18.10.2024
18.10.2024  
Sie sehen auf azurblauem Grund die zwölf goldenen Sterne, wie sie auch in der Europaflagge zu finden sind, wobei in der Mitte ein Paragraphenzeichen zu sehen ist.
ergänzende Informationen

Hessisches Landessozialgericht Beschluss30.09.2013

Arbeits­su­chender rumänischer Staats­an­ge­höriger hat Anspruch auf ALG IIKein Ausschluss der Leistung aufgrund § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II

Ein sich in Deutschland aufhaltender, arbeits­su­chender Rumäne hat Anspruch auf ALG II. Dieser Anspruch ist nicht durch § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen. Denn die Vorschrift steht im Widerspruch zum EU-Recht. Dies geht aus einer Entscheidung des Hessischen Landes­sozial­gerichts hervor.

In dem zugrunde liegenden Fall bestand Streit darüber, ob ein in Deutschland lebender rumänischer Staatan­ge­höriger Anspruch auf Arbeits­lo­sengeld II hat. Das Jobcenter verneinte dies und begründete seine Entscheidung damit, dass der Rumäne sich arbeitssuchend in Deutschland aufgehalten und daher nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II keinen Anspruch auf ALG II gehabt habe. Nachdem das Sozialgericht Wiesbaden zu Gunsten des Jobcenters entschied, musste sich das Hessische Landes­so­zi­al­gericht mit dem Fall beschäftigen.

Anspruch auf ALG II bestand

Das Hessische Landes­so­zi­al­gericht entschied zu Gunsten des Rumänen und hob das erstin­sta­nzliche Urteil auf. Dieser habe nämlich ein Anspruch auf ALG II gehabt. Zwar sei es richtig, dass der Rumäne nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von der Leistung ausgeschlossen wäre, da sein Aufenthalt allein der Arbeitssuche diente. Die Norm sei jedoch nicht zur Anwendung gekommen.

Verstoß gegen EU-Diskri­mi­nie­rungs­verbot

Die Anwendung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sei deshalb ausgeschlossen gewesen, so das Landes­so­zi­al­gericht weiter, weil es gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 70 in Verbindung mit Art. 4 VO (EG) 883/2004 verstoßen habe. Beide Vorschriften seien auf das ALG II anwendbar. Aufgrund des Umkehrschlusses aus Art. 70 Abs. 3 VO (EG) 883/2004 müsse daher bei der Anwendung des Leistungsrechts des Wohnstaates das strikte Gleich­be­hand­lungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 beachtet werden. Nach dieser Vorschrift haben Personen die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechts­vor­schriften eines Mitgliedstaates wie die Staats­an­ge­hörigen dieses Staates. Weiterhin könne die Norm nicht dahingehend eingeschränkt ausgelegt werden, dass sie wegen der Bezugnahme auf "Rechts­vor­schriften" nicht auf das ALG II anwendbar ist (16982).

Kein Recht­fer­ti­gungsgrund für Ungleich­be­handlung

Das Landes­so­zi­al­gericht führte weiter aus, dass es auch kein Recht­fer­ti­gungsgrund für eine an der Staats­an­ge­hö­rigkeit anknüpfende Ungleich­be­handlung gibt. Insofern sei auf den eindeutigen Wortlaut von Art. 4 VO (EG) 883/2004 abzustellen.

Keine gerechtfertigte Ungleich­be­handlung durch Unions­bür­ger­richtlinie

Eine Einschränkung ergebe sich nach Auffassung des Landes­so­zi­al­ge­richts insbesondere nicht aus Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG. Zwar sei nach dem Wortlaut der Regelung eine Ungleich­be­handlung bei Leistungen der "Sozialhilfe" gerechtfertigt. Die Regelung müsse jedoch eng ausgelegt werden (EuGH, Urt. v. 19.09.2013 - C-140/12). Eine Ungleich­be­handlung könne etwa dann gerechtfertigt sein, wenn ohne Leistungsausschluss Sozia­l­hil­fe­leis­tungen unangemessen in Anspruch genommen würden. Das nationale Recht müsse jedoch eine Prüfung der unangemessenen Inanspruchnahme im Einzelfall ermöglichen und dürfe kein Automatismus vorsehen. Die Regelung des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II entspreche den vom Gerichtshof kritisierten Automatismus. Denn sie führe im Falle der Arbeitssuche zu einem automatischen Ausschluss der Leistung ohne Prüfung nach Verhält­nis­mä­ßig­keits­ge­sichts­punkten.

Quelle: Hessiches Landessozialgericht, ra-online (vt/rb)

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss17335

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI