22.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil04.09.2014

Traktorunfall mit Personenschaden im Hof eines Bauern muss von Schutz der Haft­pflicht­versicherung gedeckt seinEuGH klärt Schutzumfang für Opfer, die bei Unfällen mit Fahrzeugen verletzt wurden

Von einer Kraftfahrzeug-Haft­pflicht­versicherung müssen alle Unfälle gedeckt sein, die bei der Benutzung eines Fahrzeugs, die dessen gewöhnlicher Funktion entspricht, verursacht wurden. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.

Eine Richtlinie der Union* sieht u. a. vor, dass jeder Mitgliedstaat alle zweckdienlichen Maßnahmen trifft, um sicherzustellen, dass die Haftpflicht bei Fahrzeugen mit gewöhnlichem Standort im Inland durch eine Versicherung gedeckt ist. Die Schadensdeckung sowie die Modalitäten dieser Versicherung werden im Rahmen dieser Maßnahmen bestimmt. Nach dem slowenischen Kraftfahrzeug-Haftpflicht­gesetz hat der Eigentümer eines Fahrzeugs einen Vertrag über eine Haftpflichtversicherung für Schäden abzuschließen, die er Dritten bei der Benutzung des Fahrzeugs verursacht: Tod, Körper­ver­letzung, Beein­träch­tigung der Gesundheit oder Zerstörung und Beschädigung von Sachen; ausgenommen ist die Haftung für Schäden an Sachen, die er zum Transport übernommen hat.

Geschädigter Klage gegen Versicherung des Trakto­rei­gen­tümers

Im August 2007 stieß ein Traktor mit Anhänger während des Einbringens von Heuballen auf den Dachboden einer Scheune bei einem Rückwärts­manöver im Hof des Bauernhofs, mit dem der Anhänger in die Scheune gelenkt werden sollte, gegen die Leiter, auf der Herr Vnuk stand, und verursachte dessen Sturz. Herr Vnuk erhob gegen Zavarovalnica Triglav, die Versi­che­rungs­ge­sell­schaft, bei der der Trakto­rei­gentümer einen Haftpflicht­ver­si­che­rungs­vertrag abgeschlossen hatte, Klage auf Zahlung eines Betrags von 15 944,10 Euro als Ersatz für seinen Nicht­ver­mö­gens­schaden nebst Verzugszinsen.

Nationales Gericht weist Klage ab

Diese Klage wurde mit der Begründung abgewiesen, dass die Kraftfahrzeug-Haftpflicht­ver­si­che­rungs­police den Schaden decke, der bei der Benutzung eines Traktors als Transportmittel entstanden sei, nicht aber jenen, der bei der Nutzung des Traktors als Arbeits- oder Antrie­bs­ma­schine verursacht worden sei.

Gericht erbittet Auslegung des EuGH zur Definition "Benutzung eines Fahrzeugs"

Das Vrhovno sodišèe (Oberster Gerichtshof, Slowenien), das mit dem Rechtsstreit im Revisi­ons­ver­fahren befasst wurde, hat dem Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob unter den in der Richtlinie** verwendeten Begriff der "Benutzung eines Fahrzeugs" das Manöver fällt, das ein Traktor im Hof eines Bauernhofs ausführt, um seinen Anhänger in eine Scheune zu fahren.

Definition des Begriffs "Fahrzeug" im Sinne der Richtlinie ist unabhängig vom Gebrauch

In seinem Urteil merkt der Gerichtshof zunächst an, dass die Definition des Begriffs "Fahrzeug" im Sinne der Richtlinie unabhängig von dem Gebrauch ist, der vom jeweiligen Fahrzeug gemacht wird oder werden kann. Daher ändert die Tatsache, dass ein Traktor, der eventuell einen Anhänger führt, unter bestimmten Umständen als landwirt­schaftliche Arbeitsmaschine benutzt werden kann, nichts an der Feststellung, dass ein solches Fahrzeug diesem Begriff "Fahrzeug" entspricht.

Jedoch unterliegt ein Traktor mit Anhänger der Haftpflicht nur, wenn er seinen gewöhnlichen Standort im Gebiet eines Mitgliedstaats hat, der diese Art von Fahrzeug nicht von der Haftpflicht ausgenommen hat.

Definition des Begriffs "Benutzung eines Fahrzeugs" darf nicht dem Ermessen des Mitgliedstaats überlassen werden

Als Nächstes weist der Gerichtshof zur Frage, ob das Manöver, das ein Traktor im Hof eines Bauernhofs ausführt, um seinen Anhänger in eine Scheune zu fahren, unter den Begriff der "Benutzung eines Fahrzeugs" zu subsumieren ist, darauf hin, dass dieser Begriff nicht dem Ermessen der einzelnen Mitgliedstaaten überlassen werden darf.

Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts müssen in der gesamten EU autonome und einheitliche Auslegung erhalten

Aus den Erfordernissen sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleich­heits­satzes folgt nämlich, dass die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Europäischen Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen, die nicht nur unter Berück­sich­tigung des Wortlauts, sondern auch unter Berück­sich­tigung des Kontexts der Vorschrift und der Ziele gefunden werden muss, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden.

Der Gerichtshof erläutert in diesem Rahmen, dass die Entwicklung der Unionsregelung im Bereich der Haftpflicht­ver­si­cherung zeigt, dass das Ziel des Schutzes der Opfer von Unfällen, die durch Fahrzeuge verursacht werden, vom Unions­ge­setzgeber ständig verfolgt und verstärkt wurde. Daher kann nicht angenommen werden, dass der Unions­ge­setzgeber Personen, die durch einen Unfall geschädigt werden, der durch ein Fahrzeug bei dessen Benutzung verursacht wird, von diesem Schutz ausschließen wollte, sofern die Benutzung der gewöhnlichen Funktion dieses Fahrzeugs entspricht.

Begriff "Benutzung eines Fahrzeugs" umfasst jede, dessen gewöhnlicher Funktion entsprechende Benutzung eines Fahrzeugs

Schließlich weist der Gerichtshof darauf hin, dass Slowenien keine Art von Fahrzeug von der Haftpflicht­ver­si­cherung ausgenommen hat. Außerdem wurde der Unfall, der zu dem konkreten Rechtsstreit geführt hat, von einem Fahrzeug verursacht, das im Rückwärtsgang fuhr, um an eine bestimmte Stelle zu gelangen, und scheint somit durch eine Benutzung eines Fahrzeugs verursacht worden zu sein, die dessen gewöhnlicher Funktion entsprach, was zu prüfen jedoch Sache des vorlegenden Gerichts ist. Der Gerichtshof kommt zum Ergebnis, dass der Begriff der "Benutzung eines Fahrzeugs" im Sinne der Richtlinie jede Benutzung eines Fahrzeugs umfasst, die dessen gewöhnlicher Funktion entspricht. Ein Manöver wie das im vorliegenden Fall, das ein Traktor im Hof eines Bauernhofs ausführt, um seinen Anhänger in eine Scheune zu fahren, könnte somit unter diesen Begriff fallen, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Erläuterungen

* Richtlinie 72/166/EWG des Rates vom 24. April 1972 betreffend die Angleichung der Rechts­vor­schriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflicht­ver­si­cherung und der Kontrolle der entsprechenden Versi­che­rungs­pflicht (ABl. L 103, S. 1).

** In der slowenischen und einigen anderen Sprachfassungen.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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