21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil29.05.2018

Rituelle Schlachtungen von Tieren ohne Betäubung dürfen nur in zugelassenen Schlachthöfen erfolgenVorgaben führen nicht zur Beein­träch­tigung der Religi­o­ns­freiheit

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass rituelle Schlachtungen ohne Betäubung nur in zugelassenen Schlachthöfen durchgeführt werden dürfen. Diese Verpflichtung beeinträchtigt nicht die Religi­o­ns­freiheit, da sie die freie Vornahme von rituellen Schlachtungen lediglich organisieren und hierfür Vorgaben technischer Natur geben soll, und zwar unter Berück­sich­tigung der wesentlichen Regeln für das Tierwohl und die Gesundheit der Tier­fleisch­konsumenten.

Das islamische Opferfest wird jedes Jahr drei Tage lang gefeiert. Zahlreiche praktizierende Muslime sehen es als ihre religiöse Pflicht an, ein Tier - vorzugsweise am ersten Tag des Opferfests - zu schlachten oder schlachten zu lassen, dessen Fleisch anschließend in der Familie verzehrt und mit Bedürftigen, Nachbarn und entfernteren Verwandten geteilt wird. Unter den Muslimen in Belgien besteht ein mehrheitlicher - vom Rat der Theologen innerhalb der Exekutive der Muslime zum Ausdruck gebrachter - Konsens, dass die rituelle Schlachtung ohne Betäubung und unter Beachtung der übrigen Vorschriften des Ritus vorgenommen werden müsse.

Belgischen Rechts­vor­schriften lassen Schlachtungen nur in zugelassenen Schlachthöfen oder temporären Schlachtstätten zu

Seit 1998 durften nach den belgischen Rechts­vor­schriften durch einen religiösen Ritus vorgeschriebene Schlachtungen nur in zugelassenen Schlachthöfen oder temporären Schlachtstätten durchgeführt werden. Der zuständige Minister hatte daher jedes Jahr temporäre Schlachtstätten zugelassen, die es zusammen mit den zugelassenen Schlachthöfen ermöglichten, die rituellen Schlachtungen während des islamischen Opferfests sicherzustellen, wodurch die - infolge der während dieses Zeitraums höheren Nachfrage - fehlende Kapazität der zugelassenen Schlachthöfe ausgeglichen wurde.

Schlachtung von Tieren in temporären Schlachtstätten seit 2015 unzulässig

Im Jahr 2014 kündigte der für das Tierwohl zuständige Minister der Flämischen Region an, keine Zulassungen für temporäre Schlachtstätten mehr zu erteilen, und begründete dies damit, dass solche Zulassungen gegen Unions­rechts­vor­schriften, insbesondere gegen die Bestimmungen der Verordnung aus dem Jahr 2009 über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung*, verstießen. Ab 2015 durften somit alle Schlachtungen von Tieren ohne Betäubung - auch solche, die während des islamischen Opferfests stattfanden - nur noch in zugelassenen Schlachthöfen vorgenommen werden. In diesem Zusammenhang haben mehrere islamische Vereinigungen und Moschee-Dachverbände im Jahr 2016 die Flämische Region verklagt. Sie stellten u.a. die Gültigkeit bestimmter Vorschriften der Verordnung** - insbesondere im Hinblick auf die Religi­o­ns­frei­heit*** - in Frage.

Nationales Gericht erbittet Vorab­ent­scheidung des EuGH

Die Neder­land­s­talige rechtbank van eerste aanleg te Brussel (Nieder­län­disch­spra­chiges Gericht Erster Instanz Brüssel), bei der die Klage anhängig ist, hat beschlossen, dem Gerichtshof eine Frage zur Vorab­ent­scheidung vorzulegen.

Rituelle Schlachtungen fallen grundsätzlich in Anwen­dungs­bereich der Religi­o­ns­freiheit

In seinem Urteil stellt der Gerichtshof zunächst klar, dass rituelle Schlachtungen unter den Begriff "religiöser Ritus" im Sinne der Verordnung und folglich in den Anwen­dungs­bereich der Religi­o­ns­freiheit fallen, die durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantiert wird. Etwaige theologische Divergenzen zu rituellen Schlachtungen vermögen als solche deren Einstufung als "religiöser Ritus" nicht in Frage zu stellen.

