22.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil05.11.2014

Dritt­staats­an­gehörige müssen bei festgestellter Rechts­wid­rigkeit des Aufenthalts vor Vollziehung einer Rück­kehr­ent­scheidung kein weiteres Mal angehört werdenRück­kehr­ent­scheidung steht in engem Zusammenhang mit Feststellung der Rechts­wid­rigkeit des Aufenthalts

Dritt­staats­an­gehörige, die zur Rechts­wid­rigkeit ihres Aufenthalts ordnungsgemäß angehört wurden, müssen vor Erlass der Rück­kehr­ent­scheidung nicht zwingend ein weiteres Mal angehört werden. Dies beruht darauf, dass die Rück­kehr­ent­scheidung in einem engen Zusammenhang mit der Feststellung der Rechts­wid­rigkeit des Aufenthalts steht. Dies geht aus einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union hervor.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Frau Sophie Mukarubega, die die ruandische Staats­an­ge­hö­rigkeit besitzt, hatte einen Asylantrag gestellt, der von den französischen Behörden nach einem 33 Monate dauernden Verfahren abgelehnt wurde. Ende 2012 lehnte der Polizeipräfekt von Paris die Erteilung eines Aufent­halt­s­titels an Frau Mukarubega ab und erließ ihr gegenüber eine Entscheidung, mit der sie unter Gewährung einer Frist von 30 Tagen für die freiwillige Ausreise und unter Bestimmung von Ruanda als Zielland zum Verlassen des französischen Hoheitsgebiets verpflichtet wurde. Frau Mukarubega verweilte jedoch weiterhin illegal im französischen Hoheitsgebiet.

Nationale Behörden verpflichten ruandische Staats­an­ge­hörige wegen illegalen Aufenthalts zum Verlassen des Hoheitsgebiets

Etwa vier Monate später, im Jahr 2013, versuchte Frau Mukarubega mit einem falschen belgischen Pass nach Kanada zu reisen, wobei sie von der französischen Polizei aufgegriffen wurde. Nachdem sie wegen „betrügerischer Verwendung eines behördlichen Dokuments“ in Polizei­ge­wahrsam verbracht worden war, wurde sie zu ihrer persönlichen und familiären Situation, ihrem Werdegang, ihrem Antrag auf einen Aufent­halt­stitel für Frankreich und ihre eventuelle Rückkehr nach Ruanda angehört. Am darauffolgenden Tag erließ der Präfekt des Departements Seine-Saint-Denis gegen Frau Mukarubega aufgrund der Feststellung, dass sie illegal aufhältig sei, eine Entscheidung, mit der sie zum Verlassen des Hoheitsgebiets verpflichtet wurde, allerdings, wegen Fluchtgefahr, ohne ihr eine Frist für die freiwillige Rückkehr zu gewähren.

Ruandische Staats­an­ge­hörige rügt Verstoß gegen Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung

Frau Mukarubega hat in Frankreich gegen die in den Jahren 2012 und 2013 erlassenen Rückkeh­rent­schei­dungen Klage erhoben. Sie macht geltend, diese Entscheidungen seien unter Verstoß gegen den in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union enthaltenen Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung ergangen, da ihr nicht ermöglicht worden sei, vor Erlass dieser Entscheidungen ihren Standpunkt vorzutragen. Das mit diesem Rechtsstreit befasste französische Gericht fragt den Gerichtshof der Europäischen Union nach der Tragweite des Rechts auf Anhörung.

Wahrung des Rechts auf Anhörung im Unionsrecht nicht klar geregelt

Mit seinem Urteil weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass das Unionsrecht* die Garantien, die den betroffenen Dritt­staats­an­ge­hörigen hinsichtlich der Rückkehr gewährt werden, detailliert regelt, da es die Former­for­dernisse für Rückkeh­rent­schei­dungen festgelegt und die Mitgliedstaaten verpflichtet, wirksame Rechtsbehelfe gegen diese Entscheidungen einzuführen. Im Unionsrecht ist hingegen weder festgelegt, ob und unter welchen Bedingungen das Recht auf Anhörung (das integraler Bestandteil des allgemeinen Grundsatzes der Wahrung der Vertei­di­gungs­rechte ist) zu wahren ist, noch, welche Konsequenzen aus einer Missachtung dieses Rechts zu ziehen sind.

