18.10.2024
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Sie sehen ein Justizia-Figur und im Hintergrund einen Mann am Telefon.

Dokument-Nr. 8886

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Hessisches Landesarbeitsgericht Urteil01.04.2009

Vorgetäuschte Arbeits­un­fä­higkeit kann zur außer­or­dent­lichen Kündigung führenVorenthalten geschuldeter Arbeits­leis­tungen stellt erhebliche Vertrags­pflicht­ver­letzung dar

Der Beweiswert einer Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung ist erschüttert, wenn feststeht, dass ein Arbeitnehmer erklärt hat, der könne eine angebotene Schwarzarbeit ausführen. Eine derart vorgetäuschte Arbeits­un­fä­higkeit berechtige den Arbeitgeber zum Ausspruch einer außer­or­dent­lichen Kündigung. Dies hat das Hessische Landes­a­r­beits­gericht entschieden.

Bei einem über 50 Jahre alten Mitarbeiter eines Metall­un­ter­nehmens, der seit 20 Jahren als Schweißer beschäftigt und mehreren Kindern zum Unterhalt verpflichtet war, stieg der Krankenstand innerhalb der Kündigungsfrist deutlich an, nachdem der Arbeitgeber ihm gegenüber eine betrie­bs­be­dingte Kündigung ausgesprochen hatte. Der Arbeitgeber entschloss sich daraufhin, einen Detektiv zur Überprüfung der Arbeits­un­fä­hig­keiten einzuschalten. Im Rahmen seiner Ermittlungen rief der Detektiv unter einem Vorwand bei dem krank geschriebenen Mitarbeiter an und äußerte, jemanden für Innen­aus­bau­tä­tig­keiten zu benötigen und zwar zum Wände einreißen, Mauern und für Malerarbeiten. Der Mitarbeiter habe – so die Behauptung des Arbeitgebers – dem Detektiv mitgeteilt, dass er Mauern könne und auch mit Malerarbeiten kein Problem habe und gefragt, was man ihm denn zahlen würde und erklärt, er könne sofort anfangen. Auf die Frage des Detektivs, warum er sofort anfangen könne, ob er denn arbeitslos sei, habe er erklärt, dass er zurzeit krank sei und sofort für diese Arbeiten zur Verfügung stehe. Ohne darum gebeten worden zu sein, habe er dem Detektiv seine private Handynummer gegeben und ihm erklärt, wenn er niemanden bekäme, dann solle er unbedingt beim ihm zurückrufen. Der Mitarbeiter wandte hingegen ein, er habe den Detektiv in dem Gespräch lediglich darauf hingewiesen, dass er ihm nicht helfen könne, da er seit über 20 Jahren im Metallbau tätig wäre und daher die geforderten Arbeiten für ihn fremd wären. Er habe dem Detektiv jedoch erklärt, er könne seinen Bruder bzw. andere Kollegen fragen, ob diese solche Arbeiten ausführen würden, und ihm aus diesem Grund auch seine Handynummer gegeben. Der Arbeitgeber kündigte im Hinblick auf die von ihm behaupteten Einlassungen des krank geschriebenen Mitarbeiters das Arbeits­ver­hältnis fristlos mit dem Vorwurf der vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit. Der Arbeitnehmer erhob Kündi­gungs­schutzklage, der das Arbeitsgericht stattgegeben hat.

LAG: Vorgetäuschte Arbeits­un­fä­higkeit rechtfertigt außer­or­dentliche Kündigung

Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Arbeitgebers hatte Erfolg. Nachdem das Berufungs­gericht den Detektiv als Zeugen gehört hat, wies es die Kündi­gungs­schutzklage ab. Als Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass der gekündigte Mitarbeiter dem Detektiv seine Arbeitsleistung für schwere körperliche Arbeiten im Innenausbau angeboten habe. Damit habe er seine Arbeits­un­fä­higkeit nur vorgetäuscht und dieser Umstand könne auch dann - ohne vorherige Abmahnung - eine außer­or­dentliche Kündigung rechtfertigen, wenn der Arbeitnehmer mit dem Vortäuschen der Arbeits­un­fä­higkeit sich keine Entgelt­fort­zahlung vom Arbeitgeber erschlichen habe (weil wie vorliegend der 6-wöchige Entgelt­fort­zah­lungs­zeitraum des § 3 EFZG bereits abgelaufen war), sondern „nur“ dem Arbeitgeber seine Arbeitsleistung vorenthalten habe. Auch erschüttere schon die angekündigte Arbeits­be­reit­schaft während einer Arbeits­un­fä­higkeit und nicht erst das tatsächliche Durchführen von Arbeiten den Beweiswert eines Arbeits­un­fä­hig­keit­s­at­testes.

Arbeitnehmer verletzt nicht nur geschuldete Haupt­leis­tungs­pflicht, sondern auch Vertrauensbasis

Nach Auffassung des Berufungs­ge­richts kann das Vortäuschen einer Arbeits­un­fä­higkeit und damit das Vorenthalten der arbeits­ver­traglich geschuldeten Arbeitsleistung eine erhebliche, schuldhafte Vertrags­pflicht­ver­letzung darstellen, die eine außer­or­dentliche Kündigung aus wichtigem Grund rechtfertigt. Der Arbeitnehmer verletzte mit diesem Verhalten nämlich nicht nur die von ihm geschuldete Haupt­leis­tungs­pflicht, sondern auch die für das Arbeits­ver­hältnis erforderliche Vertrauensbasis zwischen den Parteien, indem er den Arbeitgeber täusche. Es sei auch für jeden Arbeitnehmer ohne weiteres ersichtlich, dass der Arbeitgeber die Vorenthaltung der geschuldeten Arbeitsleistung aufgrund des Vortäuschens einer Arbeits­un­fä­higkeit als eine so schwerwiegende Vertrags­ver­letzung ansehe, dass er ohne vorherige Abmahnung das Arbeits­ver­hältnis kündigen werde. Das Vortäuschen der Arbeits­un­fä­higkeit stelle ein unredliches Verhalten des Arbeitnehmers dar, das unabhängig davon, ob die Arbeits­un­fä­higkeit zu einer Belastung des Arbeitgebers mit Entgelt­fort­zah­lungs­kosten führt oder nicht, die Vertrau­ens­grundlage für die Fortsetzung des Arbeits­ver­hält­nisses zerstöre.

Betriebliche Interessen an sofortiger Auflösung des Arbeits­ver­hält­nisses überwiegen

Auch die Inter­es­se­n­ab­wägung rechtfertige nach Auffassung des Berufungs­ge­richts keine andere Bewertung. Dies gelte ungeachtet der langen Dauer des Arbeits­ver­hält­nisses und der bestehenden Unter­halts­pflichten des Mitarbeiters. Die betrieblichen Interessen an der sofortigen Auflösung des Arbeits­ver­hält­nisses überwiegten. Der Arbeitgeber habe nämlich insoweit auch zu berücksichtigen, wie sich das Verhalten auf das der übrigen Arbeitnehmer auswirke, wenn er von einer Kündigung absehe. Insoweit handele es sich noch um Folgen des Fehlverhaltens, für das der Arbeitnehmer einzustehen habe. Schon ein einmaliger Fall einer vorgetäuschten Arbeits­un­fä­higkeit, auch wenn der Arbeitnehmer damit keine Entgelt­fort­zah­lungs­kosten erschleiche, könne deshalb eine Kündigung rechtfertigen, auch wenn der Arbeitgeber nicht in der Lage sei, zu der Frage der Wieder­ho­lungs­gefahr weitere Umstände vorzutragen. Ein anderes Ergebnis der Inter­es­se­n­ab­wägung könne auch nicht mit dem Hinweis auf die dem Mitarbeiter entgangene Sozia­l­pla­n­ab­findung begründet werden.

Quelle: ra-online, Hessisches LAG

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