18.10.2024
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Dokument-Nr. 12290

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Bundespatentgericht Beschluss03.08.2011

"Ficken" kann als Marke eingetragen werden - Schutzhindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 5 MarkenG steht Eintragung nicht entgegenBunde­s­pa­ten­gericht sieht keinen Verstoß gegen die guten Sitten

"Ficken" kann als Marke eingetragen werden. Der Begriff ist in der Alltagssprache angekommen und hat sogar Einzug im "DUDEN" gehalten. "Ficken" ist auch in Titeln vieler Theaterstücke, Bücher und Filme zu finden. Dies stellte das Bunde­s­pa­ten­gericht fest.

Ein schwäbischer Schnaps­her­steller stritt mit dem Deutschen Patent- und Markenamt um die Eintragung der Marke "Ficken". Er hatte sie u.a. angemeldet für die Eintragung in die Klasse 33: alkoholische Getränke (ausgenommen Biere).

Die Markenstelle wies die Anmeldung der Marke "Ficken" jedoch gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 5 MarkenG mit zwei Beschlüssen zurück, weil die Eintragung des Wortes "Ficken" gegen die guten Sitten verstoße.

Zur Begründung führte das Amt aus, das angemeldete Markenwort bestehe in der vulgär­sprach­lichen Bezeichnung von "mit jemandem den Geschlechtsakt vollziehen". Zwar sei es vielfach im Alltag, insbesondere in der Jugendsprache zu finden. Gleichwohl werde es von den angesprochenen Verkehrskreisen, insbesondere von Vertretern älterer Generationen, als Zeichen für die Verrohung des Sprachgebrauchs, als störend und abstoßend empfunden. Der in der Entscheidung BPatG PAVIS PROMA 26 W (pat) 244/02 - Ficke zum Ausdruck gekommenen Wertung vermöge die Markenstelle nicht zu folgen. Beide Markenworte seien auch deshalb nicht vergleichbar, weil "Ficken" im Unterschied zu "Ficke" weniger als Eigenname in Betracht komme. Die beanspruchten Waren richteten sich an breite Verkehrskreise, u. a. an Kinder und Jugendliche. Eine staatliche Monopolisierung dieses Wortes werde als gesell­schaftlich anstößig empfunden.

Marke "Ficken" verstößt nicht gegen die guten Sitten

Dieser Argumentation folgte das Bunde­s­pa­ten­gericht nicht. Der Eintragung der angemeldeten Marke stehe das Schutzhindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 5 MarkenG nicht entgegen. Die angemeldete Marke verstoße nicht gegen die guten Sitten, stellte das Bunde­s­pa­tent­gericht fest. Es hob daher die abweisenden Beschlüsse der Markenstelle für die Klasse 33 auf.

Gegen die guten Sitten verstoßen Marken, die das Empfinden eines beachtlichen Teils der beteiligten Verkehrskreise zu verletzen geeignet sind, indem sie sittlich, politisch oder religiös anstößig wirken oder eine grobe Geschmacks­ver­letzung enthalten (BGH GRUR 1964, 136, 137 - Schweizer). Maßgeblich sei hierbei die Auffassung des angesprochenen Publikums in seiner Gesamtheit, wobei die weder übertrieben laxe noch besonders feinfühlige Meinung des durch­schnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durch­schnitts­ver­brauchers entscheidet (BPatG PAVIS PROMA - 24 W (pat) 140/01 - Dalai Lama; BPatG Mitt. 1983, 156 - Schoasdreiber).

Sittliche Anstößigkeit ist im Hinblick auf die Waren zu beurteilen

Die sittliche Anstößigkeit oder grobe Geschmack­lo­sigkeit sei stets im Hinblick auf die betroffenen Waren zu beurteilen. Dabei dürfe nicht unberück­sichtigt bleiben, dass die maßgebliche Verkehr­s­auf­fassung von der forts­chrei­tenden Liberalisierung der Anschauungen über Sitte und Moral geprägt sei, führte das Bunde­s­pa­tent­gericht aus. Soweit allerdings das Scham- oder Sittlich­keits­gefühl eines wesentlichen Teils des Verkehrs durch geschlechts­be­zogene Angaben unerträglich verletzt werde, sei auch weiterhin von der Schut­z­un­fä­higkeit der Marke auszugehen (Ströbele/Hacker, Markengesetz, 9. Auflage, § 8 Rdn. 501).

