15.11.2024
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Dokument-Nr. 13671

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil21.06.2012

Waren­ver­kehrs­freiheit darf zum Schutz von Urheberrechten eingeschränkt werdenSpediteur darf wegen Beihilfe zur unerlaubten Verbreitung urheber­rechtlich geschützter Werke strafrechtlich verfolgt werden

Ein Mitgliedstaat darf einen Spediteur wegen Beihilfe zum unerlaubten Verbreiten von Verviel­fäl­ti­gungs­stücken urheber­rechtlich geschützter Werke in seinem Gebiet strafrechtlich verfolgen, auch wenn diese Werke im Mitgliedstaat des Verkäufers nicht geschützt sind. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.

Herr Donner, ein deutscher Staats­an­ge­höriger, wurde vom Landgericht München II wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen unerlaubten Verwertung urheber­rechtlich geschützter Werke verurteilt. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte Herr Donner zwischen 2005 und 2008 an der Verbreitung von Nachbildungen von Einrich­tungs­ge­gen­ständen im „Bauhaus“-Stil*, die in Deutschland urheber­rechtlich geschützt waren, mitgewirkt.

Italien bietet Nachbildungen von Einrich­tungs­ge­gen­ständen im „Bauhaus“-Stil in Deutschland an

Diese Verviel­fäl­ti­gungs­stücke der Werke kamen aus Italien, wo sie zwischen 2002 und 2007 nicht urheber­rechtlich geschützt waren oder im entschei­dungs­er­heb­lichen Zeitraum keinen vollen Schutz genossen, da dieser Schutz nach der italienischen Rechtsprechung gegenüber Produzenten, die die Werke seit einer gewissen Zeit vervielfältigt und/oder vermarktet hatten, nicht durchsetzbar war. Die Nachbildungen wurden in Deutschland ansässigen Kunden von dem italienischen Unternehmen Dimensione Direct Sales über Zeitschrif­te­n­an­zeigen und -beilagen, durch direkte Werbe­an­schreiben und über eine deutsch­sprachige Internetseite zum Verkauf angeboten.

LG München: Verbreitung der Ware erfolgte im Sinne des Urheberrechts in Deutschland und nicht in Italien

Für den Transport der Nachbildungen nach Deutschland empfahl Dimensione die italienische Spedition In.Sp.Em., deren Geschäftsführer Herr Donner war. Die Fahrer von In.Sp.Em. holten die von den deutschen Kunden bestellte Ware bei Dimensione in Italien ab und zahlte dieser den Kaufpreis. Bei der Ablieferung der Ware an die Kunden in Deutschland zogen sie von diesen den Kaufpreis und die Frachtkosten ein. Das Eigentum an den von Dimensione verkauften Gegenständen ging in Italien auf die deutschen Kunden über. Die tatsächliche Verfü­gungs­gewalt über diese Gegenstände erlangten die Kunden jedoch erst mit der Übergabe in Deutschland mit Hilfe von Herrn Donner. Daher erfolgte die Verbreitung im Sinne des Urheberrechts nach Ansicht des Landgerichts nicht in Italien, sondern in Deutschland, wo sie mangels Zustimmung der Inhaber des Urheberrechts verboten war.

Herr Donner legte gegen das Urteil des Landgerichts Revision beim Bundes­ge­richtshof ein. Dieser möchte wissen, ob die Anwendung der deutschen Straf­vor­schriften im vorliegenden Fall eine ungerecht­fertigte Einschränkung der unionsrechtlich garantierten Waren­ver­kehrs­freiheit darstellt.

