15.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss12.12.2012

Ausschluss nicht verschrei­bungs­pflichtiger Arzneimittel aus Leistungs­katalog der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung verfas­sungsgemäßGesetzliche Krankenkasse ist nicht zur Kostenübernahme jeglicher Medikamente verpflichtet

Es ist verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber nicht verschrei­bungs­pflichtige Arzneimittel aus dem Leistungs­katalog der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung ausgeschlossen hat. Die Belastung der Versicherten mit Zusatzkosten steht in angemessenem Verhältnis zu dem unter anderem vom Gesetzgeber verfolgten Ziel, die Kosten im Gesund­heitswesen einzudämmen. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht.

In dem zugrunde liegenden Streitfall ist der Beschwer­de­führer gesetzlich kranken­ver­sichert und leidet an einer chronischen Atemwegs­er­krankung. Der Hausarzt behandelt die Atemwegs­er­krankung dauerhaft mit einem nicht verschrei­bungs­pflichtigen Medikament, das sich seit 2004 nicht mehr im Leistungskatalog der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung befindet. Dem Beschwer­de­führer entstehen nach seinem Vortrag dadurch monatliche Kosten von 28,80 Euro. Die Krankenkasse lehnte die beantragte Kostenübernahme trotz ärztlicher Verschreibung ab. Die Klage hiergegen blieb in allen Instanzen erfolglos.

Beschwer­de­führer erhebt Verfas­sungs­be­schwerde

Mit der Verfas­sungs­be­schwerde gegen das Revisionsurteil des Bundes­so­zi­al­ge­richts vom 6. November 2008 rügt der Beschwer­de­führer die Verfas­sungs­wid­rigkeit des Ausschlusses nicht verschrei­bungs­pflichtiger Arzneimittel aus dem Leistungs­katalog der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozial­ge­setzbuch (SGB V).

Verstoß gegen allgemeinen Gleichheitssatz nicht begründet

Die Verfas­sungs­be­schwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, denn sie hat keine Aussicht auf Erfolg. Soweit der Beschwer­de­führer einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz rügt, ist die Verfas­sungs­be­schwerde nicht begründet.

Gesetzliche Krankenkassen können zumutbare Eigenleistungen verlangen

Chronisch Kranken wird nicht - wie vom Beschwer­de­führer gerügt - ein Sonderopfer zugunsten der Allgemeinheit, hier der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung, auferlegt. Die gesetzlichen Krankenkassen sind nicht von Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wieder­her­stellung der Gesundheit verfügbar ist. Zumutbare Eigenleistungen können verlangt werden.

Verschrei­bungs­pflicht knüpft an Art des Medikaments an

Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungs­ge­genstand und Diffe­ren­zie­rungs­merkmalen unter­schiedliche Grenzen für den Gesetzgeber. Diffe­ren­zie­rungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Diffe­ren­zie­rungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Ungleich behandelt werden Versicherte, die verschrei­bungs­pflichtige Medikamente einnehmen, und Versicherte, die nicht verschrei­bungs­pflichtige Medikamente einnehmen. Die Verschrei­bungs­pflicht knüpft an die Art des Medikaments an, so dass davon auszugehen ist, dass fast alle Versicherten zu beiden Gruppen gehören. Der Gesetzgeber unterliegt insofern keiner strengen Bindung an Art. 3 Abs. 1 GG.

Ungleich­be­handlung gerechtfertigt

Die Ungleich­be­handlung zwischen verschrei­bungs­pflichtigen und nicht verschrei­bungs­pflichtigen Medikamenten, die für chronisch Kranke tatsächlich höhere Zuzahlungen nach sich zieht, ist gerechtfertigt.

Nicht verschrei­bungs­pflichtige Medikamente eigenen sich zur Dämmung der Kosten im Gesund­heitswesen

Ob ein Medikament verschrei­bungs­pflichtig ist oder nicht, entscheidet sich in erster Linie am Maßstab der Arznei­mit­tel­si­cherheit. Verschrei­bungs­pflichtige Arzneimittel sind stark wirksame Arzneimittel, von denen eine Gesund­heits­ge­fährdung ausgeht, wenn sie ohne ärztliche Überwachung eingenommen werden. Von nicht verschrei­bungs­pflichtigen Arzneimitteln geht diese Gefährdung nicht aus; der rechtlich nicht gebundene Preis übernimmt hier eine Steue­rungs­funktion bei der Selbst­me­di­kation. Der Gesetzgeber bedient sich somit eines Kriteriums, das primär die Funktion hat, die Arznei­mit­tel­si­cherheit zu gewährleisten, auch mit dem Ziel, die finanzielle Inanspruchnahme der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung zu steuern. Insofern ist das Kriterium nicht zielgenau. Es ist aber auch nicht sachwidrig, sondern zur Dämmung der Kosten im Gesund­heitswesen erforderlich und auch geeignet.

Finanzielle Belastung für Beschwer­de­führer zumutbar

Die Differenzierung ist auch im engeren Sinne verhältnismäßig, denn die Belastung mit den Zusatzkosten für nicht verschrei­bungs­pflichtige Medikamente steht in einem angemessenen Verhältnis zu den vom Gesetzgeber mit dieser Differenzierung verfolgten Zielen. Da das hier in Rede stehende Medikament ohne ärztliche Verschreibung erhältlich ist und zur Gruppe der Medikamente mit typischerweise geringem Preis gehört, ist es dem Versicherten grundsätzlich zumutbar, die Kosten hierfür selbst zu tragen. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die vom Beschwer­de­führer konkret geltend gemachte finanzielle Belastung unzumutbar wäre. Zudem hat der Gesetzgeber ergänzende Regelungen getroffen, um die Belastung der chronisch Kranken durch die Kosten für Medikamente in Grenzen zu halten.

Schwere der Erkrankung ein naheliegendes Sachkriterium zur Differenzierung

Auch die Differenzierung des Gesetzgebers zwischen schwerwiegenden und anderen Erkrankungen ist verfas­sungs­rechtlich zu rechtfertigen. Bei schwerwiegenden Erkrankungen, bei denen das Medikament zum Thera­pie­standard gehört, können auch nicht verschrei­bungs­pflichtige Medikamente zu Lasten der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung verordnet werden. Die Schwere der Erkrankung ist im Rahmen eines Kranken­ver­si­che­rungs­systems ein naheliegendes Sachkriterium, um innerhalb des Leistungs­ka­talogs zu differenzieren.

Verstoß gegen Recht auf gesetzlichen Richter ebenfalls nicht begründet

4. Die Verfas­sungs­be­schwerde ist ebenso unbegründet, soweit ein Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) durch unterlassene Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gerügt wird. Das Bundes­so­zi­al­gericht hat die Vorlagepflicht in vertretbarer Weise gehandhabt.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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