Nach polnischem Recht können lediglich die Krankenversicherungsbeiträge von der Einkommensteuer abgezogen werden, die an einen polnischen Versicherungsträger entrichtet wurden.
Herr Rüffler hatte in Deutschland gelebt, wo er eine nichtselbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hatte. Er zog dann nach Polen, wo er seit 2005 als Rentner seinen ständigen Wohnsitz hat. Herr Rüffler bezog als einziges Einkommen zwei Renten aus Deutschland, und zwar eine – in Deutschland besteuerte – Erwerbsminderungsrente sowie eine von der Volkswagen AG gezahlte – in Polen besteuerte – Betriebsrente.
Im Lauf des Jahres 2006 stellte Herr Rüffler bei der polnischen Steuerverwaltung den Antrag, von der Einkommensteuer, die er in Polen auf die in Deutschland bezogene Betriebsrente schulde, die in Deutschland entrichteten Krankenversicherungsbeiträge abziehen zu dürfen.
Nachdem sein Antrag abgelehnt worden war, erhob Herr Rüffler Klage beim Wojewódzki S¹d Administracyjny we Wroc³awiu (Verwaltungsgericht Breslau), das dem Gerichtshof eine Frage nach der Vereinbarkeit der Beschränkung des Rechts zum Abzug von der Einkommensteuer mit dem Gemeinschaftsrecht vorgelegt hat.
Der Gerichtshof verweist zunächst darauf, dass jemand, der nach Eintritt in den Ruhestand den Mitgliedstaat verlässt, dessen Staatsangehöriger er ist und in dem er sein gesamtes Berufsleben verbracht hat, um seinen ständigen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat zu nehmen, das jedem Unionsbürger vom EG-Vertrag verliehene Recht ausübt, sich in den Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten.
Die vom EG-Vertrag in Bezug auf die Freizügigkeit gewährten Erleichterungen könnten nämlich – wie der Gerichtshof sodann ausführt – ihre volle Wirkung nicht entfalten, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats von ihrer Wahrnehmung durch Hindernisse abgehalten werden könnte, die seinem Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat infolge einer nationalen Regelung entgegenstehen, die Nachteile daran knüpft, dass er von ihnen Gebrauch gemacht hat.
Der Gerichtshof stellt fest, dass eine Regelung wie die im polnischen Recht vorgesehene eine Ungleichbehandlung gebietsansässiger Steuerpflichtiger vornimmt, je nachdem, ob die Krankenversicherungsbeiträge, die für den Abzug von der in Polen geschuldeten Einkommensteuer in Betracht kommen, im Rahmen der nationalen gesetzlichen Krankenversicherung gezahlt worden sind oder nicht. Nach dieser Regelung haben nur die Steuerpflichtigen, deren Krankenversicherungsbeiträge im Mitgliedstaat der Besteuerung entrichtet werden, das Recht auf Steuerabzug.
Der Gerichtshof verweist darauf, dass die gebietsansässigen Steuerpflichtigen, die Beiträge an die polnische Krankenversicherung entrichten, und diejenigen, die unter die gesetzliche Krankenversicherung eines anderen Mitgliedstaats fallen, sich in einer vergleichbaren Situation befinden, was die Besteuerungsgrundsätze angeht, da beide in Polen unbeschränkt steuerpflichtig sind.
Somit müsste die Besteuerung ihrer Einkünfte in diesem Mitgliedstaat nach denselben Grundsätzen und daher auf der Grundlage derselben Steuervergünstigungen – im Rahmen des Ausgangsverfahrens des Rechts auf Abzug von der Einkommensteuer – erfolgen.
Soweit die im Ausgangsverfahren streitige nationale Regelung die Gewährung einer Steuervergünstigung aufgrund der Krankenversicherungsbeiträge an die Bedingung knüpft, dass diese an einen polnischen Krankenversicherungsträger gezahlt worden sind, und dazu führt, dass die betreffende Vergünstigung Steuerpflichtigen, die Beiträge an einen Träger eines anderen Mitgliedstaats entrichtet haben, verwehrt wird, benachteiligt sie Steuerpflichtige, die wie Herr Rüffler ihr Recht auf Freizügigkeit wahrgenommen haben, indem sie den Mitgliedstaat, in dem sie ihr gesamtes Berufsleben verbracht haben, verlassen haben, um sich in Polen niederzulassen.
Nach Auffassung des Gerichtshofs stellt eine Beschränkung des Rechts auf Abzug von der Einkommensteuer wie die im polnischen Recht vorgesehene eine Beschränkung der Freizügigkeit und des freien Aufenthalts im Gebiet der Mitgliedstaaten dar, die nicht objektiv gerechtfertigt ist.
Der Umstand, dass der Träger der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung nur die Kosten der Leistungen trägt, die Herrn Rüffler tatsächlich erbracht worden sind, und dass, wenn er keine Leistungen bei Krankheit erhält, seine Beiträge nicht zur Finanzierung des polnischen Krankenversicherungssystems beitragen, ist insoweit unerheblich.
Der Gerichtshof verweist darauf, dass der Umstand, dass die Kosten der Gesundheitsleistungen, die in Polen lebenden deutschen Staatsangehörigen erbracht werden, dem polnischen Nationalen Gesundheitsfonds von dem zuständigen deutschen Versicherungsträger erstattet werden, das Ergebnis einer kombinierten Anwendung der Gemeinschaftsregelungen betreffend die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ist (siehe unten).
Er erinnert ferner daran, dass der Umstand, dass die Mitgliedstaaten aufgrund ihrer Verpflichtung, die geltenden Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zu beachten, nicht bestimmen können, inwieweit ihre eigenen Rechtsvorschriften oder die eines anderen Mitgliedstaats anwendbar sind, es einem Mitgliedstaat verwehrt, mit steuerrechtlichen Maßnahmen in Wirklichkeit den Zweck zu verfolgen, den Nichtanschluss an sein System der sozialen Sicherheit und die Nichterhebung von Beiträgen zu diesem System auszugleichen.
Der Gerichtshof schließt mit der Feststellung, dass ein Mitgliedstaat den Aufenthalt und die Besteuerung gebietsansässiger Steuerpflichtiger, die auf der Grundlage der Gemeinschaftsregelung betreffend die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit Beiträge an ein Sozialversicherungssystem eines anderen Mitgliedstaats entrichten, nicht weniger günstig behandeln darf.
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung.
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Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 34/09 des EuGH vom 23.04.2009