt vereinbart oder gezahlt werden darf als bei einer oder einem Beschäftigten des anderen Geschlechts. Hintergrund des EntgTranspG sind Bestimmungen aus dem Recht der Europäischen Union. Art. 157 Abs. 1 AEUV verlangt, dass Frauen und Männer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit das gleiche Entgelt erhalten. Die entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie 2006/54/EG zum Verbot der Diskriminierung beim Entgelt, darunter insbesondere deren Art. 2 Abs. 1 Buchst. e und Art. 4, werden von der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 157 AEUV miterfasst. Deshalb sind § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG entsprechend den Vorgaben der Richtlinie 2006/54/EG und im Einklang mit Art. 157 AEUV unter Berück­sich­tigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union unions­rechts­konform auszulegen. Zudem gebietet der arbeits­rechtliche Gleich­be­hand­lungs­grundsatz dem Arbeitgeber, Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in gleicher oder vergleichbarer Lage befinden, gleich zu behandeln.

Nur Anspruch auf Medianentgelt-Differenz

Das LAG sah nach tatrich­ter­licher Gesamtwürdigung aller Umstände vorliegend indes lediglich ein hinreichendes Indiz für eine geschlechts­be­zogene Benachteiligung in Höhe der Differenz des männlichen zum weiblichen Medianentgelt. Art. 157 AEUV bzw. § 3 Abs. 1, § 7 EntgTranspG lassen danach nicht irgendein Indiz iSv. § 22 AGG für eine geschlechts­be­dingte Vergü­tungs­dis­kri­mi­nierung ausreichen, um einen Anspruch auf den maximal denkbaren Differenzbetrag zu begründen. Vielmehr muss ein Indiz gerade für eine geschlechts­be­dingte Benachteiligung in einer ganz bestimmten Höhe bestehen.

Da im vorliegenden Fall feststand, dass die Vergütung des zum Vergleich herangezogenen Kollegen oberhalb des Medianentgelts der männlichen Vergleichs­gruppe und die Vergütung der Klägerin zudem unterhalb des von der Beklagten konkret bezifferten Medianentgelts der weiblichen Vergleichs­gruppe lag, bestand keine hinreichende Kausa­li­täts­ver­mutung dahingehend, dass die volle Differenz des individuellen Gehalts der Klägerin zum Gehalt des namentlich benannten männlichen Kollegen bzw. dem Median der männlichen Vergleichs­gruppe auf einer geschlechts­be­dingten Benachteiligung beruhte.

Kein Anspruch auf Anpassung "nach ganz oben"

Einen Anspruch auf Anpassung "nach ganz oben" konnte die Klägerin nach Ansicht des LAG auch nicht auf den arbeits­recht­lichen Gleich­be­hand­lungs­grundsatz stützen. Der Gleich­be­hand­lungs­grundsatz ist laut LAG bei Diffe­ren­zie­rungen innerhalb der begünstigten Grupp auf den Durch­schnittswert gerichtet. Vorliegend gelang es der Beklagten schließlich nicht, eine Rechtfertigung der danach verbleibenden Ungleichbehandlung etwa anhand der Kriterien „Berufserfahrung“, „Betrie­bs­zu­ge­hö­rigkeit“ oder „Arbeitsqualität“ konkret darzulegen. Das AG hat die Revision zum BGH wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache für beide Parteien zugelassen.

Quelle: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, ra-online (pm/ab)

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