18.10.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil03.10.2013

Handel mit Robben­er­zeug­nissen mit wenigen Ausnahmen verbotenInver­kehr­bringen von Robben­er­zeug­nissen nur gestattet, wenn sie aus einer Jagd stammen und zum Lebensunterhalt beitragen

Der Gerichtshof bestätigt den Beschluss des Gerichts über die Unzulässigkeit der Klage auf Nichti­g­er­klärung der Verordnung über den Handel mit Robben­er­zeug­nissen. Die mit dem Vertrag von Lissabon eingeführten weniger strengen Zuläs­sig­keits­regeln gelten nicht für Gesetz­ge­bungsakte.

Nach der Verordnung über den Handel mit Robben­er­zeug­nissen (Grundverordnung, Nr. 1007/2009) ist das Inver­kehr­bringen von Robben­er­zeug­nissen nur in Fällen gestattet, in denen sie aus einer Jagd stammen, die von Inuit und anderen indigenen Gemeinschaften traditionsgemäß betrieben wird und zu deren Lebensunterhalt beiträgt. Da sie sich dadurch in ihren wirtschaft­lichen Interessen beeinträchtigt sehen, beantragten Inuit Tapiriit Kanatami als Inter­es­sen­ver­tretung der kanadischen Inuit sowie eine Reihe weiterer Beteiligter (Hersteller und Händler von Robben­er­zeug­nissen verschiedener Staats­an­ge­hö­rigkeit) beim Gericht die Nichti­g­er­klärung der Grundverordnung.

Zuläs­sig­keits­vor­aus­set­zungen nicht erfüllt

Mit Beschluss vom 6. September 2011 hat das Gericht die Klage als unzulässig abgewiesen. Es stellte fest, dass die Grundverordnung einen Gesetz­ge­bungsakt darstelle, der von natürlichen und juristischen Personen nur unter der zweifachen Voraussetzung angefochten werden könne, dass sie von diesem Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffen seien. Diese Zuläs­sig­keits­vor­aus­set­zungen seien im vorliegenden Fall jedoch nicht erfüllt. In diesem Zusammenhang hat das Gericht darauf hingewiesen, dass die mit dem am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon neu eingeführte Bestimmung*, die es natürlichen und juristischen Personen ermöglicht, bestimmte Handlungen mit allgemeiner Geltung auch dann anzufechten, wenn sie davon nicht individuell betroffen sind, nur für Rechtsakte mit Verord­nung­s­cha­rakter und nicht für Gesetzgebungsakte gelte.

Rechts­mit­te­lein­legung gegen Beschluss vom 6. September 2011

Inuit Tapiriit Kanatami und andere betroffene Personen haben gegen den Beschluss des Gerichts ein Rechtsmittel eingelegt. Da sich der Beschluss des Gerichts und das Rechtsmittel ausschließlich auf die Zulässigkeit der von diesen Personen erhobenen Klage beziehen, hat auch der Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache über diese Frage zu entscheiden.

Klage gegen Handlungen der Union grundsätzlich möglich

In seinem Urteil stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass natürliche und juristische Personen grundsätzlich, wie bereits vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, gegen alle Handlungen der Union, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen, Klage erheben können, wenn diese an sie gerichtet sind oder sie von dieser Handlung unmittelbar und individuell betroffen sind. Der Gerichtshof weist insoweit darauf hin, dass es sich bei diesen Handlungen um individuelle Handlungen – wie ein an eine Person gerichteter Beschluss – oder Handlungen mit allgemeiner Geltung sein können, die sowohl Gesetz­ge­bungsakte wie die Grundverordnung als auch Rechtsakte mit Verord­nung­s­cha­rakter umfassen.

Gesetz­ge­bungsakte unterliegen strengeren Zuläs­sig­keits­regeln

In diesem Zusammenhang weist der Gerichtshof darauf hin, dass die genannten Personen seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon bestimmte Handlungen mit allgemeiner Geltung vor den Unionsgerichten anfechten können, ohne dass sie die Voraussetzung der individuellen Betroffenheit erfüllen müssten. Jedoch stellt der Vertrag unzweifelhaft klar, dass diese weniger strengen Zuläs­sig­keits­regeln nur für eine engere Kategorie dieser Handlungen gelten. Infolgedessen unterliegen Gesetz­ge­bungsakte, denen zwar ebenfalls allgemeine Geltung zukommt, die aber nicht zu den Rechtsakten mit Verord­nung­s­cha­rakter gehören, weiterhin strengeren Zuläs­sig­keits­regeln, wie das Gericht zu Recht festgestellt hat.

