14.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil22.09.2011

EuGH: Weiter­ver­breitung von Sendungen in kurdischer Sprache durch Roj TV in Deutschland weiterhin möglichBetätigung der dänischen Gesellschaft in Deutschland als Verein darf durch BRD verboten werden

Deutschland kann die Weiter­ver­breitung von Sendungen in kurdischer Sprache, die Roj TV von Dänemark aus ausstrahlt, in seinem Hoheitsgebiet nicht verhindern. Soweit die Weiter­ver­breitung dieser Sendungen nicht verhindert wird, kann Deutschland jedoch die Betätigung von Roj TV und von Mesopotamia Broadcast als Vereine in seinem Hoheitsgebiet verbieten. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.

Die Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“* soll die Beschränkungen der Freiheit, innerhalb der Union Fernseh­sen­dungen auszustrahlen, aufheben. Die Richtlinie bestimmt, dass die Mitgliedstaaten dafür zuständig sind, für die Rechtmäßigkeit der Tätigkeit der in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen Fernseh­ver­an­stalter zu sorgen. Sie haben insbesondere zu gewährleisten, dass die Sendungen nicht zu Hass aufgrund von Rasse, Geschlecht, Religion oder Nationalität aufstacheln. Außerdem können die Mitgliedstaaten nicht die Weiter­ver­breitung von Sendungen, die von Fernseh­ver­an­staltern mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat ausgestrahlt werden, in ihrem Hoheitsgebiet aus Gründen beschränken, die mit der Aufstachelung zu Hass in Zusammenhang stehen; deren Beurteilung ist nach der Richtlinie diesem anderen Mitgliedstaat vorbehalten.

Sachverhalt

Die dänische Gesellschaft Mesopotamia Broadcast hält in Dänemark mehrere Fernsehlizenzen. Sie betreibt den Fernsehsender Roj TV, ebenfalls eine dänische Gesellschaft. Letzterer strahlt über Satellit in ganz Europa und im Nahen Osten ein Programm in vorwiegend kurdischer Sprache aus und lässt Sendebeiträge u. a. durch eine in Deutschland ansässige Gesellschaft produzieren.

Im Jahr 2008 untersagten die deutschen Behörden Mesopotamia Broadcast, sich durch Roj TV in Deutschland zu betätigen, mit der Begründung, die Sendungen von Roj TV richteten sich gegen den „Gedanken der Völker­ver­stän­digung“, wie er im deutschen Verfas­sungsrecht festgelegt sei. Der Verbotsgrund beruhe darauf, dass die Programme von Roj TV dazu anstifteten, die Inter­es­sen­ge­gensätze zwischen Kurden und Türken – auch in Deutschland – unter Anwendung von Gewalt zu entscheiden, und die Bemühungen der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans, von der Europäischen Union als terroristische Organisation eingestuft) unterstützten, junge Kurden für den Guerillakampf gegen die Republik Türkei zu rekrutieren.

Bundes­ver­wal­tungs­gericht erbittet Entscheidung des EuGH hinsichtlich der Zulässigkeit des Verbots der Tätigkeit von Mesopotamia Broadcast und von Roj TV durch deutsche Behörden

Die beiden Gesellschaften haben unter Berufung darauf, dass aufgrund der Richtlinie allein Dänemark ihre Tätigkeit kontrollieren dürfe, in Deutschland gerichtlich die Aufhebung dieses Verbots beantragt. Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht (Deutschland) stellt dem Gerichtshof die Frage, ob die deutschen Behörden berechtigt waren, die Tätigkeit von Mesopotamia Broadcast und von Roj TV zu verbieten. Das deutsche Gericht möchte wissen, ob der Begriff der Aufstachelung zu Hass aufgrund von Rasse, Geschlecht, Religion oder Nationalität, dessen Auslegung im vorliegenden Fall den dänischen Behörden vorbehalten ist, auch Verstöße gegen den Gedanken der Völker­ver­stän­digung umfasst.

