21.11.2024
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Hessisches Landessozialgericht Beschluss30.09.2013

Arbeits­su­chender rumänischer Staats­an­ge­höriger hat Anspruch auf ALG IIKein Ausschluss der Leistung aufgrund § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II

Ein sich in Deutschland aufhaltender, arbeits­su­chender Rumäne hat Anspruch auf ALG II. Dieser Anspruch ist nicht durch § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen. Denn die Vorschrift steht im Widerspruch zum EU-Recht. Dies geht aus einer Entscheidung des Hessischen Landes­sozial­gerichts hervor.

In dem zugrunde liegenden Fall bestand Streit darüber, ob ein in Deutschland lebender rumänischer Staatan­ge­höriger Anspruch auf Arbeits­lo­sengeld II hat. Das Jobcenter verneinte dies und begründete seine Entscheidung damit, dass der Rumäne sich arbeitssuchend in Deutschland aufgehalten und daher nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II keinen Anspruch auf ALG II gehabt habe. Nachdem das Sozialgericht Wiesbaden zu Gunsten des Jobcenters entschied, musste sich das Hessische Landes­so­zi­al­gericht mit dem Fall beschäftigen.

Anspruch auf ALG II bestand

Das Hessische Landes­so­zi­al­gericht entschied zu Gunsten des Rumänen und hob das erstin­sta­nzliche Urteil auf. Dieser habe nämlich ein Anspruch auf ALG II gehabt. Zwar sei es richtig, dass der Rumäne nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von der Leistung ausgeschlossen wäre, da sein Aufenthalt allein der Arbeitssuche diente. Die Norm sei jedoch nicht zur Anwendung gekommen.

Verstoß gegen EU-Diskri­mi­nie­rungs­verbot

Die Anwendung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sei deshalb ausgeschlossen gewesen, so das Landes­so­zi­al­gericht weiter, weil es gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 70 in Verbindung mit Art. 4 VO (EG) 883/2004 verstoßen habe. Beide Vorschriften seien auf das ALG II anwendbar. Aufgrund des Umkehrschlusses aus Art. 70 Abs. 3 VO (EG) 883/2004 müsse daher bei der Anwendung des Leistungsrechts des Wohnstaates das strikte Gleich­be­hand­lungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 beachtet werden. Nach dieser Vorschrift haben Personen die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechts­vor­schriften eines Mitgliedstaates wie die Staats­an­ge­hörigen dieses Staates. Weiterhin könne die Norm nicht dahingehend eingeschränkt ausgelegt werden, dass sie wegen der Bezugnahme auf "Rechts­vor­schriften" nicht auf das ALG II anwendbar ist (16982).

Kein Recht­fer­ti­gungsgrund für Ungleich­be­handlung

Das Landes­so­zi­al­gericht führte weiter aus, dass es auch kein Recht­fer­ti­gungsgrund für eine an der Staats­an­ge­hö­rigkeit anknüpfende Ungleich­be­handlung gibt. Insofern sei auf den eindeutigen Wortlaut von Art. 4 VO (EG) 883/2004 abzustellen.

Keine gerechtfertigte Ungleich­be­handlung durch Unions­bür­ger­richtlinie

Eine Einschränkung ergebe sich nach Auffassung des Landes­so­zi­al­ge­richts insbesondere nicht aus Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG. Zwar sei nach dem Wortlaut der Regelung eine Ungleich­be­handlung bei Leistungen der "Sozialhilfe" gerechtfertigt. Die Regelung müsse jedoch eng ausgelegt werden (EuGH, Urt. v. 19.09.2013 - C-140/12). Eine Ungleich­be­handlung könne etwa dann gerechtfertigt sein, wenn ohne Leistungsausschluss Sozia­l­hil­fe­leis­tungen unangemessen in Anspruch genommen würden. Das nationale Recht müsse jedoch eine Prüfung der unangemessenen Inanspruchnahme im Einzelfall ermöglichen und dürfe kein Automatismus vorsehen. Die Regelung des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II entspreche den vom Gerichtshof kritisierten Automatismus. Denn sie führe im Falle der Arbeitssuche zu einem automatischen Ausschluss der Leistung ohne Prüfung nach Verhält­nis­mä­ßig­keits­ge­sichts­punkten.

Quelle: Hessiches Landessozialgericht, ra-online (vt/rb)

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