21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil06.09.2012

EuGH zu den Voraussetzungen für Mehrwert­steu­er­be­freiungen bei innter­ge­mein­schaft­lichen GeschäftenMitgliedsstaat kann Verkäufer bei nicht erbrachten Nachweisen für innter­ge­mein­schaft­lichen Geschäften Anspruch auf Mehrwert­steu­er­be­freiung versagen

Einem Unternehmen, das Waren mit Bestimmungsort in einem anderen Mitgliedstaat verkauft hat, kann die Mehrwert­steu­er­be­freiung versagt werden, wenn es nicht nachgewiesen hat, dass es sich dabei um ein inner­ge­mein­schaft­liches Geschäft handelte. Hat das Unternehmen diesen Nachweis hingegen erbracht und in gutem Glauben gehandelt, darf ihm die Mehrwert­steu­er­be­freiung nicht mit der Begründung versagt werden, der Käufer habe die Waren nicht an einen Ort außerhalb des Versandstaats befördert. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.

Nach der Mehrwert­steu­er­richt­linie* wird die in einem Mitgliedstaat erfolgte Veräußerung von Waren, die für einen Käufer, der selbst in einem anderen Mitgliedstaat als dem Ausgangspunkt der Versendung oder Beförderung der Gegenstände steuerpflichtig ist, in einen anderen Mitgliedstaat versandt oder befördert werden, im erstgenannten Mitgliedstaat von der Mehrwertsteuer befreit. In einem solchen Fall ist es der Käufer, der die Mehrwertsteuer im Bestimmungsland der Waren abführen muss.

Sachverhalt

Mecsek-Gabona ist eine ungarische Gesellschaft, zu deren Kerngeschäft der Großhandel mit Getreide, Tabak, Saatgut und Futtermitteln gehört. Im August 2009 verkaufte sie an eine italienische Gesellschaft – die zu diesem Zeitpunkt über eine Mehrwertsteuer-Identi­fi­ka­ti­o­ns­nummer verfügte – 1000 Tonnen Raps, der laut Kaufvertrag von der Käuferin in einen anderen Mitgliedstaat zu befördern war. Die Ware wurde der Käuferin auf dem Betriebsgelände von Mecsek-Gabona in Ungarn übergeben, und die italienische Gesellschaft übersandte der Verkäuferin von einer italienischen Postanschrift aus mehrere CMR-Frachtbriefe**, die belegten, dass der Raps an einen Ort außerhalb Ungarns befördert worden war.

Gesellschaft stellt Rechnung ohne Angabe der Mehrwertsteuer aus

Für dieses Geschäft stellte Mecsek-Gabona zwei Rechnungen aus. In der Annahme, es handele sich um einen in Ungarn von der Mehrwertsteuer befreiten inner­ge­mein­schaft­lichen Umsatz stellte sie der Käuferin die Mehrwertsteuer nicht in Rechnung und führte sie nicht an die ungarische Steuer­ver­waltung ab.

Italienische Steuer­ver­waltung verneint bei fraglichem Geschäft Vorliegen einer mehrwert­steu­er­be­freiten inner­ge­mein­schaft­lichen Lieferung

Die italienische Steuer­ver­waltung stellte jedoch fest, dass die Käuferin unauffindbar war und in Italien nie Mehrwertsteuer abgeführt hatte. Deshalb wurde die Mehrwertsteuer-Identi­fi­ka­ti­o­ns­nummer dieser Gesellschaft im Januar 2010 rückwirkend zum 17. April 2009 in dem Register gelöscht. Unter diesen Umständen ging die ungarische Steuer­ver­waltung davon aus, dass der von Mecsek-Gabona verkaufte Raps nie in einen anderen Mitgliedstaat befördert worden sei und das fragliche Geschäft keine mehrwert­steu­er­be­freite inner­ge­mein­schaftliche Lieferung von Gegenständen darstelle. Sie zog Mecsek-Gabona daher zur Entrichtung der Mehrwertsteuer für dieses Geschäft heran und verhängte eine Geldbuße und einen Verspä­tungs­zu­schlag gegen sie.

Nationales Gericht erbittet Vorab­ent­scheidung des EuGH zur Notwendigkeit des Vorbringens von Beweisen für Vorliegen einer mehrwert­steu­er­be­freiten Lieferung

Mecsek-Gabona ging gegen diese Argumentation vor dem Baranya Megyei Bíróság (Komitatsgericht Baranya, Ungarn) vor. Dieser ersucht den Gerichtshof um Klärung, welche Beweise hinreichend sind, um das Vorliegen einer mehrwert­steu­er­be­freiten Lieferung von Gegenständen nachzuweisen. Er möchte auch wissen, in welchem Ausmaß der Verkäufer, wenn er die Beförderung nicht selbst übernimmt, für das rechtswidrige Handeln des Käufers verantwortlich gemacht werden kann, wenn nicht nachgewiesen ist, dass die verkauften Waren im Bestim­mungs­mit­gliedstaat angekommen sind.

