15.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil06.12.2018

Parallel erworbene Universitäts­ab­schlüsse müssen anerkannt werdenMitgliedstaaten müssen auf Einhaltung bestimmter Anforderungen für Abschlüsse achten

Universitäts­ab­schlüsse, die im Rahmen von teilweise gleichzeitig absolvierten Studiengängen erlangt werden, müssen automatisch in allen Mitgliedstaaten anerkannt werden, wenn die unionsrechtlich festgelegten Mindest­anforderungen an die Ausbildung erfüllt sind. Es obliegt dem Mitgliedstaat, in dem der Abschluss verliehen wird, auf die Einhaltung dieser Anforderungen zu achten.

Im Jahr 2013 gab das Ministero della Salute (Gesund­heits­mi­nis­terium, Italien -im Folgenden: Ministerium) dem Antrag von Herrn Hannes Preindl, einem italienischen Staatsbürger, statt, den Titel "Doktor der Zahnheilkunde" für die Ausübung des Zahnarztberufs in Italien anzuerkennen. Dieser Titel war ihm von der Medizinischen Universität Innsbruck (Österreich) verliehen worden.2014 stellte Herr Preindl, um in Italien auch den Beruf des Chirurgen auszuüben, beim Ministerium einen Antrag auf Anerkennung des Titels "Doktor der Gesamten Heilkunde", der ihm ebenfalls von der Medizinischen Universität Innsbruck verliehen worden war.

Gleichzeitiges Absolvieren zweier Ausbildungen in EU-Richtlinie nicht vorgesehen

Das Ministerium lehnte die Anerkennung dieses Titels mit der Begründung ab, dass in der Richtlinie 2005/36 über die Anerkennung von Berufs­qua­li­fi­ka­tionen* nicht vorgesehen sei, dass eine Person gleichzeitig zwei Ausbildungen absolviere. Zahlreiche von Herrn Preindl abgelegte Prüfungen seien gleichzeitig für die Ausstellung sowohl des Titels des Zahnarztes als auch des Titels des Arztes berücksichtigt worden. Die gleichzeitige Immatri­ku­lierung in zwei Studiengängen sei aber, auch wenn sie nach öster­rei­chischem Recht zulässig sei, nach italienischem Recht verboten, das eine Pflicht zur Ausbildung in Vollzeit vorsehe.

Nationales Gericht erbittet Vorab­ent­scheidung des EuGH zur möglichen Pflicht der Anerkennung von Titeln zweier gleichzeitig absolvierter Ausbildungen

Dagegen erhob Herr Preindl Klage bei den italienischen Verwal­tungs­ge­richten. In diesem Kontext fragt der Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) den Gerichtshof, ob die Richtlinie einen Mitgliedstaat, dessen Rechts­vor­schriften das Erfordernis einer Vollzeit­aus­bildung und das Verbot vorsehen, sich gleichzeitig für zwei Ausbildungen einzuschreiben, zur automatischen Anerkennung von Titeln verpflichtet, die in einem anderen Mitgliedstaat am Ende von teilweise gleichzeitig absolvierten Ausbildungen erteilt wurden. Der Consiglio di Stato möchte auch wissen, ob, wenn der Titel am Ende einer Ausbildung auf Teilzeitbasis erteilt wurde, der Aufnah­me­mit­gliedstaat (im vorliegenden Fall Italien) überprüfen kann, ob die Voraussetzung, dass die Gesamtdauer, das Niveau und die Qualität der Ausbildungen auf Teilzeitbasis nicht geringer sind als bei einer Vollzeit­aus­bildung, erfüllt ist.

Minde­st­an­for­de­rungen an Ausbildungen von Mitgliedstaaten einvernehmlich festgelegt

Mit seinem Urteil stellte der Gerichtshof zunächst in Bezug auf die Berufe des Arztes und des Zahnarztes fest, dass die Richtlinie ein System der automatischen Anerkennung der Ausbil­dungs­nachweise vorsieht, das auf Minde­st­an­for­de­rungen an die Ausbildung beruht, die von den Mitgliedstaaten einvernehmlich festgelegt worden sind.

Richtlinie untersagt weder Teilzeit­aus­bildung noch Einschreibung in mehreren Ausbildungen

Der Gerichtshof stellt sodann fest, dass die Richtlinie es den Mitgliedstaaten zum einen erlaubt, die Ausbildung auf Teilzeitbasis zu gestatten, sofern die Gesamtdauer, das Niveau und die Qualität dieser Ausbildung nicht geringer sind als bei einer Vollzeit­aus­bildung, und dass sie es zum anderen den Mitgliedstaaten nicht verwehrt, die gleichzeitige Einschreibung in mehrere Ausbildungen zu gestatten.

Mitgliedsstaat muss den Richtlinien entsprechende Ausbildungen anerkennen

Daher muss ein Mitgliedstaat, dessen Rechts­vor­schriften das Erfordernis einer Vollzeit­aus­bildung und das Verbot vorsehen, sich gleichzeitig für zwei Ausbildungen einzuschreiben, die in einem anderen Mitgliedstaat erteilten und von der Richtlinie erfassten Ausbil­dungs­nachweise auch dann automatisch anerkennen, wenn der Betroffene eine Ausbildung auf Teilzeitbasis oder mehrere Ausbildungen gleichzeitig oder in Zeiträumen, die sich teilweise überschneiden, absolviert hat, sofern die Anforderungen der Richtlinie an die Ausbildung erfüllt sind.

Herkunfts­mit­glieds­s­taaten müssen Niveau und Qualität der Ausbildungen auf Teilzeitbasis gemäß Richtlinie sicherstellen

Der Gerichtshof hebt hervor, dass es dem Herkunfts­mit­gliedstaat (im vorliegenden Fall Österreich) und nicht dem Aufnah­me­mit­gliedstaat obliegt, sicherzustellen, dass die Gesamtdauer, das Niveau und die Qualität der Ausbildungen auf Teilzeitbasis nicht geringer sind als bei einer Vollzeit­aus­bildung und dass ganz allgemein alle in der Richtlinie 2005/36 aufgestellten Anforderungen in vollen Umfang erfüllt sind. Das System der automatischen und bedingungslosen Anerkennung der Ausbil­dungs­nachweise wie das in der Richtlinie vorgesehene würde nämlich schwerwiegend beeinträchtigt, wenn es den Mitgliedstaaten freistünde, die Begründetheit der von der zuständigen Behörde eines anderen Mitgliedstaats getroffenen Entscheidung, diese Nachweise zu erteilen, nach ihrem Ermessen in Frage zu stellen.

Erläuterungen
* Richtlinie 2005/36 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufs­qua­li­fi­ka­tionen (ABl. 2005, L255, S. 22).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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