Dokument-Nr. 11575
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil03.05.2011
EuGH: Verneinen eines Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung eines Unternehmens ist ausschließlich EU-Kommission vorbehaltenNationale Wettbewerbsbehörden dürfen keine negativen Sachentscheidung treffen
Für die Feststellung, dass im Wettbewerbsbereich keine missbräuchliche Verhaltensweise auf dem Binnenmarkt der Union vorliegt, ist nur die Kommission zuständig. Könnten die nationalen Wettbewerbsbehörden derartige „negative“ Entscheidungen treffen, wäre die einheitliche Anwendung der durch den Vertrag eingeführten Wettbewerbsregeln beeinträchtigt. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.
Nach der Verordnung Nr. 1/2003 wenden die nationalen Wettbewerbsbehörden und Gerichte, wenn sie das nationale Wettbewerbsrecht auf eine nach Art. 102 des Vertrags verbotene missbräuchliche Verhaltensweise anwenden, auch die Bestimmungen dieses Artikels an. Bei der Anwendung von Art. 102 des Vertrags im Einzelfall können die nationalen Wettbewerbsbehörden die Abstellung von Zuwiderhandlungen oder einstweilige Maßnahmen anordnen, Verpflichtungszusagen annehmen oder Geldbußen, Zwangsgelder oder sonstige im nationalen Recht vorgesehene Sanktionen verhängen. Sind die Voraussetzungen für ein Verbot nach den ihnen vorliegenden Informationen nicht gegeben, können die nationalen Wettbewerbsbehörden auch entscheiden, dass für sie kein Anlass besteht, tätig zu werden.
Präsident der nationalen polnischen Wettbewerbsbehörde sieht in Verhalten der Telekomunikacja Polska SA keinen Missbrauch einer beherrschenden Stellung
Nach Durchführung eines Verfahrens gegen die Telekomunikacja Polska SA stellte der Präsident der nationalen polnischen Wettbewerbsbehörde fest, dass das Verhalten dieses Unternehmens keinen Missbrauch einer beherrschenden Stellung darstelle. Er erließ daher eine Entscheidung nach nationalem Recht, mit der er eine wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise des Unternehmens verneinte, und stellte bezüglich des Verstoßes gegen den Vertrag das Verfahren ein.
Nationales Gericht legt EuGH Frage zur Zulässigkeit der Entscheidung der nationalen Wettbewerbsbehörde vor
Die Tele2 Polska sp. z o.o., jetzt Netia SA, eine mit der Telekomunikacja Polska SA konkurrierende Gesellschaft, focht diese Entscheidung an. Der mit einer Kassationsbeschwerde befasste S¹d Najwy¿szy (Oberstes Gericht von Polen) fragt den Gerichtshof, ob es nach Unionsrecht ausgeschlossen ist, dass eine nationale Wettbewerbsbehörde, wenn sie auf der Grundlage ihres nationalen Rechts feststellt, dass keine missbräuchliche Verhaltensweise vorliegt, eine Entscheidung erlässt, mit der ein Verstoß gegen die Vertragsbestimmungen verneint wird („negative Entscheidung“).
Zuständigkeit nationaler Wettbewerbsbehörden auf Erlass einer Entscheidung beschränkt
Der Gerichtshof erläutert zunächst, dass zur Gewährleistung einer kohärenten Anwendung der Wettbewerbsregeln in den Mitgliedstaaten durch die Verordnung Nr. 1/2003 ein Mechanismus der Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den nationalen Wettbewerbsbehörden im Rahmen des allgemeinen Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit eingerichtet wurde. Sodann stellt er fest, dass die Verordnung eindeutig darauf hinweist, dass die Zuständigkeit der nationalen Wettbewerbsbehörde, wenn die Voraussetzungen für ein Verbot nach den dieser Behörde vorliegenden Informationen nicht gegeben sind, auf den Erlass einer Entscheidung beschränkt ist, wonach für sie kein Anlass besteht, tätig zu werden.
Zuständigkeit der Kommission darf nicht beeinträchtigt werden
Erlaubte man den nationalen Wettbewerbsbehörden, Entscheidungen zu treffen, mit denen ein Verstoß gegen die Vertragsbestimmungen über den Missbrauch einer beherrschenden Stellung verneint wird, würde das durch die Verordnung Nr. 1/2003 eingeführte System der Zusammenarbeit in Frage gestellt und die Zuständigkeit der Kommission beeinträchtigt.
Eine solche negative Sachentscheidung könnte nämlich die einheitliche Anwendung der durch den Vertrag eingeführten Wettbewerbsregeln – eines der Ziele der Verordnung – beeinträchtigen, weil sie die Kommission daran hindern könnte, später festzustellen, dass die fragliche Verhaltensweise eine Zuwiderhandlung gegen diese Regeln darstellt.
Nicht vorliegendes missbräuchliches Ausnutzen einer beherrschenden Stellung darf nur EU-Kommission feststellen
Der Gerichtshof ist daher der Auffassung, dass die Feststellung, dass kein Verstoß gegen das Verbot des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung vorliegt, der Kommission vorbehalten ist, selbst wenn eine einschlägige Vertragsbestimmung in einem von einer nationalen Wettbewerbsbehörde durchgeführten Verfahren angewandt wird. Weiter stellt der Gerichtshof fest, dass das Unionsrecht nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die unter solchen Umständen nur die Möglichkeit vorsehen, dass die nationale Wettbewerbsbehörde eine negative Sachentscheidung erlässt.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 03.05.2011
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online
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