23.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil20.06.2013

Kinder von Grenzgängern dürfen nicht von finanziellen Beihilfen für das Hochschul­studium in Luxemburg ausgeschlossen werdenWohnsit­zer­for­dernis für Beihilfen stellt mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staats­an­ge­hö­rigkeit dar

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass die derzeitige luxemburgische Regelung, wonach Kinder von Grenzgängern von der finanziellen Beihilfe für ein Hochschul­studium ausgeschlossen sind, zwar ein legitimes Ziel verfolgt, aber über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist. Das Ziel, die Zahl der Personen mit Hochschul­ab­schluss in der luxemburgischen Bevölkerung zu erhöhen, kann durch weniger einschränkende Maßnahmen erreicht werden.

Das Unionsrecht* verlangt von den Mitgliedstaaten, dass sie Wander­a­r­beit­nehmern die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen gewähren wie inländischen Arbeitnehmern.

Kinder von Grenzgängern oder aus Nachbarländern Luxemburgs von Beihilfen für Studium ausgeschlossen

Luxemburg gewährt eine finanzielle Beihilfe in Form von Stipendien und Darlehen, um das Hochschuld­s­tudium von Studierenden in Luxemburg und in jedem anderen Staat zu fördern. Diese Beihilfe wird Studierenden gewährt, die luxemburgische Staats­an­ge­hörige oder Angehörige eines anderen Mitgliedstaats sind und die zu dem Zeitpunkt, zu dem sie das Hochschul­studium aufnehmen, in Luxemburg wohnen. Daher sind Kinder von Grenzgängern, die normalerweise in einem Nachbarland Luxemburgs wohnen, von dieser Beihilfe ausgeschlossen.

Kinder von Grenzgängern rügten Rechts­wid­rigkeit ihres Ausschlusses aus dem Kreis der Beihil­fe­be­rech­tigten

Mehrere Kinder von Grenzgängern, denen die Gewährung der finanziellen Beihilfe verweigert worden war, rügten vor den luxemburgischen Gerichten die Rechts­wid­rigkeit ihres Ausschlusses aus dem Kreis der Beihil­fe­be­rech­tigten. Das mit diesen Rechtss­trei­tig­keiten befasste Tribunal administratif (Luxemburg) hat dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage vorgelegt, ob die luxemburgische Regelung betreffend die Gewährung dieser Beihilfe mit dem Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer vereinbar ist.

Soziale Vergünstigung muss neben Wander­a­r­beit­nehmern auch Grenz­a­r­beit­nehmern zuteilwerden muss

In seinem Urteil weist der Gerichtshof darauf hin, dass eine Beihilfe, die zur Finanzierung des Hochschul­studiums eines Kindes gewährt wird, das gegenüber einem Wander­a­r­beit­nehmer unter­halts­be­rechtigt ist, für diesen Arbeitnehmer eine soziale Vergünstigung darstellt, die ihm nach den gleichen Voraussetzungen zu gewähren ist wie inländischen Arbeitnehmern. Der Gerichtshof stellt insoweit klar, dass diese Gleich­be­handlung nicht nur den in einem Aufnah­me­mit­gliedstaat wohnenden Wander­a­r­beit­nehmern vorbehalten ist, sondern auch Grenz­a­r­beit­nehmern zuteilwerden muss, die dort ihre unselbständige Erwer­b­s­tä­tigkeit ausüben, aber in einem anderen Mitgliedstaat wohnen. Außerdem kann sich das Kind eines Wander­a­r­beit­nehmers dann, wenn ihm die soziale Vergünstigung unmittelbar gewährt wird, selbst auf den Gleich­be­hand­lungs­grundsatz berufen.

EuGH sieht in Wohnsit­zer­for­dernis mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staats­an­ge­hö­rigkeit

Sodann stellt der Gerichtshof fest, dass das Wohnsit­zer­for­dernis, das die luxemburgische Regelung vorschreibt, insoweit eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staats­an­ge­hö­rigkeit darstellt, als es sich zum Nachteil der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten auswirken kann, da Gebietsfremde meist Ausländer sind. In diesem Zusammenhang betont der Gerichtshof, dass eine solche Diskriminierung nicht durch Haushalt­s­er­wä­gungen gerechtfertigt werden kann, da die Anwendung und die Tragweite des Verbots der Diskriminierung aufgrund der Staats­an­ge­hö­rigkeit im Rahmen der Freizügigkeit der Arbeitnehmer nicht vom Zustand der Staatsfinanzen der Mitgliedstaaten abhängen darf.

