15.11.2024
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Hessisches Landessozialgericht Urteil28.04.2016

Krankenkassen dürfen Einfrieren von Ei - und Samenzellen nicht durch Satzung­s­än­derung bezuschussenAuch krebskranke Versicherte müssen Kosten für Kryokon­ser­vierung selbst tragen

Die gesetzlichen Krankenkassen können in ihren Satzungen zusätzliche vom Gemeinsamen Bundesausschuss nicht ausgeschlossene Leistungen – auch zur künstlichen Befruchtung – für ihre Mitglieder vorsehen. Dies gilt jedoch nicht für die Kryokon­ser­vierung, mit welcher Ei- und Samenzellen tiefgefroren und als Fruchtbarkeits­reserve für Jahre oder Jahrzehnte zwischen­ge­lagert werden. Hierbei handelt es sich nicht um eine "zusätzliche", sondern um eine "andere" Leistung, die nicht kraft Satzungsrecht bezuschusst werden darf. Dies entschied das Hessische Landes­so­zi­al­gericht.

Eine Betrie­bs­kran­kenkasse (BKK) wollte per Satzung ihren Versicherten mit nachgewiesener Krebserkrankung einen Zuschuss in Höhe von maximal 1.200 Euro zu den Kosten einer Kryokon­ser­vierung gewähren. Das Bundes­auf­sichtsamt versagte die Genehmigung der Satzung­s­än­derung. Nach den "Richtlinien über die künstliche Befruchtung" des Gemeinsamen Bundes­aus­schusses seien Leistungen ausdrücklich ausgeschlossen, die über die künstliche Befruchtung hinausgingen. Dies gelte auch für die Kryokon­ser­vierung von Samenzellen, imprägnierten Eizellen oder noch nicht transferierten Embryonen.

Die BKK klagte vor dem Hessischen Landes­so­zi­al­gericht. Dass die Kryokon­ser­vierung nicht von den Richtlinien des Gemeinsamen Bundes­aus­schusses erfasst werde, bedeute nicht, dass eine gesetzliche Krankenkasse diese Methode satzungs­rechtlich nicht bezuschussen könne, so die Begründung der BKK.

Kein Freibrief für geset­ze­s­u­n­ab­hängiges Leistungsrecht kraft Satzung

Die Richter des Hessischen Landes­so­zi­al­ge­richts gaben dem Bundes­auf­sichtsamt Recht. Die Krankenkassen könnten zwar zusätzliche Leistungen auch zur künstlichen Befruchtung als Satzungs­leistung erbringen. Dies gelte jedoch nicht für neue Leistungen, die keine Weiter­ent­wicklung der Regelversorgung darstellten. Grundsätzlich lege das Gesetz selbst die Leistungen der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung fest. "Soweit die einzelne Krankenkasse selbst ausnahmsweise Leistungen ausgestalten darf, will der Gesetzgeber damit nicht quasi einen Freibrief ausstellen, um ein geset­ze­s­u­n­ab­hängiges Leistungsrecht kraft Satzung zu schaffen." Für den Bereich der künstlichen Befruchtung würden die Krankenkassen nur zu zusätzlichen Satzungs­leis­tungen ermächtigt, die gerade durch die entsprechende Vorschrift (hier: § 27 a SGB V) geprägt seien. Der Begriff "Künstliche Befruchtung" erfasse nur Maßnahmen, die dem einzelnen natürlichen Zeugungsakt entsprechen und unmittelbar der Befruchtung dienen würden. Hierzu gehörten Kryokon­ser­vierung und Lagerung von Samenzellen oder vorsorglich gewonnenen Eizellen nicht.

Hinweise zur Rechtslage

Erläuterungen

§ 194 Sozial­ge­setzbuch Fünftes Buch (SGB V)

(2) Die Satzung darf keine Bestimmungen enthalten, die den Aufgaben der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung widersprechen. Sie darf Leistungen nur vorsehen, soweit dieses Buch sie zulässt.

§ 195 SGB V

(1) Die Satzung bedarf der Genehmigung der Aufsichts­behörde.

§ 11 SGB V

(6) Die Krankenkasse kann in ihrer Satzung zusätzliche vom Gemeinsamen Bundesausschuss nicht ausgeschlossene Leistungen [...] der künstlichen Befruchtung (§ 27a) [...] vorsehen. [...]

§ 27 a SGB V

(1) Die Leistungen der Kranken­be­handlung umfassen auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, wenn

1. diese Maßnahmen nach ärztlicher Feststellung erforderlich sind,

2. nach ärztlicher Feststellung hinreichende Aussicht besteht, dass durch die Maßnahmen eine Schwangerschaft herbeigeführt wird; eine hinreichende Aussicht besteht nicht mehr, wenn die Maßnahme drei Mal ohne Erfolg durchgeführt worden ist,

3. die Personen, die diese Maßnahmen in Anspruch nehmen wollen, miteinander verheiratet sind,

4. ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden und

5. sich die Ehegatten vor Durchführung der Maßnahmen von einem Arzt, der die Behandlung nicht selbst durchführt, über eine solche Behandlung unter Berück­sich­tigung ihrer medizinischen und psychosozialen Gesichtspunkte haben unterrichten lassen [...].

[...]

(3) Anspruch auf Sachleistungen nach Absatz 1 besteht nur für Versicherte, die das 25. Lebensjahr vollendet haben; der Anspruch besteht nicht für weibliche Versicherte, die das 40. und für männliche Versicherte, die das 50. Lebensjahr vollendet haben. Vor Beginn der Behandlung ist der Krankenkasse ein Behandlungsplan zur Genehmigung vorzulegen. Die Krankenkasse übernimmt 50 vom Hundert der mit dem Behandlungsplan genehmigten Kosten der Maßnahmen, die bei ihrem Versicherten durchgeführt werden.

(4) Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach § 92 die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen nach Absatz 1.

Quelle: Hessisches Landessozialgericht/ra-online

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