22.11.2024
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Dokument-Nr. 12276

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil08.09.2011

EuGH: Nationale Regelungen für Lärmpegel-Grenzwerte dürfen Luftver­kehrs­ge­sell­schaften nicht zur Aufgabe ihrer wirtschaft­lichen Tätigkeit zwingenDurch das Unionsrecht aufgestellten Voraussetzungen dürfen bei Erlass nationaler Regelungen nicht außer Acht gelassen werden

EU-Mitgliedstaaten ist es grundsätzlich gestattet, Grenzwerte für den Lärmpegel am Boden festzulegen, die Luftver­kehrs­ge­sell­schaften beim Überflug von Gebieten in der Umgebung eines Flughafens einhalten müssen. Falls eine solche Regelung jedoch zur Folge hat, dass Luftver­kehrs­ge­sell­schaften gezwungen sind, ihre wirtschaftliche Tätigkeit aufzugeben, darf sie nur unter Beachtung der durch das Unionsrecht aufgestellten Voraussetzungen erlassen werden. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.

Zur Verringerung von Lärmbe­läs­ti­gungen durch Flugzeuge auf Flughäfen der Union sind die Mitgliedstaaten nach der Richtlinie 2002/30* berechtigt, so genannte „Betrie­bs­be­schrän­kungen“ zu erlassen. Diese können nur dann erlassen werden, wenn die bescheinigten Lärmpegel überschritten werden, wobei diese Lärmpegel an der Quelle, d. h. am Flugzeug selbst, gemessen werden**.

Sachverhalt

Der Flughafen Brüssel-National (Belgien) befindet sich im Gebiet der Region Flandern, doch führen die dort abgewickelten Flüge auch in geringer Höhe über die Region Brüssel-Hauptstadt. Der vorliegenden Sache liegt ein Rechtsstreit zwischen der European Air Transport (EAT) – einer auf Frachtflüge spezialisierten Luftver­kehrs­ge­sell­schaft (DHL-Gruppe) – auf der einen und der Region Brüssel-Hauptstadt (Belgien) sowie dem Umweltkollegium dieser Region auf der anderen Seite zugrunde. Am 19. Oktober 2007 setzte die zuständige Regionalbehörde gegen EAT eine Geldbuße von 56.113 Euro wegen der nächtlichen Überschreitung der nach der regionalen Brüsseler Regelung vorgesehenen Grenzwerte fest. Nach dieser Regelung werden die Grenzwerte am Boden gemessen.

European Air Transport hält Regelung für nicht vereinbar mit dem Unionsrecht

EAT hat gegen diese Entscheidung Klage erhoben. Sie vertritt insbesondere die Auffassung, dass die regionale Regelung, gegen die sie verstoßen haben solle, dem Unionsrecht zuwiderlaufe, weil sie auf Grenzwerten für den Lärmpegel am Boden (und nicht an der Quelle) beruhe, was gegen die Richtlinie 2002/30 verstoße.

Nationales Gericht legt EuGH Frage zur Zulässigkeit der Ahndung von Lärmbe­läs­ti­gungen mittels regionaler Brüsseler Regelung

In diesem Zusammenhang hat der mit dem Rechtsstreit befasste Conseil d’État (Belgien) beschlossen, dem Gerichtshof eine Frage zur Vorab­ent­scheidung vorzulegen. Das belgische Gericht möchte vom Gerichtshof wissen, ob die regionale Brüsseler Regelung zur Ahndung von Lärmbe­läs­ti­gungen durch den Flugverkehr als eine „Betrie­bs­be­schränkung“ anzusehen ist, die den Vorschriften der Richtlinie 2002/30 und insbesondere der Methode unterliegt, nach der der Lärmpegel an der Quelle gemessen wird.

