23.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil15.01.2013

Bau einer Mülldeponie: Öffentlichkeit hat Anspruch auf Informationen über Bauprojekte mit erheblichen Auswirkungen auf die UmweltVorenthalten von Informationen kann nicht mit Berufung auf Schutz von Geschäfts- oder Betrie­bs­ge­heim­nissen gerechtfertigt werden

Der Öffentlichkeit muss dann Zugang zu einer städtebaulichen Entscheidung gewährt werden, wenn der Standort der Anlage mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt verbunden ist. Die Bekanntgabe einer solchen Entscheidung an die betroffene Öffentlichkeit darf nicht mit Berufung auf den Schutz von Geschäfts­ge­heim­nissen abgelehnt werden. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.

Nach dem Übereinkommen von Aarhus* muss, wenn ein die Umwelt betreffendes Entschei­dungs­ver­fahren in Gang gesetzt wird, die betroffene Öffentlichkeit an diesem Verfahren von seiner Einleitung an beteiligt werden, d. h. zu einem Zeitpunkt, zu dem alle Optionen noch offen sind und eine effektive Öffent­lich­keits­be­tei­ligung stattfinden kann. Darüber hinaus muss die Öffentlichkeit grundsätzlich gebührenfrei Zugang zu allen für das Entschei­dungs­ver­fahren relevanten Informationen haben und weiter die Möglichkeit besitzen, die Rechtmäßigkeit der in dem Verfahren erlassenen Entscheidungen vor Gericht anzufechten.

Behörde genehmigte Bau und Betrieb der Abfalldeponie, ohne die Öffentlichkeit zu informieren

Im Jahr 2006 erließ die Kreisbaubehörde Bratislava (Slowakei) eine städtebauliche Entscheidung über den Standort einer Abfalldeponie, die in einer als „Nová jama“ (Neue Grube) bezeichneten Tongrube einer Ziegelei errichtet werden sollte. Anschließend leitete die slowakische Umwelt­in­spektion ein Geneh­mi­gungs­ver­fahren ein, in dem Privatpersonen, die in der Stadt Pezinok wohnen, die Veröf­fent­lichung dieser städtebaulichen Entscheidung beantragten. Die genannte Behörde genehmigte den Bau und Betrieb der Deponie, ohne diese Entscheidung vorher veröffentlicht zu haben. Auf einen von den Betroffenen bei der Verwaltung eingelegten Widerspruch hin wurde die Geneh­mi­gungs­ent­scheidung von der zweitin­sta­nz­lichen Umwelt­schutz­behörde bestätigt, nachdem diese die fragliche städtebauliche Entscheidung veröffentlicht hatte.

Nationales Gericht erbittet Vorab­ent­scheidung des EuGH zur Reichweite des Rechts der Öffentlichkeit

Die beteiligten Bürger erhoben daraufhin Klage vor den slowakischen Gerichten. Der Oberste Gerichtshof der Slowakischen Republik (Najvyšší súd Slovenskej republiky) hat in diesem Gerichts­ver­fahren den Gerichtshof der Europäischen Union um eine Klärung der Frage ersucht, welche Reichweite das Recht der Öffentlichkeit besitzt, an Geneh­mi­gungs­ver­fahren für Vorhaben mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt beteiligt zu werden.

Nationales Gericht war zum Vorab­ent­schei­dungs­er­suchen verpflichtet

In seinem Urteil weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass eine nationale Verfah­rens­vor­schrift nicht der Befugnis der nationalen Gerichte entgegenstehen kann, den Gerichtshof mit einem Vorab­ent­schei­dungs­er­suchen zu befassen, wenn sie Zweifel an der Auslegung des Unionsrechts haben. Das nationale Gericht behält somit diese Befugnis – selbst wenn eine nationale Vorschrift es dazu verpflichtet, der Rechts­auf­fassung des slowakischen Verfas­sungs­ge­richtshofs zu folgen –, und es hat die von dem Verfas­sungs­ge­richtshof vorgenommene Beurteilung unbeachtet zu lassen, wenn sich diese als unions­rechts­widrig erwiese. Als Oberster Gerichtshof ist der Najvyšší súd Slovenskej republiky sogar verpflichtet, ein Vorab­ent­schei­dungs­er­suchen an den Gerichtshof zu richten.

