15.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil17.01.2013

Ermäßigte Steuersätze Spaniens für Arzneimittel und medizinisches Gerät verstoßen gegen EU-Mehrwert­steu­er­richtlineAnwendung eines ermäßigten Mehrwert­steu­er­satzes auf Gesund­heits­produkte des allgemeinen Gebrauchs nicht gerechtfertigt

Spanien wendet einen ermäßigten Steuersatz auf Kategorien von Gegenständen an, die weiter gefasst sind als die von der Mehrwert­steu­er­richtlinie für den Bereich der Arzneimittel und der medizinischen Geräte vorgesehenen. Indem es ermäßigte Mehrwert­steu­ersätze über das nach der Mehrwert­steu­er­richtlinie zulässige Maß anwendet, hat das Land gegen seine unions­recht­lichen Verpflichtungen verstoßen. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.

Die Mehrwert­steu­er­richt­linie* führt (in ihrem Anhang III) die Kategorien der Lieferungen von Gegenständen und Dienst­leis­tungen auf, auf die die Mitgliedstaaten einen ermäßigten Mehrwert­steu­ersatz anwenden können. Zu diesen Kategorien zählen Arzneimittel, die üblicherweise für die Gesund­heits­vorsorge, die Verhütung von Krankheiten und für ärztliche und tierärztliche Behandlungen verwendet werden, und medizinische Geräte, Hilfsmittel und sonstige Vorrichtungen, die üblicherweise für die Linderung und die Behandlung von Behinderungen verwendet werden und die ausschließlich für den persönlichen Gebrauch von Behinderten bestimmt sind.

Kommission rügt Anwendung eines unzulässigen ermäßigten Steuersatzes

Da die Kommission der Auffassung war, dass Spanien in diesem Bereich einen ermäßigten Steuersatz auf Kategorien anwende, die weiter seien als die von der Mehrwert­steu­er­richtlinie vorgesehenen, übermittelte sie am 25. November 2010 eine mit Gründen versehene Stellungnahme und forderte Spanien auf, dieser Stellungnahme nachzukommen. Spanien wiederholte seinen Standpunkt, wonach das spanische Mehrwert­steu­er­gesetz mit den Bestimmungen der Mehrwert­steu­er­richtlinie im Einklang stehe. Vor diesem Hintergrund hat die Kommission beschlossen, die vorliegende Klage zu erheben.

EuGH: Spanien verstößt gegen Mehrwert­steu­er­richt­linien

In seinem Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass Spanien gegen die Verpflichtungen verstoßen hat, die sich aus der Mehrwert­steu­er­richtlinie ergeben.

Ermäßigter Mehrwert­steu­ersatz nur für fertige, unmittelbar anwendbare Produkte zulässig

Erstens stellt der Gerichtshof fest, dass die Anwendung eines ermäßigten Mehrwert­steu­er­satzes auf medizinische Stoffe, die üblicherweise für die Herstellung von Medikamenten verwendet werden können und dafür geeignet sind, unvereinbar mit der Mehrwert­steu­er­richtlinie ist. Die Richtlinie erlaubt nämlich lediglich, einen ermäßigten Mehrwert­steu­ersatz auf fertige Produkte anzuwenden, die vom Endverbraucher unmittelbar gebraucht werden können, unter Ausschluss der Erzeugnisse, die für die Herstellung von Medikamenten verwendet werden können und üblicherweise noch verarbeitet werden müssen. Diese Auslegung wird bestätigt durch den mit den ermäßigten Steuersätzen verfolgten Zweck, die Kosten für bestimmte Gegenstände, die für den Endverbraucher, der die Mehrwertsteuer letztlich entrichten muss, als unentbehrlich erachtet werden, zu senken und somit den Zugang zu diesen zu erleichtern. Allerdings stellt der Gerichtshof klar, dass ein ermäßigter Mehrwert­steu­ersatz auf medizinische Stoffe dann angewendet werden kann, wenn sie als fertige Produkte vermarktet werden können, ohne dass sie mit anderen Substanzen vermischt werden müssen, und somit vom Endverbraucher unmittelbar verwendet werden können.