Ausgewogener Ansatz zur Bekämpfung von Fluglärm entscheidend

Der Gerichtshof weist in seinem Urteil zunächst darauf hin, dass die Union hinsichtlich der Bekämpfung von Fluglärm von einem ausgewogenen Ansatz ausgeht. Dieser von der Internationalen Zivil­luft­fahr­t­or­ga­ni­sation (ICAO) festgelegte Ansatz umfasst vier Hauptelemente und erfordert eine sorgfältige Prüfung der verschiedenen Lärmmin­de­rungs­mög­lich­keiten, zu denen die Reduzierung des Fluglärms an der Quelle, Maßnahmen zur Flächen­nut­zungs­planung und -verwaltung, „lärmmindernde“ Betrie­bs­ver­fahren sowie Betrie­bs­be­schrän­kungen gehören. Dieser ausgewogene Ansatz setzt voraus, dass Betrie­bs­be­schrän­kungen nur dann zulässig sind, wenn die Ziele der Richtlinie 2002/30 nicht durch sonstige Lärmschutz­maß­nahmen erreicht werden können.

Umwelt­schutz­re­gelung kann nicht mit „Betrie­bs­be­schränkung“ gleichgesetzt werden

Der Gerichtshof führt hierzu aus, dass eine „Betrie­bs­be­schränkung“ im Sinne der Richtlinie 2002/30 eine vollständige oder zeitweilige Verbotsmaßnahme darstellt, die den Zugang eines Flugzeugs zu einem Flughafen eines Mitgliedstaats der Union unterbindet. Eine Umwelt­schutz­re­gelung wie die hier in Rede stehende, die Grenzwerte für den am Boden gemessenen Lärmpegel vorschreibt, die beim Überflug von Gebieten in der Umgebung eines Flughafens einzuhalten sind, stellt daher als solche keine „Betrie­bs­be­schränkung“ dar, da sie nicht den Zugang zum betreffenden Flughafen verwehrt.

Bei zu streng festgesetzten Grenzwerten kann Umwelt­schutz­re­gelung auch "Betrie­bs­be­schränkung" darstellen

Der Gerichtshof fügt allerdings hinzu, dass die Anwendung einer Methode, mit der der Lärmpegel eines überfliegenden Luftfahrzeugs am Boden gemessen wird, zwar Teil eines ausgewogenen Ansatzes sein kann, doch ist nicht auszuschließen, dass eine Umwelt­schutz­re­gelung der im vorliegenden Fall in Rede stehenden Art aufgrund des maßgeblichen wirtschaft­lichen, technischen und rechtlichen Zusammenhangs die gleiche Wirkung wie ein Zugangsverbot zu einem Flughafen hat. Wenn nämlich die in einer nationalen Regelung vorge­schriebenen Grenzwerte so streng sind, dass die Betreiber von Luftfahrzeugen gezwungen sind, ihre wirtschaftliche Tätigkeit aufzugeben, dann läuft eine derartige Regelung auf ein Zugangsverbot hinaus und stellt eine „Betrie­bs­be­schränkung“ im Sinne der Richtlinie 2002/30 dar. Deshalb müsste eine derartige Regelung unter Beachtung der in der Richtlinie aufgestellten Voraussetzungen erlassen werden.

Es ist Sache des belgischen Gerichts, zu prüfen, ob die von der Region Brüssel-Hauptstadt erlassenen Maßnahmen derartige Wirkungen haben.

Erläuterungen

* Richtlinie 2002/30/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. März 2002 über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betrie­bs­be­schrän­kungen auf Flughäfen der Gemeinschaft (ABl. L 85, S. 40).

** Genauer gesagt sind nach der Richtlinie 2002/30/EG im Wesentlichen die bescheinigten Lärmpegel eines Flugzeugs zu berücksichtigen. Diese Lärmbe­schei­nigung eines Flugzeugs wird anhand eines theoretischen Referenzsystems aus meteo­ro­lo­gischen, geophy­si­ka­lischen und betrieblichen Gegebenheiten erstellt. Dabei werden Parameter wie der Meeresspiegel, die Umgebung­s­tem­peratur, der Feuch­tig­keitsgrad, anerkannte Bodenmerkmale, die Höhe des Mikrofons sowie die Flugroute und Flugparameter einbezogen.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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