23.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil13.12.2018

Arbeitnehmer hat auch bei Kurza­r­beits­zeiten Anspruch auf normales ArbeitsentgeltKurza­r­beits­zeiten können jedoch Mindesturlaub auf weniger als vier Wochen reduzieren

Während seines unionsrechtlich garantierten Mindestj­ahres­urlaubs hat ein Arbeitnehmer ungeachtet früherer Kurza­r­beits­zeiten Anspruch auf sein normales Arbeitsentgelt. Allerdings hängt die Dauer dieses Mindestj­ahres­urlaubs von der tatsächlichen Arbeitsleistung ab, die im Referenz­zeitraum erbracht wurde, so dass Kurza­r­beits­zeiten dazu führen können, dass der Mindesturlaub weniger als vier Wochen beträgt. Dies geht aus einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union hervor.

Herr Torsten Hein ist beim deutschen Unternehmen Holzkamm als Betonbauer beschäftigt. Im Jahr 2015 befand er sich 26 Wochen, d.h. die Hälfte des Jahres, in Kurzarbeit und erbrachte in dieser Zeit keine tatsächliche Arbeitsleistung. In Kurza­r­beits­zeiten wie im Fall von Herrn Hein besteht das Arbeits­ver­hältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer fort, aber der Arbeitnehmer erbringt keine tatsächliche Arbeitsleistung für die Belange seines Arbeitgebers. Nach dem BRTV-Bau* haben die Arbeitnehmer jedoch unabhängig von Kurza­r­beits­zeiten, in denen sie keine tatsächliche Arbeitsleistung erbracht haben, Anspruch auf einen jährlichen Erholungsurlaub von 30 Tagen. Dementsprechend nahm Herr Hein im Laufe der Jahre 2015 und 2016 die 30 Urlaubstage, auf die er im Jahr 2015 Anspruch erworben hatte.

Arbeitgeber zahlt nur verringerte "Urlaubs­ver­gütung"

Allerdings werden die Kurza­r­beits­zeiten nach dem BRTV-Bau bei der Berechnung des für den Jahresurlaub gezahlten Entgelts, der sogenannten "Urlaubs­ver­gütung", berücksichtigt. Holzkamm berechnete daher den an Herrn Hein zu zahlenden Betrag auf der Grundlage eines Brutto­stun­denlohns, der unter dem normalen Stundenlohn lag, was zu einer deutlichen Verringerung seines Entgelts führte.

Da Herr Hein der Ansicht ist, dass die in den Referenz­zeitraum fallende Kurzarbeit nicht zu einer Kürzung der ihm zustehenden Urlaubs­ver­gütung führen dürfe, rief er das Arbeitsgericht Verden an.

Arbeitsgericht erbittet Entscheidung des EuGH zur Zulässigkeit der Kürzung der Urlaubs­ver­gütung

Das Arbeitsgericht wollte zunächst vom Gerichtshof wissen, ob eine nationale Regelung**, nach der in Tarifverträgen bestimmt werden kann, dass etwaige Verdien­st­ausfälle infolge von Kurzarbeit im Referenz­zeitraum berücksichtigt werden können, was zu einer Kürzung der Urlaubs­ver­gütung führt, mit dem Unionsrecht*** im Einklang steht.

Arbeitnehmer haben grundsätzlich Anspruch auf bezahlten Mindest­jah­res­urlaub von vier Wochen

In seinem Urteil wies der Gerichtshof darauf hin, dass jeder Arbeitnehmer nach dem Unionsrecht Anspruch auf einen bezahlten Mindest­jah­res­urlaub von vier Wochen hat. Dieser einheitliche Anspruch besteht aus zwei Aspekten, nämlich dem Anspruch auf Jahresurlaub und dem auf Zahlung eines Urlaubsentgelts. Was erstens die Dauer des Mindest­jah­res­urlaubs von vier Wochen angeht, weist der Gerichtshof darauf hin, dass sie auf der Prämisse beruht, dass der Arbeitnehmer im Laufe des Referenz­zeitraums tatsächlich gearbeitet hat (vgl. Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil v. 04.10.2018 - C-12/17 -). Daher sind die Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub grundsätzlich anhand der Zeiträume der auf der Grundlage des Arbeitsvertrags tatsächlich geleisteten Arbeit zu berechnen.

Urlaubsanspruch darf aufgrund tatsächlich nicht geleisteter Arbeit gekürzt werden

Da Herr Hein im Jahr 2015 26 Wochen lang nicht tatsächlich gearbeitet hat, dürften ihm also nach dem Unionsrecht nur zwei Urlaubswochen zustehen, wobei die exakte Dauer dieser Urlaubszeit aber vom Arbeitsgericht Verden zu bestimmen ist.

Arbeitgeber kann Anzahl der Arbeitstage reduzieren, nicht jedoch Arbeitsentgelt

Allerdings regelt das Unionsrecht nur die Dauer des Mindest­jah­res­urlaubs und steht dem nicht entgegen, dass Arbeitnehmern in nationalen Rechts­vor­schriften oder in einem Tarifvertrag ein Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von längerer Dauer unabhängig davon gewährt wird, ob die Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufgrund von Kurzarbeit verkürzt war. Was zweitens das Entgelt anbelangt, das dem Arbeitnehmer für die unionsrechtlich garantierte Minde­st­ur­laubsdauer zu zahlen ist, weist der Gerichtshof darauf hin, dass das Arbeitsentgelt für diese Dauer weiter­zu­ge­währen ist. Mit anderen Worten muss der Arbeitnehmer für diese Ruhezeit das gewöhnliche Arbeitsentgelt erhalten (vgl. Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil v. 16.03.2006 - C-131/04 und C-257/04 -).

