21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil23.04.2009

Beschränkung des Rechts auf Abzug der Einkom­mens­steuer stellt Einschränkung des freien Aufenthalts in anderem Mitgliedsstaat darGemein­schaftsrecht steht Weigerung entgegen, Einkom­mens­steuer nach Maßgabe der in einem anderen Mitgliedstaat gezahlten Kranken­ver­si­che­rungs­beiträge zu ermäßigen

Das Gemein­schaftsrecht steht der Weigerung entgegen, die Einkom­mens­steuer nach Maßgabe der in einem anderen Mitgliedstaat gezahlten Kranken­ver­si­che­rungs­beiträge zu ermäßigen. Die Einschränkung des Ermäßi­gungs­an­spruchs, wie sie nach polnischem Recht vorgesehen ist, stellt eine objektiv nicht gerechtfertigte Beschränkung der Freizügigkeit und des freien Aufenthalts dar, so der Europäische Gerichtshof.

Nach polnischem Recht können lediglich die Kranken­ver­si­che­rungs­beiträge von der Einkommensteuer abgezogen werden, die an einen polnischen Versi­che­rungs­träger entrichtet wurden.

Herr Rüffler hatte in Deutschland gelebt, wo er eine nicht­selb­ständige Erwer­b­s­tä­tigkeit ausgeübt hatte. Er zog dann nach Polen, wo er seit 2005 als Rentner seinen ständigen Wohnsitz hat. Herr Rüffler bezog als einziges Einkommen zwei Renten aus Deutschland, und zwar eine – in Deutschland besteuerte – Erwer­bs­min­de­rungsrente sowie eine von der Volkswagen AG gezahlte – in Polen besteuerte – Betriebsrente.

Antrag auf Abzug der in Deutschland entrichteten Kranken­ver­si­che­rungs­beiträge von der in Polen eingereichten Einkom­mens­steu­e­r­er­klärung

Im Lauf des Jahres 2006 stellte Herr Rüffler bei der polnischen Steuer­ver­waltung den Antrag, von der Einkommensteuer, die er in Polen auf die in Deutschland bezogene Betriebsrente schulde, die in Deutschland entrichteten Kranken­ver­si­che­rungs­beiträge abziehen zu dürfen.

Nachdem sein Antrag abgelehnt worden war, erhob Herr Rüffler Klage beim Wojewódzki S¹d Administracyjny we Wroc³awiu (Verwal­tungs­gericht Breslau), das dem Gerichtshof eine Frage nach der Vereinbarkeit der Beschränkung des Rechts zum Abzug von der Einkommensteuer mit dem Gemein­schaftsrecht vorgelegt hat.

Rentner, der seinen ständigen Wohnsitz in einen anderen Mitgliedsstaat verlegt, hat das Recht sich dort frei zu bewegen und aufzuhalten

Der Gerichtshof verweist zunächst darauf, dass jemand, der nach Eintritt in den Ruhestand den Mitgliedstaat verlässt, dessen Staats­an­ge­höriger er ist und in dem er sein gesamtes Berufsleben verbracht hat, um seinen ständigen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat zu nehmen, das jedem Unionsbürger vom EG-Vertrag verliehene Recht ausübt, sich in den Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten.

Die vom EG-Vertrag in Bezug auf die Freizügigkeit gewährten Erleichterungen könnten nämlich – wie der Gerichtshof sodann ausführt – ihre volle Wirkung nicht entfalten, wenn ein Staats­an­ge­höriger eines Mitgliedstaats von ihrer Wahrnehmung durch Hindernisse abgehalten werden könnte, die seinem Aufenthalt im Aufnah­me­mit­gliedstaat infolge einer nationalen Regelung entgegenstehen, die Nachteile daran knüpft, dass er von ihnen Gebrauch gemacht hat.

Recht auf Steuerabzug besteht nur für Steuer­pflichtige, deren Beiträge im Mitgliedsstaat besteuert werden

Der Gerichtshof stellt fest, dass eine Regelung wie die im polnischen Recht vorgesehene eine Ungleich­be­handlung gebiets­an­sässiger Steuer­pflichtiger vornimmt, je nachdem, ob die Kranken­ver­si­che­rungs­beiträge, die für den Abzug von der in Polen geschuldeten Einkommensteuer in Betracht kommen, im Rahmen der nationalen gesetzlichen Krankenversicherung gezahlt worden sind oder nicht. Nach dieser Regelung haben nur die Steuer­pflichtigen, deren Kranken­ver­si­che­rungs­beiträge im Mitgliedstaat der Besteuerung entrichtet werden, das Recht auf Steuerabzug.

