Dokument-Nr. 7020
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil18.11.2008
Unterhaltsstipendium für EU-Ausländer kann an Mindestaufenthalt geknüpft werden
Der Europäische Gerichtshof stellt klar, unter welchen Voraussetzungen Studierende aus anderen Mitgliedstaaten Anspruch auf ein Unterhaltsstipendium haben. Das Gemeinschaftsrecht verbietet nicht, von diesen Studierenden einen vorherigen Aufenthalt von fünf Jahren zu verlangen
Am 5. März 2000 ließ sich Frau Förster, eine deutsche Staatsangehörige, im Alter von 20 Jahren in den Niederlanden nieder, wo sie sich an der Hogeschool van Amsterdam für eine Grundschullehrerausbildung und am 1. September 2001 für ein Bachelor-Studium im Fach Pädagogik einschrieb. Während ihres Studiums übte Frau Förster mehrere Tätigkeiten im Lohn- oder Gehaltsverhältnis aus. Die IB-Groep, die für die Studienfinanzierung zuständige Behörde, gewährte Frau Förster ab September 2000 ein Unterhaltsstipendium, wobei sie annahm, dass Frau Förster als "Arbeitnehmerin" anzusehen und daher in Bezug auf Unterhaltsstipendien Studierenden mit niederländischer Staatsangehörigkeit gleichzustellen sei.
Bei einer Kontrolle stellte die IB-Groep jedoch fest, dass Frau Förster von Juli bis Dezember 2003 keine entgeltliche Tätigkeit ausgeübt hatte. Da sie der Ansicht war, dass Frau Förster nun nicht länger als Arbeitnehmerin angesehen werden könne, nahm sie die Entscheidung über die Gewährung des Unterhaltsstipendiums für die Monate Juli bis Dezember 2003 zurück. Frau Förster wurde aufgefordert, die zu viel gezahlten Beträge zurückzuzahlen.
Im Rahmen ihrer Klage gegen diese Entscheidung machte Frau Förster u. a. geltend, dass sie in der entscheidungserheblichen Zeit bereits so weit in die niederländische Gesellschaft integriert gewesen sei, dass sie als Studentin nach dem Gemeinschaftsrecht Anspruch auf ein Unterhaltsstipendium gehabt habe. Sie führt hierfür das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Bidar an, in dem entschieden wurde, dass ein gewisser Integrationsgrad als nachgewiesen angesehen werden kann, wenn der betreffende Studierende sich für eine gewisse Zeit im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat.
Im Anschluss an das Urteil Bidar erließ die IB-Groep eine Verwaltungsvorschrift, wonach sich Studierende der Europäischen Union mindestens fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig in den Niederlanden aufgehalten haben müssen, bevor sie für eine Studienfinanzierung in Betracht kommen können.
Der Centrale Raad van Beroep, der in der Berufungsinstanz über die Klage von Frau Förster zu entscheiden hat, hat den Gerichtshof angerufen, damit dieser klarstellt, unter welchen Voraussetzungen ein Studierender aus einem anderen Mitgliedstaat Anspruch auf ein Unterhaltsstipendium haben kann.
In seinem Urteil erinnert der Gerichtshof daran, dass sich ein Studierender, der sich rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, im Hinblick auf den Bezug eines Unterhaltsstipendiums auf das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit berufen kann.
Da die Voraussetzung bezüglich der Aufenthaltsdauer Studierenden mit niederländischer Staatsangehörigkeit nicht entgegengehalten werden kann, stellt sich die Frage, welche Grenzen dem Anspruch von Studierenden aus anderen Mitgliedstaaten auf ein Unterhaltsstipendium gesetzt werden können, ohne dass die sich möglicherweise daraus ergebende Ungleichbehandlung als diskriminierend angesehen werden muss.
In diesem Zusammenhang erinnert der Gerichtshof daran, dass es legitim ist, dass ein Mitgliedstaat eine Beihilfe zur Deckung der Unterhaltskosten von Studierenden nur jenen gewährt, die nachgewiesen haben, dass sie sich bis zu einem gewissen Grad in die Gesellschaft dieses Staates integriert haben, und dass dieser Integrationsgrad durch die Feststellung, dass der betreffende Studierende sich für eine gewisse Zeit im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, als nachgewiesen angesehen werden kann.
Im vorliegenden Fall stellt der Gerichtshof fest, dass das Erfordernis eines fünfjährigen ununterbrochenen Aufenthalts geeignet ist, sicherzustellen, dass derjenige, der das fragliche Unterhaltsstipendium beantragt, im Aufnahmemitgliedstaat integriert ist. Es kann auch nicht als unverhältnismäßig angesehen werden.
Da das Aufenthaltskriterium in der Verwaltungsvorschrift der IB-Groep den Betroffenen ermöglicht, ihre Rechte und Pflichten eindeutig zu erfassen, kann es durch seine bloße Existenz ein erhöhtes Maß an Rechtssicherheit und Transparenz im Rahmen der Vergabe von Unterhaltsstipendien an Studierende gewährleisten.
Unter diesen Umständen verbietet das Gemeinschaftsrecht nicht, von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten einen vorherigen Aufenthalt von fünf Jahren zu verlangen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 19.11.2008
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 80/08 des EuGH vom 18.11.2008
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