21.11.2024
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Kammergericht Berlin Urteil17.02.2015

Einschlusszeit eines Häftlings von 23 Stunden pro Tag verstößt gegen die MenschwürdeResozi­a­li­sierung eines Häftlings bei Einschluss­zeiten von 23 Stunden ohne soziale Kontakte nicht umsetzbar

Das Kammergericht hat entschieden, dass Einschluss­zeiten eines Häftlings von 23 Stunden pro Tag gegen die Menschenwürde verstoßen. Das Gericht verwies darauf, dass eine Resozi­a­li­sierung von Häftlingen durch lange Einschließ­zeiten ohne soziale Kontakte unmöglich gemacht werde.

Im zugrunde liegenden Verfahren ging es um die Klage eines Häftlings, der vom Land Berlin eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 40.025 Euro wegen menschen­un­würdiger Behandlung während seiner Inhaftierung von vier Jahren und drei Monaten begehrte. Der Kläger war in Unter­su­chungshaft ab März 2006 bis ca. Mitte Juni 2009 und daran anschließend aufgrund Rechtskraft des Strafurteils in Strafhaft bis ca. April 2010 in der Justiz­voll­zugs­anstalt (JVA) Moabit, Teilanstalt I, und anschließend für zwei weitere Monate in der JVA Tegel, Teilanstalt I, untergebracht gewesen. In der JVA Moabit war der Kläger zwar in einer relativ großen Zelle von knapp 9 m², jedoch unter 23-stündigem Einschluss inhaftiert gewesen. In der JVA Tegel war ihm eine Zelle von 5,3 m² Größe zugewiesen worden.

KG bejaht Entschädigung von lediglich 900 Euro aufgrund langer Tages­ein­schluss­zeiten

Das Landgericht hatte der Klage in Höhe von 2.360 Euro stattgegeben, da es nur die Unterbringung in der kleinen Zelle in der JVA Tegel als menschen­un­würdig angesehen hatte. Das Kammergericht sprach dem Kläger in Abänderung des landge­richt­lichen Urteils eine Entschädigung von lediglich 900 Euro für einen Zeitraum von sechs Wochen für den Sommer 2009 aufgrund der langen Tages­ein­schluss­zeiten in der JVA Moabit zu und wies die weitergehende Berufung beider Parteien zurück.

Lange Einschlusszeit entspricht praktisch Einzelhaft

Unter Gesamtwürdigung aller Umstände (Haftraumfläche, Zahl der Häftlinge pro Zelle, Ausgestaltung der sanitären Anlagen, Dauer der Unterbringung und Einschluss­zeiten) sei ein Aufschluss von lediglich einer Stunde pro Tag schon für sich genommen so gravierend, dass ein Verstoß gegen die Menschenwürde bejaht werden könne. Während der Dauer der Unter­su­chungshaft sei der Gesichtspunkt der Unschulds­ver­mutung zu berücksichtigen, da der Unter­su­chungs­häftling in besonderer Weise vor unnötigen Belastungen verschont bleiben müsse. Ferner entspreche die lange Einschlusszeit praktisch der Einzelhaft, für die jedoch sehr hohe gesetzliche Hürden gelten würden.

Anspruch auf Entschädigung für Zeit der Unter­su­chungshaft dennoch verneint

Dennoch verneinte das Kammergericht einen Anspruch auf Entschädigung für die Zeit der Unter­su­chungshaft. Ansprüche für die Zeit bis einschließlich 31. Dezember 2008 seien verjährt gewesen. Für den Zeitraum bis zum Ende der Unter­su­chungshaft Mitte Juni 2009 habe es am Verschulden der Behörde gefehlt. Die Bewertung als menschen­un­würdig habe sich den Amtsträgern des Landes Berlin mangels Rechtsprechung zu den Einschluss­zeiten in der Unter­su­chungshaft vor dem Sommer 2014 nicht aufdrängen müssen.

Einschluss­zeiten machen soziale Kontakte und Resozi­a­li­sierung unmöglich

Schuldhaftes Verhalten sei dagegen für die Zeit der sich daran anschließenden Strafhaft des Klägers anzunehmen. Insoweit habe die überlange Einschlusszeit besondere Bedeutung unter dem Blickwinkel des Vollzugszieles, nämlich der Resozialisierung, erhalten. Dieses Ziel sei ohne soziale Kontakte bei Einschluss­zeiten von 23 Stunden nicht zu erreichen gewesen. Das hätte sich auch den Amtsträgern des Landes Berlin ohne vorherige gerichtliche Entscheidungen erschließen müssen.

Kläger hätte sich durch Beschwer­de­ein­legung oder Verle­gungs­antrags gegen menschen­un­würdige Behandlung wehren können

Dem Kläger stehe jedoch nur für einen Zeitraum von sechs Wochen von ca. Mitte Juni 2009 bis Ende Juli 2009 eine Entschädigung zu. Für die Zeit danach sei eine Ersatzpflicht gemäß § 839 Abs. 3 BGB nicht eingetreten, da der Kläger es schuldhaft unterlassen habe, die menschen­un­würdige Behandlung durch Einlegung einer Beschwerde oder eines Verle­gungs­antrags abzuwenden.

Unterbringung in kleiner Zelle für einen Zeitraum von einem Monat muss ausgehalten werden

Für die Unterbringung des Klägers für zwei Monate in der JVA Tegel erhalte er keine Entschädigung. Zwar sei seine Unterbringung in einer extrem kleinen Zelle von 5,3 m² Größe menschen­un­würdig gewesen. Allerdings habe der Kläger dies für einen Zeitraum von einem Monat aushalten müssen und für den zweiten Monat sei der Anspruch wiederum gemäß § 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen, da er kein Rechtsmittel eingelegt habe.

Quelle: Kammergericht/ra-online

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