21.11.2024
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Dokument-Nr. 34347

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil05.09.2024

Minderjährige Verdächtige haben bei erster Befragung Recht auf BeistandEuGH stärkt die Rechte strafrechtlich verfolgter Minderjähriger

Faires Verfahren: Strafrechtlich verfolgte Minderjährige müssen die konkrete und effektive Möglichkeit haben, sich von einem Rechtsbeistand unterstützen zu lassen.

Ein polnisches Gericht ist mit einem Strafverfahren gegen drei Minderjährige befasst. Sie wurden angeklagt, unbefugt in die Gebäude einer ehemaligen, nicht mehr genutzten Ferienanlage eingedrungen zu sein. In diesem Verfahren wurde festgestellt, dass die Verdächtigen von der Polizei in Abwesenheit eines Rechtsbeistands befragt worden waren. Vor der ersten Befragung wurden sie – ebenso wenig wie ihre Eltern – weder über ihre Rechte noch über den Ablauf des Verfahrens informiert. Die vom Gericht von Amts wegen bestellten Verteidiger beantragen nunmehr, die früheren Aussagen dieser Verdächtigen als Beweise aus den Akten zu entfernen. Das polnische Gericht stellt die Wirksamkeit der Verfah­rens­ga­rantien für Minderjährige im vorge­richt­lichen Ermitt­lungs­ver­fahren in Frage und hat sich an den Gerichtshof gewandt. Es fragt sich insbesondere, ob die polnischen Vorschriften mit dem Unionsrecht1 vereinbar sind und welche Konsequenzen es aus einer etwaigen Unvereinbarkeit zu ziehen hat.

EuGH: Keine Befragung ohne Rechtsbeistand

Der Gerichtshof entscheidet, dass Kinder, die Verdächtige oder beschuldigte Personen sind, die konkrete und effektive Möglichkeit haben müssen, sich von einem gegebenenfalls von Amts wegen bestellten Rechtsbeistand unterstützen zu lassen. Diese Verpflichtung muss vor der ersten Befragung durch die Polizei oder jede andere Straf­ver­folgungs- oder Justizbehörde und spätestens bei der Befragung bestehen. Grundsätzlich können diese Behörden ein Kind, das nicht tatsächlich eine solche Unterstützung erhält, nicht befragen. Personen, die während des Strafverfahrens das 18. Lebensjahr vollendet haben, dürfen nicht automatisch die Rechte verlieren, die das Unionsrecht Minderjährigen verleiht, insbesondere das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand. Diese Rechte müssen fortbestehen, wenn dies angesichts aller Umstände des Einzelfalls, einschließlich des Reifegrads und der Schutz­be­dürf­tigkeit der betroffenen Personen, angemessen ist.

Belehrung über Verfah­rens­rechte spätestens vor erster Befragung

Der Gerichtshof betont, dass Minderjährige so schnell wie möglich und spätestens vor ihrer ersten Befragung über ihre Verfah­rens­rechte belehrt werden müssen. Die entsprechenden Informationen müssen in einer einfachen und verständlichen Form übermittelt werden, die ihren besonderen Bedürfnissen angepasst ist. Ein für Erwachsene bestimmtes standa­r­di­siertes Dokument entspricht diesen Anforderungen nicht. Was belastende Beweise angeht, die aus Aussagen eines Minderjährigen im Rahmen einer unter Verletzung seiner Rechte durchgeführten Befragung gewonnen wurden, verpflichtet das Unionsrecht die Mitgliedstaaten nicht, für das nationale Gericht die Möglichkeit vorzusehen, solche Beweise für unzulässig zu erklären. Dieses Gericht muss jedoch in der Lage sein, die Wahrung dieser Rechte zu überprüfen und alle Konsequenzen zu ziehen, die sich aus ihrer Verletzung ergeben, insbesondere in Bezug auf den Beweiswert der fraglichen Beweise. Es ist Sache des polnischen Gerichts, zu prüfen, ob die in Rede stehenden polnischen Rechts­vor­schriften mit dem Unionsrecht vereinbar sind. Es hat ferner das polnische Recht so weit wie möglich unions­rechts­konform auszulegen, um die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten. Sollte sich eine solche Auslegung als unmöglich erweisen, müsste das polnische Gericht jede entge­gen­stehende nationale Regelung oder Praxis aus eigener Entschei­dungs­be­fugnis unangewendet lassen.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union, ra-online (pm/ab)

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