Die Richtlinie über eine Regelung zur Anerkennung der Diplome (siehe unten) verleiht jedem Antragsteller, der ein "Diplom" besitzt, das ihm die Ausübung eines reglementierten Berufs in einem Mitgliedstaat gestattet, das Recht, den gleichen Beruf in jedem anderen Mitgliedstaat auszuüben.
Die Ausübung des Ingenieurberufs ist sowohl in Italien als auch in Spanien an den Besitz eines Universitätsdiploms und die Aufnahme in das Verzeichnis einer berufsständischen Vereinigung geknüpft. Darüber hinaus ist im italienischen System, anders als im spanischen, ein Staatsexamen vorgesehen, dessen Bestehen unerlässlich ist, um die Befugnis zur Berufsausübung zu erhalten.
Herr Cavallera, ein italienischer Staatsangehöriger, ist Inhaber eines im Jahr 1999 von der Universität Turin (Italien) im Anschluss an eine dreijährige Ausbildung erteilten Studienabschlusszeugnisses im Maschinenbauingenieurswesen.
Im Jahr 2001 beantragte er in Spanien erfolgreich die Homologation seines italienischen Abschlusses mit dem Ziel, dass dieser dem entsprechenden spanischen Universitätsabschluss gleichgestellt werde. Auf der Grundlage der Homologationsbescheinigung ließ er sich in das Verzeichnis eines der katalanischen "colegios de ingenieros técnicos industriales" eintragen, um in Spanien den reglementierten Beruf des industrietechnischen Ingenieurs, Fachgebiet Maschinenbau, ausüben zu dürfen.
Herr Cavallera hat keine Berufstätigkeit außerhalb Italiens ausgeübt und unter dem spanischen Bildungssystem weder eine Ausbildung absolviert noch eine Prüfung abgelegt. Auch hat er das Staatsexamen nicht abgelegt, das nach italienischem Recht Voraussetzung für die Zulassung zum Ingenieurberuf ist.
Im Jahr 2002 erkannte das italienische Ministero della Giustizia auf Antrag von Herrn Cavallera die Gültigkeit des spanischen Befähigungsnachweises für die Zwecke seiner Eintragung in das Ingenieurverzeichnis in Italien an.
Der Consiglio Nazionale degli Ingegneri focht diese Entscheidung an und machte geltend, dass die italienischen Behörden nach der Richtlinie und dem einschlägigen nationalen Recht den spanischen Befähigungsnachweis von Herrn Cavallera nicht hätten anerkennen dürfen, da diese Anerkennung zur Folge habe, dass Herr Cavallera von dem nach italienischem Recht vorgesehenen Staatsexamen freigestellt werde.
Der im letzten Rechtszug befasste Consiglio di Stato möchte vom Gerichtshof wissen, ob sich Herr Cavallera für den Zugang zum Ingenieurberuf in Italien auf die Richtlinie 89/48 berufen kann. Der Gerichtshof stellt fest, dass schon nach der in der Richtlinie enthaltenen Definition der Begriff "Diplom" nicht einen in einem Mitgliedstaat ausgestellten Befähigungsnachweis umfasst, mit dem keine unter das Bildungssystem dieses Mitgliedstaats fallende Ausbildung bescheinigt wird und dem weder eine Prüfung noch eine in diesem Mitgliedstaat erworbene Berufserfahrung zugrunde liegt. Die Anwendung der Richtlinie in einem solchen Fall liefe nämlich darauf hinaus, demjenigen, der in dem Mitgliedstaat, in dem er sein Studium absolviert hat, nur einen Befähigungsnachweis erworben hat, der für sich nicht den Zugang zu dem reglementierten Beruf eröffnet, den Zugang gleichwohl zu ermöglichen, ohne dass die anderswo erworbene Homologationsbescheinigung aber den Erwerb einer zusätzlichen Qualifikation oder von Berufserfahrung belegt. Dies liefe dem in der Richtlinie verankerten Grundsatz zuwider, dass die Mitgliedstaaten die Möglichkeit behalten, das Mindestniveau der notwendigen Qualifikation mit dem Ziel zu bestimmen, die Qualität der in ihrem Hoheitsgebiet erbrachten Leistungen zu sichern.
Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen (ABl. 1989, L 19, S. 16).
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 29.01.2009
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 06/09 des EuGH vom 29.01.2009