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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil04.03.2010
EuGH: Kleinverkaufsmindestpreise für Tabakwaren nicht mit EU-Richtlinien vereinbarVorgegebene Gesundheitsschutzziele auch durch Anhebung der Verbrauchsteuer erreichbar
Die Regelungen Frankreichs, Österreichs und Irlands, mit denen Kleinverkaufsmindestpreise für Zigaretten festgesetzt werden, verstoßen gegen Unionsrecht. Die Gesundheitsschutzziele können mit einer Anhebung der Verbrauchsteuern erreicht werden. Dies geht aus einer Entscheidung des Gerichtshofs der europäischen Gemeinschaften hervor.
Die Kommission hat beim Gerichtshof drei Vertragsverletzungsklagen – gegen Frankreich, Österreich und Irland – eingereicht, weil ihres Erachtens die Regelungen dieser drei Mitgliedstaaten, mit denen Mindestpreise für bestimmte Tabakwaren festgesetzt werden, nämlich für Zigaretten und andere Tabakerzeugnisse in Frankreich, für Zigaretten und für Feinschnitttabak für selbstgedrehte Zigaretten in Österreich und für Zigaretten in Irland, gegen die Richtlinie 95/59 verstoßen, in der bestimmte Regeln zur Verbrauchsteuer auf diese Erzeugnisse festgelegt sind. Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, Zigaretten mit einer Verbrauchsteuer zu belegen, die aus einem nach dem Kleinverkaufshöchstpreis berechneten proportionalen Bestandteil (ad valorem) und einem spezifischen Bestandteil besteht, dessen Betrag auf der Grundlage von Zigaretten der gängigsten Preisklasse festgesetzt wird, aber weder niedriger als 5 % noch höher als 55 % des Gesamtbetrags der Verbrauchsteuer sein darf. Der Satz der proportionalen Verbrauchsteuer und der Betrag der spezifischen Verbrauchsteuer müssen für alle Zigaretten gleich sein. Die Richtlinie sieht auch vor, dass die Hersteller und die Einführer von Tabakwaren für jedes ihrer Erzeugnisse den Kleinverkaufshöchstpreis frei bestimmen (Art. 9 Abs. 1).
Regelung der Mitgliedsstaaten verstößt gegen freien Wettbewerb
Nach Auffassung der Kommission beeinträchtigen die Regelungen der drei Mitgliedstaaten, die Mindestpreise in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes der Durchschnittspreise der betreffenden Tabakwaren (95 % in Frankreich, 92,75 % für Zigaretten und 90 % für Feinschnitt in Österreich sowie 97 % in Irland) vorschreiben, die Freiheit der Hersteller und der Einführer, die Kleinverkaufshöchstpreise ihrer Erzeugnisse zu bestimmen, und damit den freien Wettbewerb. Diese Regelungen verstießen daher gegen die Richtlinie.
Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass mit der Richtlinie insbesondere sichergestellt werden soll, dass die Ermittlung der Bemessungsgrundlage der proportionalen Verbrauchsteuer auf Tabakwaren in allen Mitgliedstaaten denselben Regeln unterliegt, aber auch die Freiheit der Hersteller und der Einführer erhalten bleiben soll, die es ihnen ermöglicht, aus etwaigen niedrigeren Gestehungspreisen tatsächlich einen Wettbewerbsvorteil zu ziehen.
Kleinverkaufshöchstpreis ist geeignet Wettbewerbsverhältnisse zu beeinflussen
Die Vorgabe eines Kleinverkaufsmindestpreises hat, so der Gerichtshof, zur Folge, dass der von den Herstellern oder den Einführern bestimmte Kleinverkaufshöchstpreis jedenfalls nicht unter diesem verbindlichen Mindestpreis liegen kann, und ist daher geeignet, die Wettbewerbsverhältnisse zu beeinträchtigen, indem bestimmte Hersteller oder Einführer daran gehindert werden, niedrigere Gestehungskosten auszunutzen, um günstigere Kleinverkaufspreise anzubieten.
