21.11.2024
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Dokument-Nr. 7054

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Beschluss20.10.2004Bayerisches Oberstes Landesgericht1 St RR 153/04
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • DAR 2005, 405Zeitschrift: Deutsches Autorecht (DAR), Jahrgang: 2005, Seite: 405
  • L&L 2005, 551Life & Law - hemmer Ausbildungszeitschrift (L&L), Jahrgang: 2005, Seite: 551
  • NJW 2005, 1291Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2005, Seite: 1291
  • NJW-Spezial 2005, 235 (Klaus Leipold)Zeitschrift: NJW-Spezial, Jahrgang: 2005, Seite: 235, Entscheidungsbesprechung von Klaus Leipold
  • zfs 2005, 262Zeitschrift für Schadenrecht (zfs), Jahrgang: 2005, Seite: 262
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ergänzende Informationen

Bayerisches Oberstes Landesgericht Beschluss20.10.2004

Polizist darf als "Wegelagerer" bezeichnet werdenAnlassbezogene Äußerung

Wer als Autofahrer einen Polizisten als "Wegelagerer" bezeichnet, nachdem er ihn zur Kasse gebeten hat, weil er nicht angeschnallt war, macht sich nicht wegen Beamten­be­lei­digung strafbar. Dies hat das Bayerische Oberste Landesgericht entschieden.

Im zugrunde liegenden Fall wurde eine Autofahrer bei einer Verkehr­s­kon­trolle angehalten, bei der schwer­punktmäßig u. a. das Anlegen von Gurten kontrolliert werden sollte. Das ging so von Statten, dass an einer gut einsichtbaren Stelle der Verkehr von einem Polizisten beobachtet wurde, der seine Informationen an eine Kollegin weitergab, die später die "Sünder" an einer anderen Stelle aus dem Verkehr holte. Bei der Kontrolle stritt der Autofahrer ab, nicht angeschnallt gewesen zu sein, so dass die Beamtin, den als Beobachter eingesetzten Beamten als Zeuge hinzurief. Dieser gab an, dass der Autofahrer nach seinen Beobachtungen nicht angeschnallt war. Der Autofahrer äußerte dann: "Ah, klar, dass hier kontrolliert wird. Der Wegelagerer ist ja allgemein bekannt." Er wiederholte dann einige Male den Ausdruck "Wegelagerer".

Das Amtsgericht und das Landgericht verurteilten den Autofahrer wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe. Das Oberste Bayerische Landgericht hob die Entscheidung des Landgerichts auf und sprach den Autofahrer frei.

Äußerung muss ausgelegt werden

Bei der Auslegung der festgestellten Äußerung sei von deren objektivem Sinngehalt (Erklä­rungs­inhalt) auszugehen, wie ihn ein unbefangener verständiger Dritter verstehe, führte das Gericht aus. Maßgebend sei dabei weder die subjektive Sicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvor­ein­ge­nommenen und verständigen Publikums habe. Dabei sei stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser lege ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Sei eine Äußerung nicht eindeutig, müsse ihr wahrer Erklä­rungs­inhalt aus dem Zusammenhang und ihrem Zweck erforscht werden. Dabei seien alle Begleitumstände bzw. die gesamte konkrete Situation zu berücksichtigen. Wolle sich ein Strafgericht unter mehreren möglichen Deutungen einer Äußerung für die zur Bestrafung führende entscheiden, müsse es dafür besondere Gründe angeben, das heißt es müsse sich mit allen in Frage kommenden, insbesondere den sich aufdrängenden Deutungs­mög­lich­keiten auseinander setzen und in rechts­feh­ler­freier Weise diejenigen ausscheiden, die nicht zur Bestrafung führen könnten.

Verschiedene Deutungs­mög­lich­keiten der Aussage

Das Gericht sah drei Deutungs­mög­lich­keiten der Aussage des Autofahrers:

(1) Der Autofahrer habe die Bezeichnung "Wegelagerer" in ihrem ursprünglichen Wortsinn gebraucht. Er werfe dem Polizeibeamten damit vor, dass dieser der Beschäftigung nachgehe, Kraft­fahr­zeug­führern am Straßenrand aufzulauern und diesen in strafbarer Weise Gelder abzunehmen.

