23.11.2024
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Finanzgericht Münster Urteil12.01.2023

"Sinnlose" Erklärung kann in einen Einspruch umgedeutet werdenUmdeutung nach § 140 BGB auch im Steuerrecht anerkannt

Wird gegenüber dem Finanzamt eine Stellungnahme zu einer streitigen Frage abgegeben, die nicht als Einspruch ausgelegt werden kann, kommt gleichwohl nach dem Rechtsgedanken des § 140 BGB eine Umdeutung in einen Einspruch in Betracht. Dies hat das Finanzgericht entschieden.

Im Hinblick auf eine beabsichtigte Haftungs­i­n­an­spruchnahme für Steuerschulden einer KG richtete das Finanzamt schriftliche Anfragen an die beiden Kläger. Nachdem bis auf einen Frist­ver­län­ge­rungs­antrag des Prozess­ver­treters der beiden Kläger keine weitere Rückmeldung erfolgt war, erließ das Finanzamt jeweils Haftungs­be­scheide, die es beiden Klägern an ihre Privatanschrift zustellte. Innerhalb der Einspruchsfrist nahm der Prozess­be­voll­mächtigte für beide Kläger inhaltlich zu den zuvor gestellten Anfragen Stellung. Die Haftungs­be­scheide waren ihm zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Schreiben nicht bekannt. Nach Kenntnisnahme der Bescheide trug der Prozess­ver­treter vor, seine Schreiben seien als Einsprüche zu werten. Da die Einspruchsfrist zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen war, verwarf das Finanzamt die Einsprüche wegen Fristablaufs als unzulässig. Die Klage, mit der die Kläger lediglich die isolierte Aufhebung der Einspruch­s­ent­schei­dungen beantragten, hatte Erfolg.

FG: Haftungs­be­scheide wirksam zugestellt

Das FG hat ausgeführt, dass das Finanzamt die Einsprüche zu Unrecht als unzulässig verworfen habe. Die Haftungs­be­scheide seien zunächst wirksam an die Privatadressen der Kläger zugestellt worden, da der Prozess­ver­treter zuvor keine Vollmachten vorgelegt habe. Die innerhalb der Einspruchsfrist eingegangenen Schreiben könnten zwar nicht als Einsprüche ausgelegt, aber in solche umgedeutet werden. Eine Auslegung scheitere daran, dass der wirkliche Wille nicht auf Anfechtung der Haftungs­be­scheide gerichtet gewesen sein könne, weil dem Prozess­ver­treter die Bescheide nicht bekannt gewesen seien.

Erklärung kann in Einspruch umgedeutet werden

Nach dem Rechtsgedanken des § 140 BGB komme jedoch eine Umdeutung in Betracht. Diese zivilrechtliche Vorschrift regelt, dass ein nichtiges Rechtsgeschäft, das den Erfordernissen eines anderen Rechtsgeschäfts entspricht, in ein wirksames Rechtsgeschäft umgedeutet werden kann, wenn ein entsprechender Wille anzunehmen ist. Grundsätzlich sei die Umdeutung auch im Steuerrecht anerkannt.

Gebot des effektiven Rechtsschutzes

Nach Auffassung des Gerichts seien wegen des Gebots effektiven Rechtsschutzes auch "sinnlose" Verfah­ren­s­er­klä­rungen umdeutungsfähig. Im Streitfall sei erkennbares Ziel der beiden Stellungnahmen des Prozess­ver­treters, auf dessen Kennt­nis­ho­rizont abzustellen sei, die Verhinderung der Haftungs­i­n­an­spruchnahme der Kläger gewesen. Dieses Ziel habe er aber nach Erlass der Haftungs­be­scheide nur durch Einlegung von Einsprüchen erreichen können. Es sei kein vernünftiger Grund ersichtlich, weshalb er nicht gegen die Bescheide Einsprüche eingelegt hätte, wenn ihm deren Existenz bekannt gewesen wäre. Einer Umdeutung stehe auch nicht entgegen, dass die Stellungnahmen von einem Rechtsanwalt verfasst wurden, deren Verfah­ren­s­er­klä­rungen grundsätzlich beim Wort zu nehmen seien. Hiervon sei eine Ausnahme zu machen, wenn dem Rechtskundigen die tatsächliche Verfah­rens­si­tuation nicht bekannt gewesen sei. Da die Umdeutung ein verschul­den­su­n­ab­hängiges Rechtsinstitut darstelle, sei schließlich unerheblich, dass die Kläger ihren Prozess­ver­treter schuldhaft nicht rechtzeitig über die Zustellung der Haftungs­be­scheide informiert hätten. Der Senat hat die Revision zugelassen.

Quelle: Finanzgericht Münster, a-online (pm/ab)

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