Marke "Ficken" ist kein guter Geschmack - aber eintra­gungsfähig

Bei Zugrundelegung dieses Prüfungs­maßstabs sei die angemeldete Marke, die ihrem Wortsinn nach eine derbe Bezeichnung zum Vollzug des Geschlechts­verkehrs darstelle, noch eintra­gungsfähig. Sie genüge allerdings kaum den Anforderungen des guten Geschmacks; dieser Umstand für sich betrachtet sei jedoch für eine Schutzversagung gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 5 MarkenG regelmäßig nicht ausreichend, weil eine ästhetische Prüfung auf die Anforderungen des guten Geschmacks nicht Gegenstand des marken­recht­lichen Eintra­gungs­ver­fahrens sei.

Fortschreitende Liberalisierung

Die angemeldete Marke verletze das durch die fortschreitende Liberalisierung der Anschauungen über Sitte und Moral beeinflusste Scham- und Sittlich­keits­emp­finden des All- gemeinverkehrs, an den sich die beanspruchten Waren wenden, nicht in völlig unerträglicher Art und Weise, stellte das Gericht fest.

Keine Anhaltspunkte für Verletzung des Scham- und Sittlich­keits­emp­findens der Verbraucher in völlig unerträglicher Weise

Anhaltspunkte dafür, dass das Zeichen jedoch in Verbindung mit den beanspruchten Waren geeignet wäre, das Scham- und Sittlich­keits­emp­finden eines erheblichen Teils der durch sie angesprochenen durch­schnitt­lichen allgemeinen Endverbraucher in völlig unerträglicher Art und Weise zu verletzen, konnte das Bundespatentamt nicht feststellen.

"Ficken" steht im Duden und in vielen Titeln von Theaterstücken und Büchern

Das angemeldete Markenwort sei im "DUDEN" verzeichnet (vgl. DUDEN, Deutsches Univer­sal­wör­terbuch, 3. Aufl., S. 505; DUDEN, Die deutsche Rechtschreibung, 25. Aufl. 2009, S. 435). Dem der Vulgärsprache entstammenden Markenwort bedienten sich Kommunizierende aus den verschiedensten gesell­schaft­lichen Schichten und Altersklassen: Es ist Bestandteil einer Reihe von Titeln auf deutschen Bühnen gespielter Theaterstücke sowie mehrerer Film- und Buchtitel. So wurde beispielsweise Mark Ravenhills "Shoppen & Ficken" 1998 zum Berliner Theatertreffen eingeladen und zum besten ausländischen Stück des Jahres gewählt. Werner Schwab, Autor des Theaterstückes "Mesalliance aber wir ficken uns prächtig" wurde 1992 von der Fachzeitschrift "Theater heute" zum Dramatiker des Jahres gekührt und zähle zu den meistgespielten Dramatikern deutscher Sprache, führte das Bunde­s­pa­ten­gericht aus.

Denis Fischer ist Autor des u. a. am Jungen Theater Bremen gespielten Stücks mit dem Titel "Ficken vor der Kamera". Im Jahre 2002 hat die Regisseurin Almut Getto den deutschen Film "Fickende Fische" gedreht. Die Buchvorlage des gleichnamigen Films der Regisseurin Virginie Despentes ist unter dem Titel "Baise-moi - Fick mich" in deutscher Sprache im Rowohlt-Verlag erschienen. Gleichzeitig existiert am deutschen Markt eine Mehrzahl von Buchtiteln, die, wie beispielsweise der Titel "Engel fickt man nicht" von M. Heidenreich, das angemeldete Markenwort in gramm­a­ti­ka­lischer Abwandlung enthalten.

Quelle: ra-online, Bundespatentgericht (vt/pt)

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