21.11.2024
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Dokument-Nr. 5158

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil15.11.2007

Kapseln mit Knoblau­ch­extrakt-Pulver sind kein Arzneimittel

Das Erfordernis, für in Kapseln abgefüllten Knoblauch eine Verkehrs­ge­neh­migung als Arzneimittel einzuholen, ist ein Hindernis für den freien Warenverkehr, das nicht aus Gründen des Gesund­heits­schutzes gerechtfertigt ist. Dies hat der Europäische Gerichtshof entschieden.

Die deutschen Behörden lehnten einen Antrag auf Einfuhr und Vermarktung von "Knoblau­ch­ex­trakt­pulver-Kapseln" mit der Begründung ab, dass diese Kapseln kein Lebensmittel, sondern ein Arzneimittel seien.

Da diese Einstufung des Erzeugnisses als Arzneimittel nach Meinung der Kommission nicht mit dem Grundsatz des freien Warenverkehrs vereinbar war, erhob sie beim Gerichtshof gegen Deutschland eine Vertrags­ver­let­zungsklage.

Zum Begriff des Arzneimittels

In seinem Urteil weist der Gerichtshof darauf hin, dass der Gemein­schaftskodex für Humana­rz­nei­mittel nur einen ersten Schritt der Harmonisierung bildet und dass es daher kaum vermeidbar ist, dass zwischen den Mitgliedstaaten bei der Einstufung von Produkten noch Unterschiede bestehen. Gleichwohl ist ein Erzeugnis, das der gemein­schafts­recht­lichen Definition eines "Arzneimittels" entspricht, auch als Arzneimittel einzustufen. Dabei kann ein Erzeugnis entweder nach seiner Bezeichnung oder nach seiner Funktion ein Arzneimittel sein.

Die Aufmachung des in Frage stehenden Erzeugnisses als Kapseln ist zwar ein Indiz für seine Einstufung als ein "Arzneimittel nach der Bezeichnung"; dieses Indiz kann jedoch für sich allein nicht ausschlaggebend sein. Überdies ist die Kapselform für Arzneimittel nicht spezifisch.

Zur Frage der Einstufung als "Arzneimittel nach der Funktion" führt der Gerichtshof aus, dass das Kriterium der physiologischen Wirkung nicht für Arzneimittel spezifisch ist, sondern ebenso zu den verwendeten Kriterien für die Definition eines "Nahrungs­er­gän­zungs­mittels" gehört. Den dem Gerichtshof vorliegenden Akten war zu entnehmen, dass die "Knoblau­ch­ex­trakt­pulver-Kapseln", abgesehen von einem bloßen Hilfsstoff, keine Substanz enthalten, die nicht auch in Knoblauch in seinem natürlichen Zustand enthalten wäre, und dass ihre Einnahme keine zusätzlichen positiven oder negativen Auswirkungen im Vergleich zu dem Verzehr von Knoblauch im natürlichen Zustand hat. Um unter die Definition eines "Arzneimittels nach der Funktion" zu fallen, muss ein Produkt jedoch die Funktion der Verhütung oder Heilung von Krankheiten besitzen. Allgemein förderliche Auswirkungen auf die Gesundheit, wie sie Knoblauch besitzt, genügen dafür nicht.

Der Gerichtshof kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass die Knoblauch­kapseln weder der Definition eines "Arzneimittels nach der Bezeichnung" noch der eines "Arzneimittels nach der Funktion" entsprechen. Sie können daher nicht als Arzneimittel eingestuft werden.

Zum Verstoß gegen den freien Warenverkehr

Dazu führt der Gerichtshof aus, dass das Erfordernis, für das Erzeugnis eine Verkehrs­ge­neh­migung als Arzneimittel einzuholen, eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhr­be­schränkung ist, welche vom Gemein­schaftsrecht untersagt wird, weil sie ein Hindernis für den inner­ge­mein­schaft­lichen Handel mit Erzeugnissen bedeutet, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig als Lebensmittel vertrieben werden dürfen.

Hinsichtlich einer möglichen Rechtfertigung dieses Hindernisses weist der Gerichtshof darauf hin, dass es, soweit beim gegenwärtigen Stand der wissen­schaft­lichen Forschung noch Unsicherheiten bestehen, mangels einer gemein­schafts­recht­lichen Harmonisierung Sache der Mitgliedstaaten ist, unter Berück­sich­tigung der Erfordernisse des freien Warenverkehrs zu bestimmen, in welchem Umfang sie den Schutz der Gesundheit gewährleisten wollen. Jedoch müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung ihres Ermessens den Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit wahren. Im vorliegenden Fall kann das Geneh­mi­gungs­er­for­dernis nicht mit den von der Bundesrepublik Deutschland vorgetragenen Argumenten gerechtfertigt werden, die sich im Wesentlichen auf die Risiken beziehen, welche mit dem Verzehr von Knoblauch im Allgemeinen verbunden sind und nicht speziell die fraglichen Kapseln betreffen. Überdies gäbe es ebenso wirksame, aber den freien Warenverkehr weniger beschränkende Maßnahmen als das Erfordernis einer vorherigen Genehmigung.

Der Gerichtshof stellt daher fest, dass die Bundesrepublik Deutschland ihre Verpflichtungen aus dem Vertrag im Hinblick auf den freien Warenverkehr verletzt hat.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 84/07 des EuGH vom 15.11.2007

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