Arbeitsentgelt muss während Urlaub mit Entgelt für Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar sein

Durch das Erfordernis der Zahlung dieses Urlaubsentgelts soll der Arbeitnehmer nämlich während des Jahresurlaubs in eine Lage versetzt werden, die in Bezug auf das Entgelt mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist. Erhielte der Arbeitnehmer nicht das gewöhnliche Arbeitsentgelt, könnte er veranlasst sein, seinen bezahlten Jahresurlaub nicht zu nehmen, zumindest nicht in Zeiträumen tatsächlicher Arbeitsleistung, da dies dann zu einer Verringerung seines Entgelts führen würde.

Arbeitgeber muss Entgelt nur für die Dauer des unionsrechtlich vorgesehenen Mindest­jah­res­urlaubs zahlen

Der Gerichtshof stellt deshalb fest, dass es dem Unionsrecht widerspricht, wenn ein Arbeitnehmer, der sich in einer Situation wie der von Herrn Hein befindet, für seine unionsrechtlich garantierten Jahres­ur­laubstage ein Entgelt erhält, das nicht dem gewöhnlichen Entgelt entspricht, das er in Zeiträumen tatsächlicher Arbeitsleistung erhält. Der Gerichtshof hebt allerdings hervor, dass das Unionsrecht nicht verlangt, dass das gewöhnliche Arbeitsentgelt für die gesamte Dauer des Jahresurlaubs gezahlt wird, die dem Arbeitnehmer nach nationalem Recht zusteht. Der Arbeitgeber muss dieses Entgelt nur für die Dauer des unionsrechtlich vorgesehenen Mindest­jah­res­urlaubs zahlen, wobei der Arbeitnehmer den Anspruch auf diesen Urlaub nur für Zeiträume tatsächlicher Arbeitsleistung erwirbt.

Nationale Recht ist unions­rechts­konform auszulegen

In einem Rechtsstreit wie dem hier vorliegenden, in dem sich Privatpersonen gegenüberstehen, ist das nationale Gericht verpflichtet, das nationale Recht unions­rechts­konform auszulegen. (Eine Richtlinie kann nämlich nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen wie Holzkamm begründen, so dass ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist.) Eine solche Auslegung sollte dazu führen, dass die den Arbeitnehmern für den unionsrechtlich vorgesehenen Mindesturlaub gezahlte Urlaubs­ver­gütung nicht geringer ausfällt als der Durchschnitt des gewöhnlichen Arbeitsentgelts, das die Arbeitnehmer in Zeiträumen tatsächlicher Arbeitsleistung erhalten.

Tarif­ver­tragliche Zusatz­leis­tungen und Überstun­den­ver­gü­tungen dürfen außer Acht bleiben

Hingegen verpflichtet das Unionsrecht weder dazu, die nationale Regelung dahin auszulegen, dass sie einen Anspruch auf eine tarif­ver­tragliche Zusatzleistung begründet, die zu diesem Durchschnitt des gewöhnlichen Arbeitsentgelts hinzukommt, noch dazu, dass die Überstun­den­ver­gütung berücksichtigt wird, es sei denn, der Arbeitnehmer ist arbeits­ver­traglich verpflichtet, Überstunden zu leisten, die weitgehend vorhersehbar und gewöhnlich sind und deren Vergütung einen wesentlichen Teil seines gesamten Arbeitsentgelts ausmacht.

Zeitliche Wirkungen des Urteils

Zu den zeitlichen Wirkungen des zugrunde liegenden Urteils weist der Gerichtshof darauf hin, dass die von ihm vorgenommene Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts erläutert und verdeutlicht, in welchem Sinne und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Daraus folgt, dass die nationalen Gerichte die unions­recht­lichen Vorschriften über den Jahresurlaub, so wie sie im hier zugrunde liegenden Urteil ausgelegt werden, auch auf Rechts­ver­hältnisse, die vor diesem Urteil entstanden sind, anwenden können und müssen, wenn die Voraussetzungen für ihre Anrufung in einem die Anwendung dieser Vorschriften betreffenden Streit vorliegen. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Wirkungen des zugrunde liegenden Urteils nicht zeitlich zu beschränken sind, da die Voraussetzung der schwerwiegenden wirtschaft­lichen Auswirkungen nicht erfüllt ist. Überdies stellt der Gerichtshof klar, dass das Unionsrecht die nationalen Gerichte daran hindert, auf der Grundlage des nationalen Rechts das berechtigte Vertrauen der Arbeitgeber auf den Fortbestand der nationalen höchst­rich­ter­lichen Rechtsprechung zu schützen, die die Rechtmäßigkeit der Regelungen des BRTV-Bau über den bezahlten Urlaub bestätigt hat.

Erläuterungen

* Bundes­rah­men­ta­rif­vertrag für das Baugewerbe vom 4. Juli 2002 in seiner auf den vorliegenden Fall anwendbaren Fassung.

** Minde­st­ur­laubs­gesetz für Arbeitnehmer vom 8. Januar 1963 (BGBl. I, 1963, S. 2) in seiner auf den vorliegenden Fall anwendbaren Fassung.

*** Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeits­zeit­ge­staltung (ABl. 2003, L 299, S. 9) sowie Art. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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