Ausgestaltung der Richtlinie muss Beeinträchtigung des Wettbewerbsvorteils ausschließen
Der Gerichtshof stellt somit fest, dass ein System von Kleinverkaufsmindestpreisen für Tabakwaren nicht als mit der Richtlinie vereinbar angesehen werden kann, wenn seine Ausgestaltung es nicht unter allen Umständen ausschließt, dass der Wettbewerbsvorteil, der sich für bestimmte Hersteller oder Einführer solcher Erzeugnisse aus niedrigeren Gestehungskosten ergeben könnte, beeinträchtigt wird.
Die Prüfung der nationalen Rechtsvorschriften lässt den Gerichtshof zu dem Ergebnis gelangen, dass es sich mit ihnen nicht unter allen Umständen ausschließen lässt, dass die vorgeschriebenen Mindestpreise den Wettbewerbsvorteil beeinträchtigen, der sich für bestimmte Hersteller oder Einführer von Tabakwaren aus niedrigeren Gestehungskosten ergeben könnte.
Der Gerichtshof weist sodann die von den drei Mitgliedstaaten zur Verteidigung ihrer Regelungen vorgebrachten Argumente zurück.
Ziele der Preispolitik dürfen nicht gegen Richtlinie verstoßen
So ist erstens das Rahmenübereinkommen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht geeignet, die Schlussfolgerung des Gerichtshofs in Frage zu stellen, da es den Vertragsparteien keine konkrete Verpflichtung hinsichtlich der Preispolitik für Tabakerzeugnisse auferlegt, aufgrund deren sie gegen die Bestimmungen der Richtlinie verstoßen dürften. Außerdem steht die Richtlinie einer Preispolitik nicht entgegen, solange diese nicht gegen die Ziele der Richtlinie verstößt.
Zweitens kann das in Art. 30 EG vorgesehene Ziel des Gesundheitsschutzes nur geltend gemacht werden, um die in den Art. 28 EG und 29 EG genannten Maßnahmen der mengenmäßigen Einfuhr- und Ausfuhrbeschränkung und Maßnahmen gleicher Wirkung zu rechtfertigen. Die Kommission hat ihre Klagen aber nicht auf diese Bestimmungen des EG-Vertrags gestützt.
Richtlinie hinter Mitgliedstaaten an Eindämmung des Tabakkonsums
Schließlich stellt der Gerichtshof fest, dass die Richtlinie 95/59 den Gesundheitsschutz sicherstellt und die Mitgliedstaaten nicht daran hindert, die Eindämmung des Tabakkonsums weiterzuverfolgen. Er weist darauf hin, dass die Steuervorschriften ein wichtiges und wirksames Instrument zur Bekämpfung des Konsums von Tabakwaren und damit zum Schutz der öffentlichen Gesundheit darstellen, da das Ziel, sicherzustellen, dass für diese Waren hohe Preise festgesetzt werden, in angemessener Weise durch eine erhöhte Besteuerung der Tabakwaren verfolgt werden kann, weil sich die Verbrauchsteuererhöhungen früher oder später in einer Erhöhung der Kleinverkaufspreise niederschlagen müssen, ohne dass dies den Grundsatz der freien Preisfestsetzung antasten würde.
Mitgliedstaaten sind nicht gehindert, nicht kostendeckenden Verkauf von Tabakwaren zu verbieten
Der Gerichtshof führt ergänzend aus, dass das Verbot der Festsetzung von Mindestpreisen die Mitgliedstaaten nicht daran hindert, den nicht kostendeckenden Verkauf von Tabakwaren zu verbieten, da die Freiheit der Hersteller und der Einführer, die Kleinverkaufshöchstpreise für ihre Erzeugnisse festzusetzen, nicht beeinträchtigt wird. Diese Wirtschaftsteilnehmer könnten in diesem Fall die Auswirkung der Steuern auf diese Preise nicht dadurch auffangen, dass sie ihre Erzeugnisse zu einem Preis verkaufen, der unter der Summe der Gestehungskosten und der Gesamtheit der Abgaben liegt.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 04.03.2010
Quelle: ra-online, EuGH
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