Öffentlichkeit hätte Zugang zu städtebaulicher Entscheidung erhalten müssen

Der Gerichtshof stellt sodann fest, dass die städtebauliche Entscheidung über den Standort der fraglichen Abfalldeponie eine der Maßnahmen darstellt, auf deren Grundlage die Endentscheidung über die Genehmigung dieser Anlage erlassen wird. Zudem enthält diese städtebauliche Entscheidung Informationen über die Auswirkungen des Vorhabens auf die Umwelt, über die Auflagen an den Betreiber zur Begrenzung der Umweltbelastung, über die von den am städtebaulichen Verfahren Beteiligten erhobenen Einwendungen und über die Gründe, aus denen sich die von der zuständigen Behörde beim Erlass dieser Entscheidung vorgenommene Beurteilung ergibt. Die städtebauliche Entscheidung enthält damit relevante Informationen für das Geneh­mi­gungs­ver­fahren, zu denen die betroffene Öffentlichkeit kraft des Übereinkommens von Aarhus und der Richtlinie über die Vermeidung und Verminderung der Umwelt­ver­schmut­zung**, durch die die Vorschriften des Übereinkommens von Aarhus übernommen wurden, Zugang haben muss. In diesem Zusammenhang stellt der Gerichtshof klar, dass die Ablehnung, der Öffentlichkeit die städtebauliche Entscheidung zur Verfügung zu stellen, nicht mit einer Berufung auf den Schutz von Geschäfts- oder Betrie­bs­ge­heim­nissen gerechtfertigt werden kann.

Informationen müssen Öffentlichkeit nicht zwingen vom Stadium des erstin­sta­nz­lichen Verwal­tungs­ver­fahrens an zur Verfügung stehen

Der Gerichtshof hebt weiter hervor, dass der betroffenen Öffentlichkeit sämtliche relevanten Informationen von dem Stadium des erstin­sta­nz­lichen Verwal­tungs­ver­fahrens an zur Verfügung stehen müssen, noch bevor eine erste Entscheidung ergeht und soweit diese Informationen in dieser Verfah­ren­s­etappe bereits verfügbar sind. Jedoch steht das Unionsrecht nicht der Möglichkeit entgegen, dass eine nicht gerechtfertigte Ablehnung, der betroffenen Öffentlichkeit eine städtebauliche Entscheidung bereits im erstin­sta­nz­lichen Verwal­tungs­ver­fahren zugänglich zu machen, im zweitin­sta­nz­lichen Verwal­tungs­ver­fahren geheilt werden kann, sofern zu diesem Zeitpunkt alle Optionen noch offen sind und noch eine im Hinblick auf den Ausgang des Entschei­dungs­ver­fahrens effektive Öffent­lich­keits­be­tei­ligung möglich ist.

Öffentlichkeit hat Recht auf Beantragung einstweiliger Anordnungen zur Vermeidung von Umwelt­ver­schmut­zungen

Der Gerichtshof unterstreicht ferner, dass der Zweck der Richtlinie, der in der Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung besteht, nicht erreicht werden könnte, wenn nicht verhindert werden könnte, dass eine Anlage, die möglicherweise unter Verstoß gegen die Richtlinie genehmigt wurde, weiterhin bis zum Erlass einer endgültigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit dieser Genehmigung betrieben wird. Folglich verlangt die Richtlinie, dass die Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit das Recht haben, einstweilige Anordnungen zu beantragen, mit denen solche Umwelt­ver­schmut­zungen vermieden werden können, wozu die Anordnung einer Aussetzung der Vollziehung der strittigen Genehmigung gehören kann.

EuGH verneint Eingriff in Eigentumsrecht des Betreibers

Schließlich stellt der Gerichtshof fest, dass die Entscheidung eines nationalen Gerichts, mit der eine unter Verstoß gegen die Richtlinie erteilte Genehmigung aufgehoben wird, als solche nicht geeignet ist, einen nicht gerecht­fer­tigten Eingriff in das Eigentumsrecht des Betreibers darzustellen.

Erläuterungen

* Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffent­lich­keits­be­tei­ligung an Entschei­dungs­ver­fahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltan­ge­le­gen­heiten, unterzeichnet in Aarhus am 25. Juni 1998. Dieses Übereinkommen wurde im Namen der Gemeinschaft genehmigt durch den Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17. Februar 2005 (ABl. L 124, S. 1).

** Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 24. September 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umwelt­ver­schmutzung (ABl. L 257, S. 26) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 166/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Januar 2006 (ABl. L 33, S. 1) geänderten Fassung.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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