Mesopotamia Broadcast und Roj TV tragen zur Aufheizung der gewaltsamen Ausein­an­der­set­zungen zwischen türkischen und kurdischen Volks­zu­ge­hörigen in der Türkei bei

In seinem Urteil nimmt der Gerichtshof eine Auslegung des Begriffs der Aufstachelung zu Hass vor, der mit dem Ziel in die Richtlinie aufgenommen wurde, jegliche menschen­ver­achtende Ideologie, insbesondere Bestrebungen, Gewalt durch Terroranschläge gegen eine bestimmte Personengruppe zu verherrlichen, zu verhindern. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts tragen Mesopotamia Broadcast und Roj TV dazu bei, die gewaltsamen Ausein­an­der­set­zungen zwischen türkischen und kurdischen Volks­zu­ge­hörigen in der Türkei anzuheizen und die Spannungen zwischen den in Deutschland lebenden Türken und Kurden zu erhöhen. Unter diesen Umständen stellt der Gerichtshof fest, dass das Verhalten von Mesopotamia Broadcast und von Roj TV, wie es von dem deutschen Gericht beschrieben wird, unter den Begriff der Aufstachelung zu Hass fällt.

Kontrolle möglicher Aufstachelung zum Hass obliegt dänischen Behörden

Allerdings betont der Gerichtshof, dass im vorliegenden Fall allein die dänischen Behörden dafür zuständig sind, zu prüfen, ob dieses Verhalten tatsächlich eine Aufstachelung zu Hass darstellt, und dafür zu sorgen, dass in den Sendungen von Roj TV eine solche Aufstachelung nicht enthalten ist.

Mitglieds­s­taaten dürfen Weiter­ver­breitung von Sendungen aus anderem Mitgliedstaat in eigenem Hoheitsgebiet nicht beschränken

Sodann weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Mitgliedstaaten Rechts­vor­schriften erlassen können, die der öffentlichen Ordnung dienen und nicht speziell die Ausstrahlung und Verbreitung von Programmen betreffen. Hingegen sind die Mitgliedstaaten nicht berechtigt, die Weiter­ver­breitung von Sendungen aus einem anderen Mitgliedstaat in ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken.

Nicht ausgestrahlte Fernseh­sen­dungen, sondern Tätigkeit des Fernsehsenders in seiner Eigenschaft als Verein verboten

Insoweit stellt der Gerichtshof fest, dass die angefochtenen Maßnahmen nach den von der deutschen Regierung übermittelten Informationen nicht die Weiter­ver­breitung der von Roj TV veranstalteten Fernseh­sen­dungen in Deutschland verhindern sollen, sondern dass damit die Tätigkeit dieses Fernsehsenders und von Mesopotamia Broadcast in ihrer Eigenschaft als Vereine verboten wird.

Verbotener Verein darf sich künftig in Deutschland nicht mehr betätigen

Vor diesem Hintergrund sind der Empfang und die private Nutzung des Programms von Roj TV in Deutschland nicht verboten und tatsächlich weiterhin möglich. Allerdings darf sich Roj TV als verbotener Verein in Deutschland nicht mehr betätigen, und auch eine zu seinen Gunsten in Deutschland erfolgende Betätigung ist verboten. Folglich sind dort insbesondere die Produktion von Sendungen und die Organisation von Veranstaltungen, bei denen Sendungen von Roj TV in einem öffentlichen Rahmen, insbesondere in einem Stadion, gezeigt werden, ebenso wie im deutschen Hoheitsgebiet stattfindende Unter­stüt­zungs­ak­ti­vitäten verboten.

Mögliche Verhinderung der Weiter­ver­breitung der Programme in Deutschland muss geprüft werden

Die Antwort des Gerichtshofs lautet daher, dass die gegenüber Mesopotamia Broadcast und Roj TV getroffenen Maßnahmen grundsätzlich kein Hindernis für die Weiter­ver­breitung der durch Roj TV von Dänemark aus ausgestrahlten Programme darstellen. Gleichwohl hat das vorlegende Gericht zu prüfen, ob die konkreten Wirkungen, die sich aus der Verbots­ver­fügung ergeben, nicht in der Praxis die Weiter­ver­breitung dieser Programme in Deutschland verhindern.

Erläuterungen
*Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwal­tungs­vor­schriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtä­tigkeit (ABl. L 298, S. 23) in der durch die Richtlinie 97/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Juni 1997 (ABl. L 202, S. 60) geänderten Fassung.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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