Zuläs­sig­keits­vor­aus­setzung der individuellen Betroffenheit nicht gegeben

Sodann führt der Gerichtshof aus, dass die Zuläs­sig­keits­regeln für Klagen gegen Gesetz­ge­bungsakte, insbesondere die Voraussetzung der individuellen Betroffenheit, mit dem Vertrag von Lissabon nicht geändert wurden. In diesem Zusammenhang hat das Gericht zutreffend entschieden, dass die betreffenden Kläger zumindest eine der für sie geltenden Zuläs­sig­keits­vor­aus­set­zungen, nämlich die der individuellen Betroffenheit, nicht erfüllten. Das in der Grundverordnung normierte Verbot des Inver­kehr­bringens von Robben­er­zeug­nissen ist nämlich allgemein formuliert und gilt unterschiedslos für jeden Wirtschafts­teil­nehmer, der unter die Verordnung fällt, ohne speziell auf die Kläger abzuzielen.

Gerichtliche Kontrolle der Wahrung der Unions­rechts­ordnung erfolgt durch Gerichtshof und Gerichte der Mitgliedstaaten

Schließlich stellt der Gerichtshof fest, dass die Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht verlangt, dass ein Betroffener ohne jede Voraussetzung unmittelbar vor den Unionsgerichten eine Klage auf Nichti­g­er­klärung von Gesetz­ge­bungsakten der Union anstrengen kann. In diesem Zusammenhang weist der Gerichtshof darauf hin, dass die gerichtliche Kontrolle der Wahrung der Unions­rechts­ordnung durch den Gerichtshof und die Gerichte der Mitgliedstaaten erfolgt. Obliegt die Durchführung dieser Rechtsakte den Unionsorganen, kann der Einzelne unter bestimmten Voraussetzungen vor den Unionsgerichten Klage gegen die Durch­füh­rungs­rechtsakte erheben und sich zur Stützung seiner Klage auf die Rechts­wid­rigkeit des betreffenden allgemeinen Rechtsakts berufen. Obliegt die Durchführung der Handlungen der Union den Mitgliedstaaten, kann er die Ungültigkeit der betreffenden Handlung der Union vor den nationalen Gerichten geltend machen und diese veranlassen, sich insoweit mit Vorab­ent­schei­dungs­fragen an den Gerichtshof zu wenden.

keine Schaffung von neuen Klagemög­lich­keiten zur Wahrung des Unionsrechts vor nationalen Gerichten

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass den Betroffenen im Rahmen eines nationalen Verfahrens das Recht zusteht, die Rechtmäßigkeit nationaler Entscheidungen oder jeder anderen nationalen Handlung, mit der eine Handlung der Union mit allgemeiner Geltung auf sie angewandt wird, gerichtlich anzufechten und sich dabei auf die Ungültigkeit der Handlung der Union zu berufen. Es ist somit Sache der Mitgliedstaaten, ein System von Rechtsbehelfen und Verfahren vorzusehen, mit dem die Einhaltung des Grundrechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewährleistet werden kann. Indessen sollten mit den Verträgen nicht zusätzlich zu den nach nationalem Recht bestehenden Rechtsbehelfen neue Klagemög­lich­keiten zur Wahrung des Unionsrechts vor den nationalen Gerichten geschaffen werden. Etwas anderes würde nur gelten, wenn es nach dem System der betreffenden nationalen Rechtsordnung keinen Rechtsbehelf gäbe, mit dem zumindest inzident die Wahrung der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleistet werden könnte, oder wenn die einzige Möglichkeit für den Einzelnen, Zugang zu einem Gericht zu erlangen, darin bestünde, eine Rechts­ver­letzung zu begehen.

Unter diesen Umständen weist der Gerichtshof das Rechtsmittel in vollem Umfang zurück.

Erläuterungen
*Art. 263 Abs. 4 dritte Variante AEUV, der vorsieht, dass jede natürliche oder juristische Person gegen Rechtsakte mit Verord­nung­s­cha­rakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durch­füh­rungs­maß­nahmen nach sich ziehen, Klage erheben kann.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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