Nationales Gericht muss prüfen, ob Verviel­fäl­ti­gungs­stücke exklusiv in anderen Mitgliedstaaten angeboten wird, in denen Ware eigentlich urheber­rechtlich geschützt ist

In seinem Urteil weist der Gerichtshof erstens darauf hin, dass die Anwendung der Straf­vor­schriften im vorliegenden Fall voraussetzt, dass im Inland eine „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ im Sinne des Unionsrechts** stattgefunden hat. Hierzu stellt er fest, dass ein Händler, der seine Werbung auf in einem bestimmten Mitgliedstaat ansässige Mitglieder der Öffentlichkeit ausrichtet und ein spezifisches Liefe­rungs­system und spezifische Zahlungs­mo­da­litäten schafft oder für sie zur Verfügung stellt oder dies einem Dritten erlaubt und diese Mitglieder der Öffentlichkeit so in die Lage versetzt, sich Verviel­fäl­ti­gungs­stücke von Werken liefern zu lassen, die in dem betreffenden Mitgliedstaat urheber­rechtlich geschützt sind, in dem Mitgliedstaat, in dem die Lieferung erfolgt, eine solche Verbreitung vornimmt. Im vorliegenden Fall weist der Gerichtshof den nationalen Gerichten die Aufgabe zu, zu beurteilen, ob Indizien vorliegen, die den Schluss zulassen, dass der betreffende Händler eine solche Verbreitung an die Öffentlichkeit vorgenommen hat.

Behinderung des freien Warenverkehrs zum Schutz gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt

Zweitens stellt der Gerichtshof fest, dass das strafrechtlich sanktionierte Verbot der Verbreitung in Deutschland eine Behinderung des freien Warenverkehrs darstellt. Eine derartige Beschränkung kann jedoch zum Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sein.

Beschränkung steht in angemessenem Verhältnis zum verfolgten Zweck

Die fragliche Beschränkung beruht nämlich darauf, dass die praktischen Bedingungen des Schutzes der betreffenden Urheberrechte von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich sind. Diese Unter­schied­lichkeit ist untrennbar mit dem Bestehen der ausschließ­lichen Rechte verknüpft. Im vorliegenden Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Schutz des Verbrei­tungs­rechts zu einer unver­hält­nis­mäßigen oder künstlichen Abschottung der Märkte führt. Die Anwendung straf­recht­licher Vorschriften kann nämlich als erforderlich angesehen werden, um den spezifischen Gegenstand des Urheberrechts zu schützen, das u. a. ein ausschließ­liches Verwer­tungsrecht gewährt. Die fragliche Beschränkung ist daher gerechtfertigt und steht in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck.

EuGH bejaht Zulässigkeit der straf­recht­lichen Verfolgung

Daher antwortet der Gerichtshof, dass das Unionsrecht es einem Mitgliedstaat nicht verbietet, einen Spediteur wegen Beihilfe zum unerlaubten Verbreiten von Verviel­fäl­ti­gungs­stücken urheber­rechtlich geschützter Werke in Anwendung seiner nationalen Straf­vor­schriften strafrechtlich zu verfolgen, wenn diese Verviel­fäl­ti­gungs­stücke in dem betreffenden Mitgliedstaat (Deutschland) im Rahmen eines Verkaufs­ge­schäfts an die Öffentlichkeit verbreitet werden, das speziell auf die Öffentlichkeit in diesem Mitgliedstaat ausgerichtet ist und von einem anderen Mitgliedstaat (Italien) aus abgeschlossen wird, in dem ein urheber­recht­licher Schutz der Werke nicht besteht oder nicht durchsetzbar ist.

Erläuterungen
* Dabei handelte es sich u. a. um Nachbildungen von Stühlen der „Aluminium-Group“, entworfen von Charles und Ray Eames, der „Wagen­feld­leuchte“, entworfen von Wilhelm Wagenfeld, Sitzmöbeln, entworfen von Le Corbusier, dem Beistelltisch „Adjustable Table“ und der Leuchte „Tubelight“, entworfen von Eileen Gray, sowie Stahlrohr-Freischwingern (Stühle), entworfen von Mart Stam.

** Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Infor­ma­ti­o­ns­ge­sell­schaft (ABl. L 167, S. 10).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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