Rituelle Schlachtung von Tieren in Ausnahmen möglich

Anschließend prüft der Gerichtshof, ob die Verordnung eine Einschränkung der Religi­o­ns­freiheit darstellt. Er weist auf den allgemeinen Grundsatz hin, wonach in der Union Tiere nur nach einer Betäubung getötet werden. Ausnahmsweise sind rituelle Schlachtungen ohne vorherige Betäubung zulässig, sofern sie in einem Schlachthof stattfinden, der von den zuständigen nationalen Behörden zugelassen ist und die (in einer anderen Unions­ver­ord­nung**** enthaltenen) technischen Anforderungen in Bezug auf Bau, Auslegung und Ausrüstung erfüllt.

Ausnahme verbietet in keiner Weise die Praxis ritueller Schlachtungen

Der Gerichtshof stellt klar, dass diese Ausnahme in keiner Weise die Praxis ritueller Schlachtungen in der Union verbietet, sondern im Gegenteil das Bestreben des Unions­ge­setz­gebers konkretisiert, die Schlachtung von Tieren ohne vorherige Betäubung zu erlauben, um zu gewährleisten, dass die Religi­o­ns­freiheit, namentlich der praktizierenden Muslime, während des Opferfests effektiv gewahrt wird.

Vorgaben zur Schlachtung führen nicht zur Beschränkung des Rechts auf Religi­o­ns­freiheit

Die Verpflichtung, rituelle Schlachtungen in einem zugelassenen Schlachthof durchzuführen, soll daher die freie Vornahme von Schlachtungen ohne vorherige Betäubung zu religiösen Zwecken lediglich organisieren und hierfür Vorgaben technischer Natur geben. Derartige technische Vorgaben vermögen als solche nicht zu einer Beschränkung des Rechts praktizierender Muslime auf Religi­o­ns­freiheit zu führen.

Rituelle Schlachtungen sind nämlich denselben technischen Bedingungen unterworfen, wie sie grundsätzlich für alle Schlachtungen von Tieren innerhalb der Union - unabhängig von der angewandten Methode - gelten.

Unions­ge­setzgeber schafft Ausgleich zwischen Anerkennung religiöser Riten und Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung

Außerdem hat der Unions­ge­setzgeber einen Ausgleich geschaffen zwischen der Anerkennung von durch religiöse Riten vorge­schriebenen speziellen Schlacht­me­thoden und der Einhaltung der von den Unions­ver­ord­nungen aufgestellten wesentlichen Regeln für den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung und den Schutz der Gesundheit von Tierfleisch­kon­su­menten.

Angesprochene Problematik betrifft lediglich kleine Zahl von Gemeinden der Flämischen Region

Der Gerichtshof prüft schließlich, ob sich der Umstand auswirkt, dass die im Gebiet der Flämischen Region gelegenen Schlachthöfe, die die Anforderungen der Verordnung erfüllen, keine ausreichende Schlacht­ka­pazität aufweisen, um die höhere Nachfrage nach Halal-Fleisch zu befriedigen, die sich während des Opferfests feststellen lässt. Er weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Gültigkeit eines Rechtsakts der Union anhand der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seines Erlasses zu beurteilen ist und nicht von den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängen kann. Die vom vorlegenden belgischen Gericht angesprochene Problematik betrifft nämlich lediglich eine kleine Zahl von Gemeinden der Flämischen Region. Bei dieser Problematik kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass sie mit der Anwendung einer aufgestellten Regel in der ganzen Union in einem inneren Zusammenhang steht. Ein punktuelles Problem bei der Schlacht­ka­pazität im Gebiet einer Region eines Mitgliedstaats, das mit der erhöhten Nachfrage nach rituellen Schlachtungen in einem Zeitraum von wenigen Tagen anlässlich des Opferfests zusammenhängt, ist die Folge eines Zusam­men­treffens inner­staat­licher Umstände, die die Gültigkeit der Verordnung nicht beeinträchtigen können.

EuGH verneint Vorliegen von Hinweisen für Beein­träch­tigung der Religi­o­ns­freiheit

Der Gerichtshof stellt im Ergebnis fest, dass seine Prüfung nichts ergeben hat, was die Gültigkeit von der Verordnung im Hinblick auf die durch die Charta garantierte Religi­o­ns­freiheit beeinträchtigen könnte.

Erläuterungen

* Verordnung Nr. 1099/2009 des Rates vom 24. September 2009 über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung (ABl. 2009, L 303, S. 1).

** Nämlich Art. 4 Abs. 4 der Verordnung Nr.1099/2009 in Verbindung mit deren Art. 2 Buchst. k.

*** Art. 10 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 9 der Europäischen Menschen­rechts­kon­vention.

**** Verordnung (EG) Nr. 853/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 mit spezifischen Hygie­ne­vor­schriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs (ABl. 2004, L 139, S. 55).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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