(2) Der Autofahrer formuliere mit der Bezeichnung "Wegelagerer" seine Kritik an der Verfolgung und Ahndung von Verkehrs­ord­nungs­wid­rig­keiten durch den Beamten in seinem konkreten Fall.

(3) Der Autofahrer bringe allgemein seinen Unmut über häufige Verkehr­s­kon­trollen zum Ausdruck. Dass diese für die Verkehrs­teil­nehmer überraschend stattfänden, die Kraft­fahr­zeug­führer also "in eine Falle gelockt" würden, werde mit der Bezeichnung der kontrol­lie­renden Polizeibeamten als "Wegelagerer" umschrieben.

Aus dem der Äußerung zugrunde liegenden situa­ti­o­ns­be­dingten Anlass schlossen die Richter, dass die Variante (1) nicht anzunehmen sei. Deutungs­mög­lichkeit (2) oder (3) könnten aber vorliegen. Dies müsse aber nicht entschieden werden, weil beide Möglichkeiten eine Strafbarkeit wegen Beleidigung (§ 185 StGB) nicht begründen.

Recht auf Meinungs­freiheit

Die Richter beriefen sich dabei auf die Grundsätze, die das Bundes­ver­fas­sungs­gericht aufgestellt hatte. Danach habe jeder Bürger das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen zu kritisieren. Dies gehöre zum Kernbereich des Grundrechts auf freie Meinung­s­äu­ßerung. Entgegen der vom Landgericht vertretenen Auffassung sei das Grundrecht auf Meinung­s­äu­ße­rungs­freiheit nicht nur bei einem Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu beachten, sondern auch bei Äußerungen, die im Rahmen einer Ausein­an­der­setzung fielen. Dies gelte umso mehr, wenn sich das Werturteil auf staatliche Einrichtungen, deren Bedienstete und deren Vorgehensweise beziehe. Dabei fielen auch scharfe und übersteigerte Äußerungen in den Schutzbereich des Art. 5 I GG.

Fahrer verteidigte seiner Rechte bzw. nahm berechtigte Interessen wahr

Das Verhalten des Autofahrers sei gem. § 193 StGB nicht rechtswidrig, weil er im Rahmen der Verteidigung seiner Rechte und der Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt habe. § 193 StGB sei eine Ausprägung des Grundrechts aus Art. 5 I 1 GG. Allerdings gewährleiste Art. 5 II GG das Grundrecht der freien Meinung­s­äu­ßerung nur in den Schranken der allgemeinen Gesetze, zu denen auch die Strafgesetze gehören.

Anlass­be­zo­genheit der Äußerungen

Der Autofahrer habe sich hier im Zusammenhang mit dem konkreten Vorwurf einer Verkehrs­ord­nungs­wid­rigkeit geäußert. Seine Bemerkungen seien anlässlich der nachfolgenden Kontrolle gefallen und vor dem Hintergrund zu sehen, dass er den Verstoß gegen die Gurtan­le­ge­pflicht abgestritten habe. Wegen dieser Anlass­be­zo­genheit der Äußerungen könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Diffamierung des Polizeibeamten im Vordergrund stand. Zwar habe der Fahrer im Rahmen seiner Kritik harsche Worte gebraucht. Die Grenze zur Schmähkritik sei jedoch nicht überschritten. Ein durch das Grundrecht auf Meinungs­freiheit nicht gedeckter Angriff auf die Menschenwürde liege ebenso wenig vor wie eine Formal­be­lei­digung, führten die Richter aus.

Quelle: ra-online (pt)

der Leitsatz

Die Bezeichnung eines Polizeibeamten, der eine Verkehr­s­kon­trolle durchführt, als Wegelagerer kann durch das Grundrecht auf Meinungs­freiheit gedeckt sein.

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