23.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil14.02.2012

Beteiligung am Gesetz­ge­bungs­ver­fahren: Ministerium darf Öffentlichkeit Zugang zu Umwelt­in­for­ma­tionen verweigernNach Abschluss des Gesetz­ge­bungs­ver­fahrens erlischt Ausnah­me­re­gelung

Ein Ministerium darf der Öffentlichkeit den Zugang zu Umwelt­in­for­ma­tionen verweigern, soweit diese Informationen einem Gesetz­ge­bungs­ver­fahren zuzurechnen sind, an dem das Ministerium beteiligt ist. Diese Ausnahme findet jedoch keine Anwendung mehr, wenn das Gesetz­ge­bungs­ver­fahren abgeschlossen ist. Dies geht aus einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union hervor.

Die Richtlinie 2003/4*, mit der das Übereinkommen von Aarhus** ins Unionsrecht umgesetzt wird, soll Bürgern und Unternehmen ein Recht auf Zugang zu bei den Behörden vorhandenen Umwelt­in­for­ma­tionen gewährleisten, ohne dass für den Zugang ein Interesse geltend gemacht werden muss. Die Richtlinie räumt den Mitgliedstaaten jedoch die Möglichkeit ein, dieses Recht im Hinblick auf „Gremien oder Einrichtungen …, soweit sie in … gesetzgebender Eigenschaft handeln“, auszuschließen. Im Übrigen erlaubt die Richtlinie den Mitgliedstaaten, in bestimmten Fällen einen Antrag auf Umwelt­in­for­ma­tionen abzulehnen, u. a. dann, wenn deren Bekanntgabe negative Auswirkungen auf die Vertraulichkeit der Beratungen von Behörden hätte, vorausgesetzt, eine derartige Vertraulichkeit ist gesetzlich vorgesehen. Die Richtlinie 2003/4 ist mit dem Umwelt­in­for­ma­ti­o­ns­gesetz in deutsches Recht umgesetzt worden.

Glasunternehmen beantragt Zugang zu minis­te­ri­um­sin­ternen Vermerken und Stellungnahmen mit Umweltbundesamt

Die Flachglas Torgau GmbH ist ein Glas herstellendes Unternehmen, das am Handel mit Treib­h­aus­ga­s­e­mis­si­ons­zer­ti­fikaten teilnimmt. Sie möchte Auskünfte darüber erhalten, unter welchen Umständen das für den Handel mit diesen Zertifikaten zuständige Umweltbundesamt in den Jahren 2005 bis 2007 Entscheidungen über deren Zuteilung erlassen hat. Zu diesem Zweck ersuchte die Flachglas Torgau GmbH das Bundes­mi­nis­terium für Umwelt, Naturschutz und Reaktor­si­cherheit um die Übermittlung von Informationen sowohl über das Gesetz­ge­bungs­ver­fahren, in dem das Gesetz über den nationalen Zuteilungsplan für Treibhausgas-Emissi­ons­be­rech­ti­gungen in der Zutei­lungs­periode 2005 bis 2007 (Zutei­lungs­gesetz 2007) erlassen wurde, als auch über die Umsetzung dieses Gesetzes. Die Flachglas Torgau GmbH beantragte insbesondere Zugang zu minis­te­ri­um­sin­ternen Vermerken und Stellungnahmen sowie zum Schriftverkehr, einschließlich des E-Mail-Verkehrs, mit dem Umweltbundesamt.

BVerwG erbittet Präzisierung durch EuGH zur Einschränkung des Rechts der Öffentlichkeit auf Zugang zu Umwelt­in­for­ma­tionen

Das ersuchte Ministerium lehnte diesen Antrag ab. Es war der Ansicht, dass es wegen seiner Beteiligung am Gesetz­ge­bungs­ver­fahren von der Pflicht zur Übermittlung von Informationen hierüber befreit sei und die Informationen über die Umsetzung des Zutei­lungs­ge­setzes 2007 unter die Vertraulichkeit der Beratungen von Behörden fielen. Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht, das über den Rechtsstreit in letzter Instanz zu entscheiden hat, hat den Gerichtshof ersucht, in diesem Zusammenhang zu präzisieren, in welchem Umfang die Mitgliedstaaten das Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Umwelt­in­for­ma­tionen einschränken können.