Nationale Regelungen zur Förderung des Hochschul­studiums in Luxemburg unter Umständen gerechtfertigt

Gleichwohl ist das Wohnsit­zer­for­dernis geeignet, die Erreichung des von Luxemburg verfolgten Ziels, das Hochschul­studium zu fördern und den Anteil der in diesem Land ansässigen Personen mit Hochschul­ab­schluss wesentlich zu erhöhen, zu gewährleisten. Die Wahrschein­lichkeit einer Ansiedlung in Luxemburg und einer Eingliederung in den luxemburgischen Arbeitsmarkt nach Abschluss des Studiums ist nämlich bei Studierenden, die zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ihr Studium aufnehmen, in Luxemburg ansässig sind, auch dann höher als bei gebietsfremden Studierenden, wenn das Studium im Ausland absolviert wird.

Beihil­fe­re­gelung hat zu starke Ausschluss­wirkung

Jedoch hat der Gerichtshof entschieden, dass die Beihil­fe­re­gelung eine zu starke Ausschluss­wirkung hat. Indem nämlich die Voraussetzung aufgestellt wird, dass der Studierende einen vorherigen Wohnsitz in Luxemburg haben muss, gibt die angefochtene Regelung einem Umstand den Vorzug, der nicht zwangsläufig der einzige für den tatsächlichen Grad der Verbundenheit zwischen dem Betreffenden und Luxemburg repräsentative Umstand ist.

So kann auch ein gebietsfremder Studierender eine hinreichende Verbindung zum Großherzogtum haben, aufgrund deren auf eine angemessene Wahrschein­lichkeit geschlossen werden kann, dass er dort erneut ansässig werden und sich dem Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaats zur Verfügung stellen wird. Dies ist der Fall, wenn dieser Studierende alleine oder mit seinen Eltern in einem an Luxemburg angrenzenden Mitgliedstaat wohnt und seine Eltern seit längerer Zeit in Luxemburg arbeiten und in der Nähe dieses Mitgliedstaats leben.

"Stipen­di­en­tou­rismus" kann durch weniger einschränkende Maßnahmen erreicht werden

Der Gerichtshof stellt insoweit klar, dass es weniger einschränkende Maßnahmen gibt, die die Erreichung des vom luxemburgischen Gesetzgeber verfolgten Ziels ermöglichen. Beispielsweise wäre insoweit, als die gewährte Beihilfe in einem Darlehen bestehen kann, ein Finan­zie­rungs­system, das die Gewährung dieses Darlehens, die Höhe des zurück­zu­zah­lenden Betrags oder seinen Erlass an die Voraussetzung knüpft, dass der begünstigte Studierende nach Abschluss seines Studiums im Ausland nach Luxemburg zurückkehrt, um dort zu arbeiten und zu wohnen, besser an die spezielle Situation der Kinder von Grenzgängern angepasst. Um einen "Stipen­di­en­tou­rismus" zu vermeiden und um zu gewährleisten, dass der Grenzgänger, der ein Elternteil des Studierenden ist, in hinreichender Weise mit der luxemburgischen Gesellschaft verbunden ist, könnte außerdem die Gewährung der finanziellen Beihilfe an die Voraussetzung geknüpft werden, dass dieser Elternteil für einen bestimmten Mindestzeitraum in Luxemburg arbeitet.

Schließlich könnte jede Gefahr einer Kumulierung mit einer entsprechenden finanziellen Beihilfe, die von dem Mitgliedstaat gezahlt werden könnte, in dem der Studierende allein oder mit seinen Eltern wohnt, dadurch vermieden werden, dass eine solche Unterstützung bei der Gewährung der von Luxemburg gezahlten Beihilfe berücksichtigt wird.

Nationale Regelung verstößt gegen Grundsatz der Freizügigkeit von Arbeitnehmern

Unter diesen Umständen antwortet der Gerichtshof, dass die angefochtene luxemburgische Regelung über das hinausgeht, was zur Erreichung des vom Gesetzgeber verfolgten Ziels erforderlich ist. Diese Regelung verstößt daher gegen den Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer.

Erläuterungen

* Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) in der durch die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (ABl. L 158, S. 77, mit Berichtigung in ABl. 2004, L 229, S. 35) geänderten Fassung.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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