Kein ermäßigter Steuersatz für medizinischen Geräte zur Behandlung von Tieren

Zweitens stellt Gerichtshof fest, dass es nach der Mehrwert­steu­er­richtlinie nicht zulässig ist, einen ermäßigten Mehrwert­steu­ersatz auf "Gesund­heits­produkte, Stoffe, Geräte oder Vorrichtungen, die objektiv nur zur Vorbeugung, Diagnose, Behandlung, Linderung oder Heilung von Krankheiten oder Leiden von Menschen oder Tieren verwendet werden können", anzuwenden. Zum einen weist der Gerichtshof darauf hin, dass diese Art von Gegenständen nicht von der in Anhang III der Mehrwert­steu­er­richtlinie vorgesehenen Kategorie der medizinischen Geräte, Hilfsmittel und sonstigen Vorrichtungen, die üblicherweise für die Linderung und die Behandlung von Behinderungen verwendet werden und die ausschließlich für den persönlichen Gebrauch von Behinderten bestimmt sind, erfasst werden kann, da diese Kategorie nur die Verwendung beim Menschen betrifft, unter Ausschluss der Verwendung beim Tier. Zum anderen stellt der Gerichtshof fest, dass diese Gegenstände auch nicht vom Begriff "Arzneimittel" im Sinne des Anhangs III der Mehrwert­steu­er­richtlinie erfasst sein können. Der Gerichtshof erkennt zwar an, dass der Begriff des Arzneimittels im Sinne der Mehrwert­steu­er­richtlinie weiter geht als der Begriff des Arzneimittels im Sinne der Richtlinie zur Schaffung eines Gemein­schafts­kodexes für Humana­rz­nei­mittel**, weist aber die Argumentation Spaniens zurück, wonach der erste Begriff alle Gesund­heits­produkte, medizinischen Vorrichtungen, Stoffe und Geräte umfassen könne, die zum allgemeinen Gebrauch bestimmt seien. In diesem Zusammenhang hebt der Gerichtshof unter anderem hervor, dass die Anwendung der ermäßigten Mehrwert­steu­ersätze insbesondere den Zweck verfolgt, die Kosten für bestimmte für den Endverbraucher unentbehrliche Gegenstände zu senken. Allerdings werden die Kosten für Gesund­heits­produkte, Hilfsmittel, sowie ärztliche und tierärztliche Geräte selten unmittelbar vom Endverbraucher getragen, da diese Produkte hauptsächlich von Fachleuten aus dem Gesund­heits­sektor für Dienst­leis­tungen verwendet werden, die ihrerseits von der Mehrwertsteuer befreit werden können.

Drittens stellt der Gerichtshof fest, dass die Anwendung eines ermäßigten Mehrwert­steu­er­satzes auf Vorrichtungen und Zubehörteile, die dazu dienen können, körperliche Behinderungen von Tieren auszugleichen, gegen die Mehrwert­steu­er­richtlinie verstößt.

Für ermäßigten Steuersatz dürfen Gegenstände ausschließlich dem persönlichen Gebrauch der Behinderten dienen

Viertens stellt der Gerichtshof klar, dass auf Vorrichtungen und Zubehörteile, die im Wesentlichen oder hauptsächlich dazu verwendet werden, Behinderungen des Menschen auszugleichen, jedoch nicht ausschließlich dem persönlichen Gebrauch von Behinderten dienen, kein ermäßigter Mehrwert­steu­ersatz angewendet werden kann. Nach der Mehrwert­steu­er­richtlinie wird nämlich insofern vorausgesetzt, dass diese Gegenstände ausschließlich dem persönlichen Gebrauch der Behinderten dienen. Somit ist die Anwendung eines ermäßigten Mehrwert­steu­er­satzes auf Gesund­heits­produkte, die zum allgemeinen Gebrauch bestimmt sind und von den Krankenhäusern und den Fachleuten der Gesund­heits­dienste verwendet werden, nicht gerechtfertigt. Der Gerichtshof führt weiter aus, dass dieser Schluss nicht durch die Argumentation Spaniens in Frage gestellt wird, wonach bestimmte Produkte sowohl zum allgemeinen Gebrauch als auch zum ausschließlich persönlichen Gebrauch von Behinderten bestimmt sein können. In diesem Zusammenhang verweist der Gerichtshof auf seine Rechtsprechung, wonach die Anwendung eines ermäßigten Mehrwert­steu­er­satzes auf einen Gegenstand, der für unter­schiedliche Zwecke verwendet werden kann, für jeden einzelnen Liefervorgang davon abhängt, zu welchem konkreten Zweck der Käufer diesen Gegenstand verwendet.

Erläuterungen
* Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwert­steu­er­system (ABl. L 347, S. 1).

**Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemein­schafts­kodexes für Humana­rz­nei­mittel (ABl. L 311, S. 67)

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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