Ministerien dürfen bei Beteiligung am Gesetz­ge­bungs­ver­fahren der Öffentlichkeit den Zugang zu Umwelt­in­for­ma­tionen verweigern

Dem Gerichtshof zufolge dürfen die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ministerien der Öffentlichkeit den Zugang zu Umwelt­in­for­ma­tionen verweigern, soweit sie am Gesetz­ge­bungs­ver­fahren beteiligt sind. Denn in einem solchen Fall können die Mitgliedstaaten von der Möglichkeit Gebrauch machen, das Zugangsrecht im Hinblick auf „Gremien oder Einrichtungen …, soweit sie in … gesetzgebender Eigenschaft handeln“, auszuschließen. Dadurch soll den Mitgliedstaaten ermöglicht werden, geeignete Vorschriften zu erlassen, um den ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens zum Erlass von Gesetzen zu gewährleisten, wobei berücksichtigt wird, dass in den jeweiligen Mitgliedstaaten die Information der Bürger im Rahmen des Gesetz­ge­bungs­ver­fahrens normalerweise hinreichend gewährleistet ist.

Nach Abschluss des Gesetz­ge­bungs­ver­fahren darf sich beteiligtes Ministerium nicht mehr auf Ausnahme berufen

Sobald aber das Gesetz­ge­bungs­ver­fahren (mit der Verkündung des Gesetzes) abgeschlossen ist, kann sich das daran beteiligte Ministerium nicht mehr auf diese Ausnahme berufen, da die Zurver­fü­gung­s­tellung von Umwelt­in­for­ma­tionen den ordnungsgemäßen Ablauf dieses Verfahrens grundsätzlich nicht mehr beeinträchtigen kann. Im Übrigen sind die diesbezüglichen Dokumente und insbesondere die Parla­ments­be­richte im Allgemeinen öffentlich zugänglich.

Es ist hingegen nicht ausgeschlossen, dass das Ministerium die Übermittlung dieser Informationen aus anderen vom Unionsrecht anerkannten Gründen verweigern kann.

Bei negativer Auswirkung auf Vertraulichkeit der Beratungen von Behörden darf Antrag auf Zugang zu Umwelt­in­for­ma­tionen abgelehnt werden

So können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass ein Antrag auf Zugang zu Umwelt­in­for­ma­tionen abgelehnt wird, wenn deren Bekanntgabe negative Auswirkungen auf die Vertraulichkeit der Beratungen von Behörden hätte, sofern eine derartige Vertraulichkeit „gesetzlich vorgesehen“ ist. Hierzu stellt der Gerichtshof fest, dass der Unions­ge­setzgeber ganz offensichtlich gewollt hat, dass es im nationalen Recht eine ausdrückliche Regel gibt. Es ist zwar nicht erforderlich, dass sämtliche Bedingungen dieses Ableh­nungs­grundes im Detail festgelegt sind; es muss jedoch ausgeschlossen werden, dass die Behörden die Umstände, unter denen die Vertraulichkeit entge­gen­ge­halten werden kann, einseitig bestimmen. Das erfordert u. a., dass das nationale Recht die Reichweite des Begriffs der „Beratungen“ von Behörden, der auf die abschließenden Etappen des Entschei­dungs­pro­zesses der Behörden verweist, klar festlegt.

Begriff der Beratungen muss im nationalen Recht klar bestimmt werden

Der Gerichtshof gelangt zu dem Ergebnis, dass die in der Richtlinie vorgesehene Voraussetzung, dass die Vertraulichkeit der Beratungen von Behörden „gesetzlich vorgesehen“ sein muss, als erfüllt angesehen werden kann, wenn es im nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaats eine Regel gibt, die allgemein bestimmt, dass die Vertraulichkeit der Beratungen von Behörden einen Grund für die Ablehnung des Zugangs zu Umwelt­in­for­ma­tionen, die bei diesen Behörden vorhanden sind, darstellt, sofern das nationale Recht den Begriff der Beratungen klar bestimmt.

Vorliegende Interessen sind in jedem Einzelfall gegeneinander abzuwägen

Der Gerichtshof weist ferner darauf hin, dass eine Behörde, die sich für die Ablehnung eines Antrags auf Zugang zu Umwelt­in­for­ma­tionen auf die Vertraulichkeit ihrer Beratungen berufen möchte, die vorliegenden Interessen in jedem Einzelfall gegeneinander abzuwägen hat.

Erläuterungen

* Richtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umwelt­in­for­ma­tionen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates (ABl. L 41, S. 26).

** Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffent­lich­keits­be­tei­ligung an Entschei­dungs­ver­fahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltan­ge­le­gen­heiten, das am 25. Juni 1998 unterzeichnet und mit Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17. Februar 2005 (ABl. L 124, S. 1) im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt wurde.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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