Dokument-Nr. 27703
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Hessisches Landessozialgericht Beschluss18.07.2019
Massives Untergewicht rechtfertigt Anspruch auf Behandlung mit DronabinolGericht verurteilt Krankenkasse zur Kostenübernahme bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren
Das LSG Darmstadt hat entschieden, dass gesetzlich Krankenversicherte mit Dronabinol versorgt werden können. Voraussetzung ist jedoch, dass entweder eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht oder eine solche nicht zur Anwendung kommen kann. Ferner muss eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome bestehen. Sind diese Voraussetzungen nicht nachgewiesen, ist bei der in einem gerichtlichen Eilverfahren vorzunehmenden Folgenabwägung die körperliche Unversehrtheit von besonderer Bedeutung.
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Seit seiner frühen Kindheit litt der 19-jähriger Versicherter an einer seltenen Darmerkrankung, die massive Bauchkrämpfe verursacht.
Krankenkasse lehnte Therapie mit Dronabinol wegen bereits vorliegender Suchterkrankung ab
Aufgrund der schweren Schmerzen wurde er unter anderem mit Opioiden behandelt. Der Mann leidet zudem an Appetitlosigkeit und massiver Unterernährung. Im Jahr 2017 lag sein BMI bei 16. Im September 2018 wurde ihm eine Therapie mit Dronabinol zur Besserung der Schmerzen, des Appetits und des Schlafs empfohlen. Die Krankenkasse lehnte die Versorgung wegen der Gefahr einer Abhängigkeit von Cannabis bei bereits vorliegender Suchterkrankung des Versicherten ab. Der junge Mann, der mittlerweile bei einer Körpergröße von 1,80 m nur noch 44 kg wiegt (BMI 13,6), bezieht Hartz IV und kann die Dronabinol-Therapie nicht aus eigenen Mitteln finanzieren. Er beantragte eine einstweilige gerichtliche Anordnung.
LSG: Gesetzliche Krankenkasse muss vorläufigen Versorgung des Versicherten mit Dronabinol übernehmen
Die Darmstädter Richter verpflichteten die Krankenkasse zur vorläufigen Versorgung des Versicherten mit Dronabinol für einen Zeitraum von einem Jahr. Es sei zwar vorliegend nicht geklärt, ob eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung stehe bzw. eine solche nicht zur Anwendung kommen könne. Ebenso sei die Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf unsicher. Insoweit seien im gerichtlichen Hauptsacheverfahren entsprechende Ermittlungen durchzuführen.
Körperliche Unversehrtheit überwiegt gegenüber dem wirtschaftlichen Interesse der Krankenkasse
Bei der im gerichtlichen Eilverfahren erforderlichen Folgenabwägung überwiege vorliegend jedoch das grundrechtlich besonders geschützte Rechtsgut auf körperliche Unversehrtheit des lebensbedrohlich untergewichtigen Versicherten gegenüber dem Interesse der Krankenkasse auf eine wirtschaftliche Krankenbehandlung. Der behandelnde Arzt habe zudem ausgeführt, dass die bereits während einiger Monate mittels Privatrezept durchgeführte Dronabinol-Behandlung eine Reduktion der Schmerzen sowie insbesondere eine Gewichtzunahme bei dem Versicherten bewirkt habe. Es solle daher ein Behandlungsversuch über einen längeren Zeitraum erfolgen, damit die Wirkung der Dronabinol-Therapie auf den Krankheitsverlauf bzw. die schwerwiegenden Symptome beurteilt werden könne.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 31.07.2019
Quelle: Landessozialgericht Hessen, ra-online (pm/ab)
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