Nationale Behörden sind nicht zur Anhörung des Betroffenen zur Rückkeh­rent­scheidung gezwungen

Sodann führt der Gerichtshof aus, dass die zuständigen nationalen Behörden, nachdem sie die Rechtswidrigkeit des Aufenthalts eines Dritt­staats­an­ge­hörigen in ihrem Hoheitsgebiet festgestellt haben, abgesehen von Ausnahmen durch im Unionsrecht vorgesehene Verweisungen auf das nationale Recht, verpflichtet sind, gegen diesen Dritt­staats­an­ge­hörigen am Schluss eines fairen und transparenten Verfahrens eine Rückkeh­rent­scheidung zu erlassen. Aus dieser Verpflichtung ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten zum einen in ihrem nationalen Recht die Verpflichtung zum Verlassen des Hoheitsgebiets im Fall eines illegalen Aufenthalts ausdrücklich vorsehen müssen und zum anderen dafür sorgen müssen, dass der Betroffene im Rahmen des Verfahrens über seinen Antrag auf einen Aufent­halt­stitel oder gegebenenfalls zur Rechts­wid­rigkeit seines Aufenthalts rechtswirksam angehört wird. Da der Erlass einer Rückkeh­rent­scheidung die zwingende Folge der Entscheidung ist, mit der die Rechts­wid­rigkeit des Aufenthalts des Betroffenen festgestellt wird, sind daher die nationalen Behörden, wenn sie beabsichtigen, zugleich eine Entscheidung, mit der der illegale Aufenthalt festgestellt wird, und eine Rückkeh­rent­scheidung zu erlassen, nicht gezwungen, den Betroffenen speziell zu der Rückkeh­rent­scheidung anzuhören, da er die Möglichkeit hatte, seinen Standpunkt zur Rechts­wid­rigkeit seines Aufenthalts und solche Gründe sachdienlich und wirksam vorzutragen, die nach dem nationalen Recht rechtfertigen können, dass die Behörden vom Erlass einer Rückkeh­rent­scheidung absehen.

Grund zur Anhörung der Betroffenen speziell vor Erlass der Rückkeh­rent­scheidung bestand nicht

Was den Fall von Frau Mukarubega betrifft, stellt der Gerichtshof fest, dass die erste Rückkeh­rent­scheidung (von 2012) im Anschluss an das Verfahren erlassen wurde, das zur Versagung der Flücht­lings­ei­gen­schaft und zur Feststellung der Rechts­wid­rigkeit ihres Aufenthalts führte, so dass diese Entscheidung die logische und notwendige Fortsetzung davon ist und unter Wahrung ihres Rechts auf Anhörung ergangen ist. Da Frau Mukarubega während des gesamten Verfahrens die Möglichkeit hatte, ihre Auffassung darzulegen, konnte sie ihren Standpunkt zur Rechts­wid­rigkeit ihres Aufenthalts sachdienlich und wirksam vortragen, so dass keine Veranlassung bestand, sie vor Erlass der ersten Rückkeh­rent­scheidung speziell zu dieser Entscheidung anzuhören. Die Verpflichtung, den Betroffenen speziell zur Rückkeh­rent­scheidung anzuhören, würde das Verwal­tungs­ver­fahren unnötig verzögern, ohne den Rechtsschutz für ihn zu erhöhen.

Zweite Rückkeh­rent­scheidung wurde von nationalen Behörden unter Wahrung des Rechts auf Anhörung erlassen

Hinsichtlich der zweiten Rückkeh­rent­scheidung (von 2013) führt der Gerichtshof aus, dass Frau Mukarubega während des Polizei­ge­wahrsams u. a. zu ihrem Aufent­haltsrecht in Frankreich angehört wurde und dass sie die Möglichkeit zu einer umfassenden Anhörung – über den bloßen Tatbestand ihres illegalen Aufenthalts hinaus – wahrnehmen konnte. Da die zweite Rückkeh­rent­scheidung kurz nach der Anhörung von Frau Mukarubega zur Rechts­wid­rigkeit ihres Aufenthalts erlassen wurde und diese ihren Standpunkt hierzu sachdienlich und wirksam vortragen konnte, stellt der Gerichtshof fest, dass die nationalen Behörden die zweite Rückkeh­rent­scheidung unter Wahrung des Rechts auf Anhörung erlassen haben.

Erläuterungen

* Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Dritt­staats­an­ge­höriger (ABl. L 348, S. 98).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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