Der Gerichtshof verweist darauf, dass die gebiets­an­sässigen Steuer­pflichtigen, die Beiträge an die polnische Kranken­ver­si­cherung entrichten, und diejenigen, die unter die gesetzliche Kranken­ver­si­cherung eines anderen Mitgliedstaats fallen, sich in einer vergleichbaren Situation befinden, was die Besteu­e­rungs­grundsätze angeht, da beide in Polen unbeschränkt steuerpflichtig sind.

Somit müsste die Besteuerung ihrer Einkünfte in diesem Mitgliedstaat nach denselben Grundsätzen und daher auf der Grundlage derselben Steuer­ver­güns­ti­gungen – im Rahmen des Ausgangs­ver­fahrens des Rechts auf Abzug von der Einkommensteuer – erfolgen.

Gewährung einer Steuer­ver­güns­tigung darf nicht an Bedingung geknüpft werden, dass Beiträge an polnische Krankenkasse bezahlt werden müssen

Soweit die im Ausgangs­ver­fahren streitige nationale Regelung die Gewährung einer Steuer­ver­güns­tigung aufgrund der Kranken­ver­si­che­rungs­beiträge an die Bedingung knüpft, dass diese an einen polnischen Kranken­ver­si­che­rungs­träger gezahlt worden sind, und dazu führt, dass die betreffende Vergünstigung Steuer­pflichtigen, die Beiträge an einen Träger eines anderen Mitgliedstaats entrichtet haben, verwehrt wird, benachteiligt sie Steuer­pflichtige, die wie Herr Rüffler ihr Recht auf Freizügigkeit wahrgenommen haben, indem sie den Mitgliedstaat, in dem sie ihr gesamtes Berufsleben verbracht haben, verlassen haben, um sich in Polen niederzulassen.

Nach Auffassung des Gerichtshofs stellt eine Beschränkung des Rechts auf Abzug von der Einkommensteuer wie die im polnischen Recht vorgesehene eine Beschränkung der Freizügigkeit und des freien Aufenthalts im Gebiet der Mitgliedstaaten dar, die nicht objektiv gerechtfertigt ist.

Kosten für Gesund­heits­leis­tungen, die für in Polen lebende Deutsche erbracht werden, werden von deutschem Versi­che­rungs­träger erstattet

Der Umstand, dass der Träger der deutschen gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung nur die Kosten der Leistungen trägt, die Herrn Rüffler tatsächlich erbracht worden sind, und dass, wenn er keine Leistungen bei Krankheit erhält, seine Beiträge nicht zur Finanzierung des polnischen Kranken­ver­si­che­rungs­systems beitragen, ist insoweit unerheblich.

Der Gerichtshof verweist darauf, dass der Umstand, dass die Kosten der Gesund­heits­leis­tungen, die in Polen lebenden deutschen Staats­an­ge­hörigen erbracht werden, dem polnischen Nationalen Gesund­heitsfonds von dem zuständigen deutschen Versi­che­rungs­träger erstattet werden, das Ergebnis einer kombinierten Anwendung der Gemein­schafts­re­ge­lungen betreffend die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ist (siehe unten).

Er erinnert ferner daran, dass der Umstand, dass die Mitgliedstaaten aufgrund ihrer Verpflichtung, die geltenden Vorschriften des Gemein­schafts­rechts zu beachten, nicht bestimmen können, inwieweit ihre eigenen Rechts­vor­schriften oder die eines anderen Mitgliedstaats anwendbar sind, es einem Mitgliedstaat verwehrt, mit steuer­recht­lichen Maßnahmen in Wirklichkeit den Zweck zu verfolgen, den Nichtanschluss an sein System der sozialen Sicherheit und die Nichterhebung von Beiträgen zu diesem System auszugleichen.

Der Gerichtshof schließt mit der Feststellung, dass ein Mitgliedstaat den Aufenthalt und die Besteuerung gebiets­an­sässiger Steuer­pflichtiger, die auf der Grundlage der Gemein­schafts­re­gelung betreffend die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit Beiträge an ein Sozia­l­ver­si­che­rungs­system eines anderen Mitgliedstaats entrichten, nicht weniger günstig behandeln darf.

Richtlinie

Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familien­an­ge­hörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 34/09 des EuGH vom 23.04.2009

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