18.10.2024
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Sie sehen ein Justizia-Figur und im Hintergrund einen Mann am Telefon.

Dokument-Nr. 7849

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Hessisches Landesarbeitsgericht Urteil17.09.2008

Mitarbeiterin darf nach Nutzung einer fremden Zutrittskarte zum Erhalt eines bezuschussten Mittagessens nicht gekündigt werdenMitarbeiterin wollte Unternehmen nicht vorsätzlich schädigen

Nutzt eine Mitarbeiterin für den Besuch der Kantine die Zutrittskarte eines abwesenden Kollegen, stellt dies keinen hinreichenden Kündigungsgrund dar. Dies entschied das Landes­a­r­beits­gericht Hessen.

Nach einer Entscheidung des Hessischen Landes­a­r­beits­ge­richts rechtfertigt die Nutzung der Zutrittskarte eines erkrankten Arbeitskollegen, der zugleich der Lebensgefährte der Mitarbeiterin ist, zur Erlangung eines vom Arbeitgeber bezuschussten Kanti­nen­mit­ta­g­essens ohne vorherige Abmahnung nicht den Ausspruch einer außer­or­dent­lichen oder hilfsweisen ordentlichen Kündigung.

Auslöser des Rechtsstreits war der Umstand, dass ein Arbeitgeber den Mitarbeitern angeboten hat, nach vorheriger Anmeldung gegen eine Monatspauschale in Höhe von ca. 50,00 € an der Mittags­ver­pflegung in der Kantine teilzunehmen. Die von ihm ausgegebenen Zutrittskarten der Beschäftigten werden für den Fall, dass diese sich zur Teilnahme an der Kanti­nen­ver­pflegung entschließen, für die tägliche Kantinennutzung freigeschaltet. Bei Teilnahme an der Kanti­nen­ver­pflegung erstattet der Arbeitgeber dem Kanti­nen­be­treiber jeweils ca. 3,00 €. Das Mittagessen erhalten die Teilnehmer, indem sie ihre Zutrittskarte an die Kartenleser der jeweiligen Essensstationen halten. Gehen die Teilnehmer im Einzelfall nicht zum Mittagessen, erhalten sie keine finanzielle Erstattung. Der Kanti­nen­be­treiber hat für seine Kosten einkalkuliert, dass jeden Tag von den Pauschalnutzern die Mittags­ver­pflegung in Anspruch genommen wird. Für Mitarbeiter, die nicht zur pauschalen Kantinennutzung angemeldet sind, besteht die Möglichkeit, Geldbeträge auf die Zutrittskarte zu laden und in der Kantine ein Gästeessen zu einem Preis von mindestens 10,00 € einzunehmen. Eine Mitarbeiterin, die seit 1999 im Betrieb beschäftigt war, hatte bis Januar 2003 an der Mittags­ver­pflegung teilgenommen und sich danach nicht wieder angemeldet. Ihr Lebensgefährte war angemeldet und entrichtete die Pauschalzahlung. Während er krank­heits­bedingt zu Hause bleiben musste, hatte die seine Lebensgefährtin an sieben Arbeitstagen unter Nutzung von seiner freige­schalteten Zutrittskarte an der betrieblichen Mittags­ver­pflegung teilgenommen. Nachdem der Arbeitgeber hiervon Kenntnis erlangt hatte, kündigte er das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgemäß. Er sah in dem Verhalten der Mitarbeiterin den Straftatbestand der Erschleichung einer Leistung verwirklicht.

Das Arbeitsgericht hat der von der Mitarbeiterin eingereichten Kündi­gungs­schutzklage stattgegeben.

Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Arbeitgebers hatte keinen Erfolg. Auch nach Auffassung des Berufungs­ge­richts war im Hinblick auf das der Mitarbeiterin vorzuwerfende Fehlverhalten eine erfolglose Abmahnung erforderlich. Es war entschuldbar, wenn sie geglaubt hat, unter Nutzung von dessen Zutrittskarte - ausschließlich - zu diesem Zweck die Mittags­ver­pflegung anstelle ihres erkrankten Lebensgefährten in Anspruch nehmen zu dürfen. Sie musste auch nicht annehmen, dass dadurch irgendjemandem ein Schaden entstehen würde. Den bekannt gegebenen Bedingungen zur Teilnahme an der betrieblichen Mittags­ver­pflegung, auf die sich der Arbeitgeber berufen hat, lasse sich dies jedenfalls nicht klar entnehmen.

Berufungs­gericht bestätigt Urteil

Aus den Nutzungs­be­din­gungen gehe zwar unmiss­ver­ständlich und mit kaum zu überbietender Deutlichkeit hervor, wie mit dem täglichen tatsächlichen Essensbezug zu verfahren sei. Nicht zu ersehen sei aber, dass Abwesen­heits­zeiten und Nicht­i­n­an­spruchnahme der Mittags­ver­pflegung in die Essenspreise einkalkuliert seien und die Nutzung der Freischaltung eines angemeldeten Kollegen verboten sei. Letzteres mag man sich zwar bei näherer Überlegung und Befassen mit der Thematik denken können. Es sei aber keineswegs offensichtlich. Damit habe es sich bei dem Fehlverhalten der Mitarbeiterin auf jeden Fall nicht um eine solche Pflicht­ver­letzung gehandelt, bei der eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen und mithin eine Abmahnung entbehrlich gewesen sei.

Keine strafbare Handlung mangels Vorsatz

Soweit der Arbeitgeber gemeint hat, die Mitarbeiterin habe strafbare Handlungen begangen, fehlte es jedenfalls an der subjektiven Tatseite. Es sei nicht ersichtlich, dass sie vorsätzlich einen Irrtum erregen wollte und den Vorsatz hatte, das Vermögen des Arbeitgebers zu schädigen. Ein solcher Vorsatz wäre nur möglich gewesen, wenn sie den Bewirt­schaf­tungs­vertrag mit dem Kanti­nen­be­treiber gekannt und diesem weiterhin hätte entnehmen können, dass der Essenszuschuss abhängig von der jeweiligen Zahl der Nutzer der Mittags­ver­pflegung gewesen sei. Auch die Strafvorschrift des § 281 StGB sah das Berufungs­gericht nicht als verwirklicht an. Die Zutrittskarte sei zwar ein Ausweispapier. Die Mitarbeiterin habe jedoch die Zutrittskarte ihres Lebensgefährten nicht - wie die Strafvorschrift verlange - als Ausweispapier verwendet und nicht zur Identi­täts­täu­schung eingesetzt. Sie habe lediglich die Freischaltung auf der Zutrittskarte am Kartenleser der Essensstation verwendet. Selbst wenn man annehme, dass eine Identi­täts­täu­schung dadurch gegeben sei, dass der Name später ausgelesen wurde und ausgelesen werden konnte, fehle es aber wiederum an subjektiven Tatbestand.

Im Übrigen erachtete das Berufungs­gericht eine Kündigung, sei sie außerordentlich oder ordentlich, im Hinblick auf die Beschäf­ti­gungsdauer und das Gewicht der vorgeworfenen Pflicht­ver­letzung für unver­hält­nismäßig.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr.12/09 des LAG Hessen vom 11.05.09

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