Hessisches Landessozialgericht Beschluss04.06.2020
Asylbewerber hat Anspruch auf Sozialhilfe trotz KirchenasylOffenes Kirchenasyl ist kein Rechtsmissbrauch
Asylbewerber erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Halten sie sich seit 18 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet auf und haben die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst, so haben sie einen analogen Anspruch auf die umfangreicheren Sozialhilfeleistungen. War ein Asylbewerber im offenen Kirchenasyl und war damit der Ausländerbehörde sein Aufenthaltsort bekannt, so ist nicht von einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten auszugehen. Dies entschied das Hessischen Landessozialgericht.
Im hier vorliegenden Fall reiste ein Mann aus Äthiopien im Juni 2015 in die Bundesrepublik ein. Sein Asylantrag wurde abgelehnt und die Abschiebung nach Italien angeordnet. Im Juli 2016 begab er sich ins Kirchenasyl einer Frankfurt Kirchengemeinde, welche die Ausländerbehörde über seinen Aufenthaltsort unterrichtete. Im Februar 2017 erhielt er eine Aufenthaltsgestattung. Während dieser Zeit wurden ihm Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gewährt.
Antrag auf Sozialhilfeleistungen wegen rechtsmissbräuchlicher Beeinflussung der Aufenthaltsdauer abgelehnt
Im Oktober 2019 beantragte er analoge Sozialhilfeleistungen und führte an, dass er sich bereits seit mehr als 18 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalte. Die Stadt Frankfurt am Main lehnte den Antrag ab. Das in Anspruch genommene Kirchenasyl sei als rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet zu werten. Analoge Sozialhilfeleistungen seien daher ausgeschlossen. Hiergegen legte der Mann Widerspruch ein. Zudem beantragte er einstweiligen Rechtschutz vor dem Sozialgericht.
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Offenes Kirchenasyl stellt keinen Rechtsmissbrauch dar
Die Darmstädter Richter haben die Stadt Frankfurt im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, vorläufig analoge Sozialhilfeleistungen bis zur Entscheidung über den Widerspruch zu gewähren. Nach Auffassung des Landessozialgerichts wird das Kirchenasyl von den Verwaltungsbehörden ebenso wie von der Bundesregierung respektiert werde und in der Regel keine Abschiebung während des Kirchenasyls in den kirchlichen Räumen durchführen. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten liege nicht vor, weil aufgrund des Kirchenasyls die Abschiebung weder rechtlich noch tatsächlich unmöglich sei, wenn es sich – wie hier – um ein sogenanntes offenes Kirchenasyl handele, bei dem die Ausländerbehörde zu jeder Zeit der Dauer des Kirchenasyls den Aufenthaltsort des Ausländers kenne. Dieses offene Kirchenasyl sei aufenthaltsrechtlich nicht einem Untertauchen des Ausweisungspflichtigen gleichzusetzen.
Vorwurf des Rechtsmissbrauch nicht haltbar
Verzichte der Staat bewusst darauf, die Ausreisepflicht durchzusetzen, könne das Vollzugsdefizit nicht dem Ausländer angelastet werden. Denn es wäre widersprüchlich, den Aufenthalt vorübergehend zu tolerieren und dem Ausländer gleichzeitig den Aufenthalt als Rechtsmissbrauch vorzuwerfen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 23.06.2020
Quelle: Hessisches Landessozialgericht, ra-online (pm/ab)