EuGH stellt drei Voraussetzungen für Mehrwert­steu­er­be­freiung einer inner­ge­mein­schaft­lichen Lieferung heraus

In seinem Urteil ruft der Gerichtshof zunächst die drei Voraussetzungen für die Mehrwert­steu­er­be­freiung einer inner­ge­mein­schaft­lichen Lieferung eines Gegenstands in Erinnerung. Erstens muss das Eigentumsrecht an dem Gegenstand auf den Käufer übertragen worden sein. Zweitens muss der Verkäufer nachweisen, dass der Gegenstand in einen anderen Mitgliedstaat versandt oder befördert worden ist. Drittens muss der Gegenstand den Versand­mit­gliedstaat aufgrund dieses Versands oder dieser Beförderung physisch verlassen haben.

Steuer­pflichtiger muss keinen Nachweis erbringen, dass Ware den Mitgliedstaat physisch verlassen hat

Da im vorliegenden Fall die erste Voraussetzung erfüllt ist, prüft der Gerichtshof die Pflichten des Verkäufers in Bezug auf den Nachweis des Versands oder der Beförderung von Gegenständen in einen anderen Mitgliedstaat. In diesem Zusammenhang stellt der Gerichtshof fest, dass in Ermangelung einer konkreten Bestimmung in der Mehrwert­steu­er­richtlinie, welche Beweise das Vorliegen einer inner­ge­mein­schaft­lichen Lieferung belegen können, die Mitgliedstaaten dafür zuständig sind, dies festzulegen, wobei sie die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts wie die Grundsätze der Rechts­si­cherheit und der Verhält­nis­mä­ßigkeit zu beachten haben. Die Nachweis­pflichten sind daher nach nationalem Recht und der für ähnliche Geschäfte üblichen Praxis zu bestimmen. Ein Mitgliedstaat kann vom Steuer­pflichtigen jedoch nicht verlangen, den zwingenden Nachweis dafür zu erbringen, dass die Ware diesen Mitgliedstaat physisch verlassen hat.

Anspruch auf Mehrwert­steu­er­be­freiung kann versagt werden

Der Gerichtshof stellt außerdem fest, dass die Mehrwert­steu­er­richtlinie den Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit einer inner­ge­mein­schaft­lichen Lieferung gestattet, dem Verkäufer einen Anspruch auf Mehrwert­steu­er­be­freiung zu versagen, wenn er seinen Nachweis­pflichten nicht nachkommt.

Im vorliegenden Fall hat das ungarische Gericht zu prüfen, ob Mecsek-Gabona den Nachweis­pflichten nachgekommen ist, die ihr nach ungarischem Recht und der üblichen Praxis oblagen.

Verkäufer kann bei erbrachter Nachweispflicht nicht wegen Fehlverhaltens des Käufers zur Mehrwertsteuer herangezogen werden

Sodann weist der Gerichtshof darauf hin, dass der Nachweis, den der Verkäufer gegenüber den Steuerbehörden führen kann, wenn der Käufer im Versand­mit­gliedstaat die Befähigung hat, über den betreffenden Gegenstand wie ein Eigentümer zu verfügen, und sich verpflichtet, den Gegenstand in den Bestim­mungs­mit­gliedstaat zu befördern, wesentlich von den Angaben abhängt, die er zu diesem Zweck vom Käufer erhält. Unter diesen Umständen stellt der Gerichtshof fest, dass der Verkäufer, wenn er seinen Nachweis­pflichten nach nationalem Recht und der gängigen Praxis nachgekommen ist, nicht im Liefer­mit­gliedstaat zur Mehrwertsteuer herangezogen werden kann, wenn der Käufer seine vertragliche Verpflichtung, diese Gegenstände an Orte außerhalb dieses Staates zu versenden oder zu befördern, nicht erfüllt hat. Unter solchen Umständen ist es nämlich der Käufer, der im Liefer­mit­gliedstaat zur Mehrwertsteuer heranzuziehen ist.

Bei Wissen über Steuer­hin­ter­zie­hungs­vorhaben des Käufers kann Mehrwert­steu­er­be­freiung versagt werden

Jedoch kann dem Verkäufer die Mehrwert­steu­er­be­freiung für ein inner­ge­mein­schaft­liches Geschäft nicht gewährt werden, wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass dieses Geschäft mit einer Steuer­hin­ter­ziehung des Käufers verknüpft war, und er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um diese zu verhindern.

Rückwirkende Löschung der Mehrwertsteuer-Identi­fi­ka­ti­o­ns­nummer des Käufers kein Grund für Versagen der Mehrwert­steu­er­be­freiung für Verkäufer

Schließlich stellt der Gerichtshof fest, dass Mecsek-Gabona der Anspruch auf Mehrwert­steu­er­be­freiung nicht allein deshalb versagt werden kann, weil die italienische Mehrwertsteuer-Identi­fi­ka­ti­o­ns­nummer des Käufers rückwirkend im Steuer­pflichtigen-Register gelöscht wurde. Unregel­mä­ßig­keiten des Registers, dessen Verwaltung den nationalen Behörden obliegt, können nämlich nicht zu Lasten eines Steuer­pflichtigen gehen, der sich auf die Angaben in diesem Register gestützt hat.

Erläuterungen

* Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwert­steu­er­system (ABl. L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2010/88/EU des Rates vom 7. Dezember 2010 (ABl. L 326, S. 1) geänderten Fassung.

** Beför­de­rungs­do­kumente, die auf der Grundlage des am 19. Mai 1956 in Genf unterzeichneten Übereinkommens über den Beför­de­rungs­vertrag im internationalen Straßen­gü­ter­verkehr ausgestellt werden.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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